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„Darf nur mit Spezialhandschuhen angefasst werden“: ein Hinweis auf einer Mappe aus dem Archiv. Er leuchtete mir ein, denn es geht um das wohl wichtigste deutschsprachige Kirchendokument des letzten Jahrhunderts, die sogenannte Barmer Theologische Erklärung. Gegen den Führerkult, der tief in die Herzen der Menschen und der Kirche gedrungen war, hatten im Mai 1934 Pfarrer und Theologen aus fast allen Teilen Deutschlands öffentlich bekannt, es gebe nur einen, dem Christen „im Leben und im Sterben“ Gehorsam schulden: Jesus Christus und seinem „befreienden Zuspruch und kräftigen Anspruch auf unser ganzes Leben“.
Aus dem Herzen des Glaubens heraus widersprachen sie so allem Volks- und Rassekult, der Vergottung von Blut, Boden und Führer. Und räumten auf mit dem frommen Selbstbetrug, all dies ginge den Glauben eigentlich gar nichts an. Das Original der Barmer Erklärung liegt normalerweise wohltemperiert und lichtgeschützt im Archiv meiner Westfälischen Kirche in Bielefeld. Drei Seiten enge Maschinenschrift, handschriftliche Korrekturen an den Rändern, verblasste Wasser- und Tintenflecken und der rostige Abdruck einer längst abgefallenen Büroklammer. Wer die Blätter sieht, spürt, wie handfest da um Eindeutigkeit und Einigkeit gerungen wurde. Vielleicht ahnt er, ahnt sie auch etwas von dem Mut und dem Streit, die nötig waren, um das vertraute Wort Gottes neu zu hören und ihm neu treu zu bleiben.
Dieser Tage, zum 80. Jahrestag, wird das Original in einer Ausstellung der Rheinischen Kirche gezeigt, dafür aus dem Archiv geholt – und darf nur mit Spezialhandschuhen angefasst werden. Ausgerechnet!
Mut und Klarheit in einer politisch düsteren Zeit
Gewiss, das alte Papier ist aller Sorgfalt wert. So werden wir uns die Handschuhe überstreifen, wenn ich diese drei Blätter für die Dauer der Ausstellung in Wuppertal-Barmen an Manfred Rekowski, den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, übergebe. Diese seltsam feierliche Prozedur wird keinen Zweifel daran lassen: Es waren düstere Zeiten, in denen Mut und Klarheit des Glaubens das Risiko einschlossen, sich vor aller Welt Finger und Lippen zu verbrennen, ja, in Lebensgefahr zu geraten. Wir leben heute in einem Staat und einer Gesellschaft, die die Freiheit des Einzelnen und die Freiheit des Glaubens achten. Ich weiß, dass die Kirchen oft zu schnell, zu vollmundig und zu selbstgewiss davon geredet haben, was Gottes Wille sei. Sie wussten und sagten es so laut und vorlaut, so verdächtig zweifelsfrei, dass es entweder abschreckte oder belanglos schien. Heute sind sie damit vielleicht ein wenig zu zurückhaltend geworden.
Deshalb befragen Menschen derzeit die Kirchen und uns Christen ganz neu – manche aus reiner Neugier, andere aus kritischer Distanz, etliche aus ehrlichem Interesse, einige auch mit spöttischer Häme. Sie fragen, was wir denn eigentlich glauben und wie sich das im täglichen Leben zeigt. Sie fragen, ob und wie der Glaube uns und die Welt verändert. Darin liegt die Ahnung, dass Gott keine wohltemperierte Harmonievokabel ist – und auch kein gut gehütetes theologiegeschichtliches Dokument. Ja, ich spüre in den Fragen sogar die Sehnsucht, dieser Gott möge „befreiender Zuspruch und kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“ sein. Streit, Mut, Unruhe und Irritation eingeschlossen.
Kein Gott, der uns und die Welt nur mit Spezialhandschuhen anfasst. Ein Gott, der sich seinerseits berühren lässt. Nicht mit den Fingern. Aber im Herzen.
"...Barmer Theologische
"...Barmer Theologische Erklärung. Gegen den Führerkult, der tief in die Herzen der Menschen und der Kirche gedrungen war, hatten im Mai 1934 Pfarrer und Theologen aus fast allen Teilen Deutschlands öffentlich bekannt, es gebe nur einen, dem Christen „im Leben und im Sterben“ Gehorsam schulden: Jesus Christus..."
Das soll ja wohl hoffentlich kein Alibi für die ganze Kirche bis 1945 sein. Wie viel der Unterzeichner waren denn in % aller „Protestanten“ Geistliche? Hat auch die Kirchenführung diesen Protest unterstützt und alle Pfarrer aufgefordert, auf ihr Gewissen zu hören? Und die maßgebenden Laien hat man draussen vorgelassen? Auch die haben sich nach 1934 still verhalten.
1934 war nur eine Dimension des Schreckens zu ahnen. In den Folgejahren wurde die Dimension immer gewaltiger. Spätestens 1938 (Pogrom) hätte man den Protest mit aller Macht fortsetzen müssen. Da das nicht geschah, obwohl beide Kirchen bis zum bitteren Schluß über unbehinderte Informationssysteme verfügten, ist die "Barmer Erklärung" nur ein Zeugnis dafür, dass die Nationalsozialisten und die Führung beider Kirchen in einem Pakt der Unmenschlichkeit verschweißt waren. Auch die Kirchen hätten wegen unterlassener Hilfeleistung, zu der sie gemäß ihrem Glauben verpflichtet waren, als religiöse und moralische Steigbügelhalter der Macht vor das Nürnberger Tribunal gehört. Wenn es eine Hölle gibt, dann haben die damaligen Kirchfürsten sie verdient.
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Grundsätzliche Kritik
Zitat aus dem Artikel: "Die Worte füllen nur wenige Manuskriptseiten. Aber sie unterzogen die Nazis und ihren Führerkult einer grundsätzlichen Kritik." Wie machten sie das? Zitat aus der "Theologischen Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)", These 1: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen." Es geht also um die Kirche. Und die soll gefälligst ihren wahren Führer, den lieben Gott mit seinem Wort, nicht durch den falschen Führer und Reichskanzler ersetzen. Und das soll jetzt allen Ernstes als eine grundsätzliche Kritik am Führerkult gelten, wenn ein Führer nicht durch einen anderen Führer ersetzt werden soll? Sehr bemerkenswert, diese Anschauung. Und diese angeblich grundsätzliche Kritik am Nationalsozialismus besteht darin, 6 Thesen lang mitzuteilen, dass der Zugriff der Nazis auf die Kirche abzulehnen ist. Jetzt weiß man endlich, was an den Nazis oberfaul war: Sie wollten auch über die Kirche herrschen. Darin besteht somit die grundsätzliche Kritik am Faschismus. Auch das ist sehr bemerkenswert.
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