- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Ein westliches Klischee über die Bildtraditionen des orthodoxen Christentums meint, dass Ikonen eine in sich geschlossene heilige Welt darstellten und keinen Bezug auf das Leben heute nähmen. Wie falsch das ist, begreift man, wenn man einen Aufsatz über aktuelle Ikonen aus der Ukraine liest, den die katholische Professorin für Ostkirchenkunde Regina Elsner gerade in der Zeitschrift „Kunst und Kirche“ veröffentlicht hat.
Es wirkt auf den ersten Blick befremdlich, fast wie ein Sakrileg: Sonia Atlantova und Olkesandr Klymenko haben Ikonen auf Teile von Munitionskisten gemalt – oder wie es richtig heißt: geschrieben. Die Bilder zeigen die Muttergottes, Apostel oder Heilige wie den Drachenkämpfer Georg. Sie folgen klassischen Mustern. Deshalb wirken sie auch auf Nichtkenner vertraut. Wenn da nicht dieses Material wäre, auf das sie geschrieben sind: grobe, angestoßene Bretter, manche mit dicken Astlöchern, andere noch mit Scharnieren und Verschlussteilen versehen. Einige sind vergoldet, aber nur zum Teil. Es sind verletzte Bilder.
Unwillkürlich fragt man sich, ob diese Bilder nicht in der unseligen Tradition des Waffensegnens stehen. Müssten der Glaube und das Militärische nicht eindeutig voneinander unterschieden sein? Dem kann man mehreres entgegenhalten. Zum einen sind diese Bildmaterialien in der Ukraine schlicht Alltagsgegenstände. Sie gehören seit langem einfach zum ganz normalen Leben. (Nebenbei; Atlantova und Klymenko malen diese Bilder seit 2014 – so lange nämlich geht der Krieg schon.) Zum andern sind es Soldaten, die diese Kisten in das Atelier bringen – auch, weil mit dem Erlös der Ikonen Therapien für verletzte Veteranen finanziert werden. Drittens aber – und das mag für uns in Deutschland anstößig wirken – hat der Krieg, als ein extremes Grenzerlebnis, auch eine spirituelle Seite: Er prägt und verändert, beendet oder intensiviert den Glauben. Es kann deshalb durchaus eine Aufgabe christlicher Kunst sein, dem einen Ausdruck zu verleihen.
Wichtig ist mir aber, viertens, dass diese Ikonen den Kampf nicht verherrlichen. Es sind doch Passionsbilder. Oder, wie Regina Elsner schreibt: „Sie sind kein Kriegssymbol, wie die Ikonen auf den Flaggen der russischen Armee, und sie folgen keinem magischen Verständnis eines Schutzes. Sie sind aber auch keine Friedenstauben, die man sich auf Flaggen bei Demonstrationen schreiben kann. Sie tragen die ganze Dramatik des Krieges, seine Vielschichtigkeit, sein Dilemma in sich, um das wir nicht herumkommen.“