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Eine kaum bekannte Weihnachtstradition aus dem Erzgebirge und dem Vogtland
Frohe Bornkinnel-Nacht!
Über Weihnachtssitten wird gerne gestritten. Man sollte seine Lebensenergie besser einsetzen und Weihnachtstraditionen überhaupt erst einmal kennenlernen. Und da lässt sich auch in Deutschland noch vieles entdecken. Zum Beispiel das Bornkinnel.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
18.12.2023

Ach, so vieles weiß man nicht. Wenn man aber Glück hat, gibt es Kollegen, die einem weiterhelfen. So hat mich pünktlich zum Advent Klaus-Martin Bresgott, mein Kollege im Kulturbüro der EKD, auf eine ganz bezaubernde, regionale Weihnachtstradition aufmerksam gemacht: das Bornkinnel. Ich hatte davon noch nie gehört.

Es ist im Erzgebirge und im Vogtland zuhause. Seine Entstehung, so erklärte er mir, ist eng mit der lutherischen Neuordnung des weihnachtlichen Festkreises verbunden. Man wollte den (katholischen) Heiligen Nikolaus als Gabenbringer durch das Christuskind ablösen. Die Bescherung wurde also auf den 24. Dezember verschoben und dem Christkind übertragen. So sollte die ganze Aufmerksamkeit auf Christus gelenkt werden. Das geht am besten, wenn man es nicht theologisch dekretiert, sondern ein besseres religiöses, emotionales und ästhetisches Angebot macht.

Deshalb begann man im Erzgebirge und im Vogtland Figuren des Christuskindes zu schnitzen und auszustaffieren, die wie von selbst die Liebe der Gemeinde gewannen: schon aufrechtstehend, aber noch mit Babyspeck, mit goldenem Haar, nackt oder in kostbaren Gewändern, trotz des Kindchenschemas mit wissendem Blick, die Weltkugel in der linken Hand, mit der Rechten einen Friedensgruß aussendend. So wurde und wird es auf den Altar gestellt und zeigt viel eindrucksvoller als mancher Weihnachtsbaum an, was hier gefeiert wird.

Übrigens, es gibt auch eine eigene, ältere katholische Tradition: Das Bornkinnel ist also ziemlich ökumenisch.

Heute sind, laut Wikipedia, nur noch 77 Bornkinnel an 67 Standorten nachgewiesen, davon sind 27 allerdings nicht mehr vorhanden. Nächstes Jahr habe ich schon geplant, ins Erzgebirge zu fahren. Vielleicht kann ich da ein Exemplar dieser gefährdeten Spezies erwerben. Es wäre doch zu schade.

Ihnen allen, die Sie in diesem Jahr regelmäßig oder gelegentlich in meinen „Kulturbeutel“ geschaut haben, danke ich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein frohes Bornkinnel-Fest!

PS: Der Kulturbeutel geht in eine kleine Feiertagspause und erscheint wieder am 3. Januar 2024. 

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Vielen Dank, lieber Herr Claussen, für diese anrührende Geschichte und die Existenz des Brauches und seiner Hintergründe. Frohe Weihnachten ! Ihr J.Koob

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur