Die Theologin Susanne Breit-Keßler
Wie geht das – sich selbst verändern? Die Theologin Susanne Breit-Keßler antwortet auf Fragen, die uns bewegen
Monika Höfler
Mit Fantasie einmal anders sein
Neues an und für sich entdecken: Dazu laden nicht nur Fasching, Karneval ein – es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten im Alltag
14.01.2016

Ich war als Kind Chinesin in gelber Seide. Ein Fliegenpilz mit brandrotem Hut samt weißen Tupfen. Eines Tages war damit Schluss. Ich wollte selbst bestimmen, was ich im Fasching darstellte. Das ergab in den Folgejahren mütterlicherseits eine ­Mischung aus Stirnrunzeln und fröhlicher Unterstützung – nach wilder Suche, was an häuslichem Material für meine Verkleidungen vorhanden war. Gekauft werden durfte nichts.

Fasching oder Karneval - die Zeit, um Seiten an sich auszuleben, die man sonst nicht zeigt. Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler erklärt, warum diese Zeit sinnvoll und Fasten gar nicht negativ ist.

Fasching, Karneval: eine Chance, Neues auszuprobieren. Seiten an sich zu entdecken, die ausgelebt werden wollen. Nach asiati­schen und botanischen Ausflügen gab ich die spanische Gräfin in schwarzer Spitze. Das kräftige, vernünftige Mädchen, das ich war, versuchte, zart-geheimnisumwittert zu sein. Später zog ich als Winnetou durch die Gegend. Mutig und sehr tapfer wollte ich sein. Etwas, was ich später wirklich gut gebrauchen konnte.

Schade, wenn heute in den tollen Tagen nur nach Ringelhemd oder roter Knollennase gegriffen wird. Es ist doch schön, nachzudenken, wie man gerne auch sein möchte: wild, leidenschaftlich wie ein Pirat, sensibel als Prinzessin, verführerisch, mysteriös, gewitzt, lustig. Das mal einen Abend zu leben, kann im Alltag neue Impulse setzen. Natürlich mag nicht jeder Fasching oder Karneval. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten, Neues an und für sich zu entdecken. Ganz klein kann man anfangen mit einem neuen Rezept. Asiatisch kochen statt italienisch, nicht gutbürgerlich, sondern beschwingt karibisch: Das macht Lust auf mehr, auf ein Leben mit weitem Herz und Sinn für die ganze Welt. Nur Beethoven und Mozart? Gehen Sie ruhig mal auf ein Rockkonzert und toben sich den Stress aus dem Leib. Dem Popfan tut es gut, Bach zu lauschen – und die feinen Töne der Seele und des Geistes wahrzunehmen.

Jetzt ist die Zeit, sich zu entfalten

Manchmal ist man versucht, in einen anderen Ort zu ziehen, der Liebe oder des Berufes wegen. Gut, wenn man losgeht, neue Räume und andere Menschen zu entdecken. Das verändert einen. Man wird weltläufiger oder kehrt wieder zum Bodenständigen zurück, entdeckt erfreut die alten Traditionen für sich oder befreit sich von beschwerlichem Ballast.

Sich total verändern? Das ist schwieriger. Und nicht unbedingt nötig, weil man so, wie man ist, meist auch ein liebenswerter Zeitgenosse sein kann. Trotzdem: „Eigentlich bin ich ganz ­anders, nur komme ich so selten dazu“ hat der Schriftsteller Ödön von Horvath formuliert. Man sollte sich Zeit nehmen, um dieses ­Anderssein zu pflegen, das auch in einem wohnt. Das macht das Herz weit, wie es das Motto der Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ beschreibt.

Immer tough den Tatort schauen? Oder vielleicht mal bei ­Rosamunde Pilcher heulen, was das Zeug hält, weil der eigene angestaute Kummer raus muss und man immerhin im Film mit einem sicheren Happy End rechnen darf? Also, ich mache das. Als perfekter beruflicher Solist kann man in eine Mannschaft eintreten und erfahren, wie gut es sich anfühlt, nicht immer Frontmann oder -frau zu sein. Sondern sich auf andere verlassen, die ihrerseits fest mit einem rechnen.

Es wäre jammerschade, wenn man erst in einer schweren Krankheit oder am Ende des Lebens merken würde, was einem alles entgangen ist – und zwar an und in sich selbst. Jetzt, sofort ist die Zeit, sich zu entfalten, das unveröffentlichte Gute in sich zu zeigen – der Familie, den Freunden, sich selber. Wer mit den ­eigenen inneren Pfunden wuchert, der bekommt ein richtig weites Herz – und öffnet das der anderen.

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