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Als ich vor neun Jahren nach Berlin flog, war ich eine junge Frau voller Energie und Aufregung. Ich sprach mit den Menschen um mich herum, ohne zu zögern oder Angst zu haben, verurteilt zu werden. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Deutschen, der im Flugzeug neben mir saß, und fragte ihn nach der deutschen Sprache. Er schaute seinen Freund erstaunt an und antwortete mir sehr zurückhaltend. Ich hatte eine andere Vorstellung von den Menschen im Westen. Das alle offen sind und freundlich, sich lieben und jeder als gleichwertig angesehen wird. Aber es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass Afghanistan und die Muslime in den Köpfen vieler Menschen hier ein dunkles und rückständiges Bild sind.
„Warum trägst du kein Kopftuch? Darfst du zur Schule gehen? Hast du Angst vor deinen Brüdern? Vor den Taliban? Werden Frauen unterdrückt?“ Eine Mitschülerin fragte mich sogar: „Was denkt deine Familie über den Terroranschlag in Frankreich?“ Ich hörte Mitschüler sagen: „War Tahora schon einmal in einem liberalen Land? Oh, es ist ihr erstes Mal. Sie muss noch befreit werden.“ Einer lächelte sogar und sagte: „Du scheinst religiös zu sein“, und damit war die Unterhaltung beendet.
Anpassen? Es war nie genug...
Seit über einem Jahr habe ich an dieser Stelle gebloggt, und ich habe viel Kritisches zur Deutschen Gesellschaft geschrieben. Über Vorurteile; über die unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen je nach Herkunftsland - ob nun in den Ämtern oder in der öffentlichen Wahrnehmung - und auch über eine gewisse Ignoranz in diesem Land fremden Kulturen gegenüber.
Was mir dabei sehr wichtig ist: Ich wollte nie die gesamte deutsche Gesellschaft als negativ darstellen. Ich habe in diesem Land viel gelernt und gewonnen und schätze seine hart arbeitenden Menschen. Aber die negativen Erinnerungen sind stärker und wirken nach.
Ich versuchte, mich anzupassen, indem ich das tat, was sie taten, und das sagte, was sie hören wollten, aber es schien nie genug zu sein. Immer wieder wurde ich an meine afghanische Herkunft erinnert. Trotzdem versuchten einige Leute, mich als „cool“ abzustempeln, um sich von ihren Vorurteilen zu distanzieren. Die Freundlichkeit, die uns entgegengebracht wurde, war oft eher Mitleid, und die Menschen sahen uns nur als Opfer. In all diesen Jahren wollte ich vor allem als gleichwertig angesehen werden.
Ich habe versucht, mir ein neues Leben aufzubauen, aber es ist mir nie wirklich gelungen. Während meiner zwei Jahre an der Universität litt ich unter Depressionen und zog mich in mein Zimmer zurück. Ich entwickelte mich zu einem nervösen und ungeduldigen Menschen. Und auch nach meinem Abschluss und dem Beginn meiner beruflichen Laufbahn hatte ich das Bedürfnis, Afghanistan ständig zu verteidigen und ein positives Bild zu vermitteln.
Es gab Leute, die sagten: „Afghanische Kriminelle sollten abgeschoben werden“, ohne den Kern des Problems zu verstehen. Es gab auch schädliche Stereotypen, dass alle muslimischen Männer von Natur aus gewalttätig und unterdrückerisch gegenüber ihren Frauen seien, und Leute, die Frauen zur Scheidung rieten, wenn ihre Männer sie schlugen. Einige arbeiteten mit Migranten, waren aber besorgt, dass sie Konflikte in ihre friedlichen Länder bringen könnten. Es gab Freunde, die immer wieder sagten: „Du bist ein guter Mensch, du kannst bleiben, aber die anderen sollten zurückgehen“.
Natürlich gibt es Dinge, die man kritisieren kann am Islam, an Afghanistan, an patriarchalen Kulturen. Aber es ist furchtbar, wenn unter den pauschalen Vorurteilen der Blick für den einzelnen Menschen verloren geht.
Vor drei Jahren sehnte ich mich danach, in mein Heimatland zurückzukehren und dort ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Seelenfriedens zu finden. Doch dieser Traum wurde brutal zerstört, als ich Zeuge des Verrats der Länder wurde, die zwei Jahrzehnte lang in Afghanistan präsent waren und Parolen von Wiederaufbau, Entwicklung und Demokratie gerufen hatten. Jetzt sind Afghanistan und seine Bevölkerung den Taliban ausgeliefert. Und es gibt Länder, die das brutale Regime anerkennen. Für mich unfassbar.
Die täglichen Nachrichten voller Bitterkeit und Schmerz zu lesen, raubt mir alle Energie, ich fühle mich geistig erdrückt und körperlich erschöpft. Ich sehne mich nach einem Ort, an dem die Menschen nicht nach meiner Herkunft fragen. Ein Ort, an dem sie, wenn sie einen Namen hören, der nicht deutsch klingt, nicht plötzlich ihr Verhalten ändern, mich neugierig und mitleidig anschauen und nach der Situation in Afghanistan fragen.
Ich habe die Kraft und die Motivation verloren, ständig für mich und mein Land zu kämpfen und einzustehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, Deutschland zu verlassen, sei es vorübergehend oder für immer, in der Hoffnung, meine verlorene Energie zurückzugewinnen und einen Weg zu finden, auch im Kleinen, zu einer positiven Veränderung in dieser Welt beizutragen.
Dies ist also der letzte Beitrag, den ich in diesem Blog schriebe. Doch was ich unabhängig davon weiter machen werde: Meine Erfahrungen mit anderen Menschen teilen und so hoffentlich dazu beitragen zu können, dass Bewusstsein zu schärfen und andere Migranten davor zu bewahren, das zu erleben, was ich erlebt habe. Mein Ziel ist es, zum Aufbau einer besseren und gerechteren Gesellschaft beizutragen.
Tahira Huseini
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Liebe Frau Huseini, ich kann ihren Schmerz und ihre Erschöpfung sehr gut verstehen. Ich begleite seit 2016 einen sehr netten jungen, afghanischen Mann, der in Deutschland die wesentlichen Jahre seines jungen Lebens leider verwarten musste. Kein Sprachkurs, keine Integration, keine Arbeit in den ersten beiden Jahren. Unerträglich für Menschen, die eine Zukunft finden wollen. Ich - eigentlich immer ein bisschen stolz auf mein Land - hatte nie erwartet, dass Deutschland ein so ignorantes, hartherziges und manchmal auch grausames Land sein kann. Auch wenn ich versucht habe, vieles abzufangen und meinem Freund Azim, Wärme, Mitgefühl, Rat und Hilfe zu geben, war es irgendwann zu schwierig für ihn, hier die Zukunft aufzubauen. Er ist letztlich auch zurückgegangen, nach Afghanistan, allerdings, um mit seiner Frau (eine Geflüchtete aus seinem Land, die inzwischen Norwegerin geworden war) mit ihr in Norwegen zu leben. Denn einen Asylsuchenden aus einem sicheren Drittland hätte Norwegen nicht genommen. Er musste deshalb das bisschen, was er sich hier aufgebaut hatte, aufgeben und ist in die Heimat zurück gehen. Das waren zwei furchtbare Jahre in Kabul, voller Armut, Angst, Arbeitslosigkeit und Sehnsucht, nach seiner Frau.. Zwei Jahre…, die gipfelten in seiner - abermaligen - Flucht vor den Taliban, die in Kabul einmarschiert waren. Inzwischen ist er in Norwegen, hat ein Kind, und lebt mit seiner Frau. Glücklich ist er dennoch nicht. Auch dort ist das Leben unendlich schwierig für Ausländer. Und immer droht die Angst, wieder zurückgeschickt zu werden… Ich kann einfach nicht verstehen, woran all das liegen sollte, denn ein Blick in die Herzen der Menschen würde der beste Wegweiser sein, um miteinander zurecht zu kommen. Wie kann man so sein Leben aufbauen? -
Wo auch immer Sie jetzt hingehen, ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und von Herzen, dass Sie Ihr Glück finden. Letztlich sind wir alle gleichwertig und gleich würdig. - Sollten Sie Unterstützung brauchen: mein Haus steht für Sie offen; auch wenn wir uns gar nicht kennen.
Liebe Frau Huseini!
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Liebe Frau Huseini!
Es ist traurig, wenn Jemand nicht mehr Kraft hat zu kämpfen. Es tut nicht nur Ihnen weh, sondern mir auch. Ich lebe in D. schon über 45 Jahren, und verstehe Sie s e h r gut, weil mir auch oft änlich Ungarn zu "verteidigen" geht..( Wir waren mit meinen Mann in Afghanistan 3 Jahre lang als EntwicklungshelferInnen, und liebe ihr Land bis heute, und unterstütze 5 Mädchenschule in Jagori/Hasaradzsat)
Aber wenn es erlaubt ist, und noch nicht zu spät ist, bleiben Sie in D. suchen sie eine neue Aufgabe. Es gibt sooooo viele Möglichkeit in diese Gesellschaft nützlich, zugehörig fühlen trotz alle "Bemitleidung". Aber wenn Sie andere Land gehen, werden mit der Zeit die selbe Erfahrung machen. Das ist d a s P r e i s , dafür, das wir in Sicherheit, und in der Demokratie leben können.
Liebe Grüße,(Bamana Hoda) und viel Erfolg, egal wie Sie sich entscheiden was Sie machen werden. Kinga
Kinga von Gyökössy-Rudersdorf
Nelkenstr. 29
Weinstadt
Afghanistan
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Liebe Frau Husaini,
auch mich hat Ihr Beitrag sehr traurig gemacht. Die Berichterstattung in unseren Medien ist wirklich schwierig, wenn es um Afghanistan geht. Natürlich gibt es tiefgehende Filmbeiträge und Berichte, aber auch für diese muss man bereits ein Interesse am Land haben. Andere schalten wahrscheinlich schnell weiter. Ich meine, die meisten Menschen wissen es nicht besser, wenn sie Ihnen mit falschen Kommentaren und dummen Fragen begegnen. Es macht sicherlich auch einen Unterschied, wo sie gelebt haben. In der Großstadt kann man einfacher sein eigenes Leben führen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihren Ort finden, an dem Sie zufrieden und glücklich leben können. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass Sie zurückkommen werden und Ihr Blick auf die Deutschen etwas sanfter wird. Denn es ist auch in anderen Ländern nicht einfach und in Afghanistan leider auch nicht. Vielleicht finden Sie in einer anderen Stadt in Deutschland eine zweite Heimat. Nach vier Jahren werde ich hoffentlich bald wieder einmal nach Afghanistan reisen. Ich bin gespannt zu sehen, was sich verändert hat. Ich muss mich auf viele neue Leute einstellen, denn die "alten" sind nicht mehr da. Khuda Hafiz
einfach nicht
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"Ich kann einfach nicht verstehen, woran all das liegen sollte"
Die URSACHE aller Probleme unseres konfusionierten "Zusammenlebens", ist der nun "freiheitliche" WETTBEWERB und seine Symptomatik in "Wer soll das bezahlen?", was nichts mit wirklich-wahrhaftiger Freiheit und Demokratie zu tun hat.
Diese Welt- und "Werteordnung" braucht eine befriedende Kommunikation hin zu einem globalen Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden", OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, also KEINE Globalisierung der "Dienstleistungsgesellschaft" die doch nur der herkömmlich-gewohnte Kolonialismus ist.
Mensch bedeutet ALLE / das ganzheitliche Wesen Mensch, in Vernunft, Verantwortungsbewusstsein, Ebenbild entsprechend unserer Vernunftbegabung - Wir sind alle im SELBEN Maße "durchströmt" vom Geist der Gott/Vernunft ist, für Möglichkeiten von/in geistig-heilendes Selbst- und Massenbewusstsein, NICHT für egozentriert-konfusioniertes "Individualbewusstsein" und somit geistigen Stillstand seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung ("Vertreibung aus dem Paradies").