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Als Kind mochte ich das Meiste von dem, was meine Mutter in ihrem kleinen Gärtchen an einheimischem Gemüse anbaute. Bohnen, Gurken, Möhren, Tomaten und Zwiebeln waren meine Favoriten, ganz zu schweigen von den bis heute heiß geliebten Erbsen. Dagegen hatten Rote Bete für mich genau so einen merkwürdig erdig-muffigen Geschmack wie Sellerie oder der überdies scharfe Meerrettich. Ich war heilfroh, wenn das Zeug nicht auf den Tisch kam - und wenn doch, musste es halt gegessen werden.
Meine Mutter kannte kein Pardon und verwies energisch auf den heilsamen Charakter dieser Gemüse. Ich hielt das für eiskalte Propaganda, nur dafür eingesetzt, um meinen Widerstand zu besiegen. Schade, dass sie nicht mehr miterlebt hat, welche Begeisterung ich inzwischen für die früher verhassten Essensbestandteile entwickelt habe. In unserem Kühlschrank wohnt immer eine Knolle Sellerie, oft in der Gesellschaft von rohen oder vorgekochten Rote Bete.
Seit Neuestem gibt es auch Meerrettich, den wir in Bayern und Österreich Kren nennen. Denn sie hatte recht, die Frau Mama. Meerrettich gilt als das „Penicillin des Bauern“. Er enthält antibiotische Substanzen, die hervorragend gegen Bakterien wirken, und Aminosäuren, die die Immunabwehr stärken. Außerdem liefert Meerrettich Eisen, über das sich das Blut freut, und Phosphor für das Denkvermögen. Was Vitamin C anbelangt, schlägt der Meerrettich die Zitrone um Längen - er hat doppelt so viel wie sie.
Vitamin B, Kalium, Kalzium, Natrium, Magnesium: Gut für die Nerven und den Energiehaushalt, für Muskeln, Knochen, Herz und Kreislauf. Die Mütter meiner Generation hatten eben nicht bloß Ahnung. Sie verfügten über eine ordentliche Portion Wissen. Der Meerrettich, den wir inzwischen daheim haben, kommt natürlich nicht aus dem Glas. Denn der enthält fast immer Verdickungsmittel, Zucker und Sulfit. Nicht gesund und schlecht für Allergiker und Asthmatiker.
Ich kaufe den Kren auf unserem Bauernmarkt. Jede Woche eine kleinere oder größere Wurzel. Daheim wird sie ratzfatz mit dem Sparschäler von der äußeren Hülle befreit und zügig geraspelt. Das sollte wirklich schnell gehen, denn der Meerrettich wird gerne mal bräunlich. Die feinen Raspel werden mit etwas Zitrone gegen die Verfärbung vermischt, dazu kommt Schlagsahne und manchmal ein Klacks Biomayonnaise, um die Geschmeidigkeit zu erhöhen.
Dieser selber gemachte, rohe Sahnemeerrettich passt zu Fleisch, zu kräftigem Fisch und zu herzhaftem Schinken oder Würstchen. Guter Tipp für den kommenden Herbst - ebenfalls „geerbt“: Meerrettich reiben und mit Honig in ein Glas füllen. Zur Vorbeugung bei Erkältungsgefahr nimmt man ein Löffelchen von diesem Sirup am Tag. Falls es einen erwischt hat, bis zu vier. Nur bitte nicht Kindern geben und selber aufpassen, wenn man empfindlich ist: Die scharfe Mixtur kann Schleimhäute, Rachen und Speiseröhre reizen.
Meine Mutter hat ihren Meerrettich vor über 50 Jahren auch schon für Wickel verwendet. Scheibchen oder geraffelte Späne der Wurzel packte sie in feucht-heißes Leinen. Die Säckchen hat sie auf verspannte und schmerzende Körperteile gelegt. Stirn- und Nasennebenhöhlen wurden bei Erkältungen mit kräftigen Kren-Kompressen bedacht. Ich bin dankbar für das, was ich von meiner Mutter gelernt habe. Es hat gedauert. Der Meerrettich jedenfalls ist weniger muffig, als ich es damals war. Dafür bin ich inzwischen geerdet.
Von der Kolumne zum Buch:
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