20.10.2010

"Als Christ in der Politik arbeiten? Geht das denn überhaupt? Muss man da nicht ständig Kompromisse machen?" Zuletzt hörte ich diese Fragen bei einem Gespräch mit einer Gruppe aus dem CVJM, die den Deutschen Bundestag besuchte. Engagierte junge Leute waren das, die sich selbst aktiv in die Gestaltung unserer Gesellschaft einmischen, aber vor einer Mitarbeit in Parteien oder Parlamenten zurückschrecken. Eben dieser schrecklichen Kompromisse wegen.

Kompromisse sind nicht immer faule Kompromissen

Dabei werden Kompromisse oft mit faulen Kompromissen gleichgesetzt. Es ist an der Zeit, ein entschiedenes Wort zur "Ehrenrettung" des Kompromisses zu sagen. Denn in der Politik geht es eben sehr häufig um einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen. Zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, der Vermieter und Mieter, von Jung und Alt oder auch zwischen den Belangen des Naturschutzes und einer besseren Verkehrsanbindung muss ein fairer Ausgleich, ein guter Kompromiss gefunden werden. Auch jeder Haushaltsplan ist ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen politischen Anliegen und Aufgaben.

Die Suche nach einem Kompromiss ist also immer wieder notwendig ­ und häufig auch ethisch geboten. Zum Beispiel dann, wenn es sich in einem Interessenkonflikt geradezu verbietet, sich einseitig auf eine Seite zu schlagen.

Das Ziel sind tragfähige Mittelwege

Selbst in schwierigen ethischen Fragen bemühen sich Politiker immer wieder um tragfähige Mittelwege, auch weil von ihnen eine befriedende Wirkung ausgehen kann. Beispielhaft sei der Kompromiss um die Zulässigkeit der sogenannten embryonalen Stammzellforschung genannt. Nach langen Debatten und ohne Fraktionszwang entschied der Bundestag mit seiner Mehrheit, ausschließlich die Forschung mit Stammzelllinien zuzulassen, die vor einem bestimmten, bereits verstrichenen Stichtag gewonnen wurden. Dies stellt sicher, dass in Deutschland zu Forschungszwecken nicht eine embryonale Stammzelle, also menschliches Leben, zerstört wird. Zugleich sollte eine begrenzte Forschung mit bereits existierenden Stammzelllinien möglich werden, um Erkenntnisse für die ethisch unbedenkliche Forschung mit adulten Stammzellen zu gewinnen.

Doch das Ringen um eine vernünftige Lösung geht weiter. Angesichts der Verunreinigung dieser vor längerer Zeit gewonnenen Stammzelllinien wird nun vorgeschlagen, auch die Forschung mit Stammzelllinien zuzulassen, die im Ausland bis zu einem erst vor kurzer Zeit verstrichenen Stichtag gewonnen wurden. Wieder geht es darum, keine neuen Anreize für die Zerstörung embryonaler Stammzellen oder gar ihre Erzeugung zu diesem Zweck zu schaffen. Eine "Weiterentwicklung" des seinerzeitigen Kompromisses ­ oder der Beginn seiner Preisgabe?

Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass es beim Ringen um Kompromisse nicht nur um Sachfragen geht. Da spielt ­ gerade auch in der Politik, aber nicht nur dort ­ mehr hinein: Menschen wollen ihre Einflusssphären, ihre Macht sichern oder auch nur ihr Gesicht wahren. Das öffentliche Feilschen um den richtigen Weg wird deshalb oft als Parteiengezänk kritisiert, Verhandlungen hinter verschlossener Tür als mangelnde Transparenz. Und beides gibt es ja auch.

Wer deswegen lieber abseits steht, hat aber selbst einen faulen Kompromiss geschlossen: gegen das Ringen um den bestmöglichen Weg und für die eigene Wirkungslosigkeit. Für Christen ist das keine Alternative.

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