Aktivisten der Letzten Generation in Dresden
Aktivisten der Letzten Generation kleben sich auf der Dresdner Bergstraße fest und wollen damit auf die Einhaltung der Klimaziele aufmerksam machen.
Daniel Schäfer/dpa/picture alliance
Selten dämlich
Warum die Letzte Generation heute der gesamten Klimaschutzbewegung geschadet hat. Ein Kommentar
Tim Wegner
01.02.2023

Die Geschichte klingt so verrückt, dass man denkt: Das müssen doch "Fake News" sein - eine Falschmeldung also, die den Klimaschutz in Misskredit bringen soll: Zwei Aktivisten der "Letzten Generation" sind einer Gerichtsverhandlung ferngeblieben, weil sie Urlaub auf Bali machen. Wenn dem so ist, schadet es ihrer Glaubwürdigkeit. Und zwar auf mehreren Ebenen.

Laut einem Bericht der "Bild"-Zeitung, den weitere Medien aufgegriffen haben, hatte einer von beiden eine Straße blockiert und muss sich deshalb vor dem Amtsgericht Stuttgart verantworten. Der Vorwurf: Nötigung. Nicht zur Verhandlung zu erscheinen, lässt den Respekt vor rechtsstaatlichen Institutionen vermissen. Aber auf diese Instanz - konkret auf Gerichte - beruft sich die "Letzte Generation" oft und auch zurecht, wenn sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz als Legitimation für die eigenen umstrittenen Aktionen heranzieht. Das ist seit heute unglaubwürdig.

Selten dämlich ist es, während der Gerichtsverhandlung auf Bali Urlaub zu machen, denn das Paar wird nicht nach Fernost gerudert, sondern geflogen sein. Es gibt sehr viele Menschen, die bewusst auf jede Flugreise verzichten und Verwandte und Freunde kritisieren, wenn sie fliegen. Das sorgt für böses Blut, Emotionen kochen hoch. Man muss nicht wie ein Steinzeitmensch leben, um von Politik und Gesellschaft ernsthaften Klimaschutz und eine Energiewende zu verlangen, die den Namen auch verdient. Wir alle stecken fest in zementierten Strukturen, die klimaschädliches Verhalten begünstigen und die sich von uns allein nicht auflösen lassen. Aber nach Bali fliegen - geht's noch?

Die Letzte Generation wäre gut beraten, sich schnellstens zu korrigieren. Die Reise ist mitnichten damit zu entschuldigen, dass sie eben von zwei Privatpersonen unternommen worden sei, wie ein Sprecher der Gruppe gegenüber der "Bild" erklärt haben soll. Das macht die Angelegenheit nur noch peinlicher. Wer - und ich teile die oft beschriebene Verzweiflung der Aktivisten! - radikalen Protest auf die Straße trägt, muss glaubwürdig sein. Es schadet der Klimaschutzbewegung in ihrer Gesamtheit und ist ein gefundenes Fressen für alle Blockierer und Vertreter der alten fossilen Energien, wenn man sich derart bigott verhält. Denn ihre Interessenvertreter bedienen ja nur zu gern die simpelsten Instinkte der Menschen.

"Fake News" oder nicht? chrismon hat bei der Letzten Generation um eine Stellungnahme gebeten, ob der Beitrag der "Bild" in der Sache zutreffend ist. Heute hat die Gruppe reagiert und eine Stellungnahme an mehrere Medien verschickt und als Pressemitteilung veröffentlicht. Darin heißt es: "Natürlich können wir nachvollziehen, dass negative Gefühle ausgelöst werden – gerade bei ökologisch bewusst lebenden Menschen –, wenn Protestierende der Letzten Generation in ein Flugzeug steigen. Vielen von uns geht es so."

Die Letzte Generation räumt ein, dass ein Aktivist am Dienstag in Stuttgart hätte vor Gericht stehen sollen, erklärt aber auch: "Mit dem Gericht abgesprochen, blieb er diesem (Termin, Anm. d. Red.) fern. Er befindet sich aktuell in Thailand, um dort mit seiner Freundin viele Monate zu bleiben."

Insofern geht unser Vorwurf, dass der Aktivist eine rechtsstaatliche Institution missachtet habe, ins Leere, wenn das Gericht von der Reise wusste und er nicht unentschuldigt fehlte.

Dass das Paar länger im Ausland bleiben möchte, ist sicher anders als eine kurze Urlaubreise mit dem Flugzeug zu bewerten. Auch dieser Hinweis fehlte gestern in vielen Medienberichten - und auch in unserem Kommentar.

Hinweis: Wir haben diesen Beitrag am 2. Februar überarbeitet und neu veröffentlicht.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Hallo Ihr! Aber es ist doch nicht die gesamte letzte Generation und mehr auf diesen Baliurlaub gefahren, oder?
Viele Grüsse

Antwort auf von Nina Dreschke (nicht registriert)

Permalink

Man sucht sich die Sollbruchstelle. Aber das machen ja auch die "Letzten"!

Permalink

Wozu die Empörung ? Der Philosoph Max Scheler meinte,als man ihn fragte, wie sich seine notorischen Eheirrungen mit dem Berufsbild eines Professors für Ethik vertrüge: "Der Wegweiser zeigt nur den Weg, er geht ihn nicht mit." - In diesem Fall steht der Wegweiser halt auf Bali, die politischen Irrungen finden bei uns statt ...
Allerdings glaube nicht, daß die sog. "Klima-Aktivisten" zu differenzierter Selbstbetrachtung, geschweige denn zu Selbstironie fähig sind; deshalb mein Vorschlag: "Noch nicht einmal ignorieren"

Wertester Herr querdenker, die Angewohnheit der Selbstbetrachtung und Selbstironie dürfte bei Klimaklebern & Co. weder stärker noch schwächer ausgeprägt sein als bei Querdenkern und Normalbürgern.

Den Wegweiser, der von Selbstironie zu Klima weist, müssten Sie allerdings noch her- und aufstellen. Ob Sie diesen Wegweiser stehen lassen oder nicht, dürfen wir dann getrost ganz Ihrer Selbstbetrachtung überlassen.

Traugott Schweiger

Permalink

Der Autor beklagt mangelnde Glaubwürdigkeit. "Wenn dem so ist, schadet es ihrer Glaubwürdigkeit." und "...muss glaubwürdig sein."

Ob ein Waschmittel was taugt, hängt von seiner chemischen Zusammensetzung ab. Es hängt nicht davon ab, ob der Käufer des Waschmittels den Verkäufer des Waschmittels für würdig hält, seinen Beteuerungen, das Waschmittel sei ganz großartig, Glauben zu schenken.

Ob und wem der Glaube an Gott was bringt, hängt davon ab, was Gott ist. Es hängt nicht davon ab, ob Hochwürden oder Frau Pastorin silberne Löffel klauen, fremdgehen, Kinder schänden oder von all dem gründlich Abstand nehmen.

Was von der Bewegung "Letzte Generation" zu halten ist, hängt von deren politischer Analyse und politischer Praxis ab, nicht deren Urlaubsbräuchen. Wem oder was die Aufforderung an die werten Normalbürger nützt, gefälligst keine Flugzeuge zu besteigen, muss man an dieser Aufforderung selber klären. Und nicht daran, ob der, der die Aufforderung ausspricht, sich selber daran hält oder nicht.

Summa: Wer dem verbreiteten Volkssport huldigt, die lieben Zeitgenossen auf Glaubwürdigkeit durchzumustern, möchte eingeseift werden. Wer sich selbst als glaubwürdig anpreist, möchte einseifen.

Traugott Schweiger

Permalink

Ach, so selten ist das doch gar nicht! Wenige Tage nach der Ahrflut ist auch Fr. Spiegel in den Urlaub gefahren, obwohl sie mitten in der Verantwortung war. Sich nicht in der Verantwortung zu fühlen, obwohl man ein grosses "Wohlwollen" für die Kleber-Personen und deren Mut hegt ist doch auch? Denn wo bleibt denn da das EKD-Entsetzen über die Gemeinschaft mit diesen "Geistern"? Inzwischen dürfte ja wohl auch der und dem Letzten klar sein, wie egal Putin unsere Werte und seine eigenen sind, um seinen Stolz zu befriedigen. Und wie war das noch mit dem schönen Emma-Brief an Scholz und der Toleranz der Intoleranz, mit der letzten Konsequenz bis zur totalen Wehrlosigkeit? Wo bleibt das Eingeständnis des Versagens? Wo ist das Versteck, damit man nicht gefragt werden kann? Die versammelte deutsche schöngeistige Intelligenz (18 Federführer?), zumindest in diesem Fall, mit der AFD (A dolf F ür D eutschland) einig in der Verharmlosung von Putin. Da sind die Kleber-Aktivisten mit und in Thailand (wird dort auch geklebt?) ja geradezu harmlos im Vergleich zu den nahezu 300.000 Brief-Mitunterzeichnern und Pseudo-Putin-Verstehern.