"Ich habe einfach Angst vor diesem neuen unerforschten Corona-Impfstoff", erklärte mir vor kurzem eine junge Frau. Dieses grundsätzliche Unbehagen gegenüber medizinischen Wirkstoffen, die wir als Laien kaum wirklich einschätzen können, verstehe ich gut. Es schaudert mich auch, wenn mir eine Infusion gegen meine Krebserkrankung in den Körper läuft.
Karin Lackus
Es braucht viel Hoffnung und Vertrauen, trotz spürbarer Nebenwirkungen täglich Tabletten zu schlucken, die es erst seit wenigen Jahren gibt. Viel lieber würde ich alle diese Giftstoffe vermeiden und mich gesund und munter durch die Welt bewegen. Aber eine Krebserkrankung verschwindet nun mal nicht einfach von allein. Also höre ich zu, denke nach und informiere mich. Ich versuche zu verstehen, wie Chemotherapie wirkt, lese Studien und höre von den Erfahrungen anderer Menschen. Mit diesem Wust aus Informationen und Erfahrungen wäge ich ab zwischen begründeter Angst und meiner Hoffnung auf Leben und entscheide mich in aller Freiheit für das Gift. Trotz Unbehagen, trotz zu erwartender Nebenwirkungen.
Ein solches ernsthaftes Abwägen erwarte ich auch von allen Menschen, denen eine Corona-Impfung angeboten wird. Denn Corona verschwindet genauso wenig einfach so. Die Alternative, dass in aller Freiheit einfach alle gesund bleiben, gibt es nicht. Dieses Virus ist da, macht krank und tötet, und manche Krankheitsverläufe geben uns eine Ahnung davon, welche lebenslangen Folgen die Erkrankung haben kann. Gerade im Blick auf die Kinder ist das ein sehr beunruhigender Gedanke. Vielleicht geht ja alles gut, Kinder werden selten schwer krank durch eine Corona-Infektion. Sicherer wäre es wohl, durch Impfungen der Erwachsenen so viele Infektionen unserer Kinder wie nur irgend möglich zu vermeiden.
Impfen ist nicht nur eine individuelle Sache
Dabei ist es zunächst eine sehr persönliche Entscheidung, ob ich mich impfen lasse oder nicht. Die Integrität des eigenen Körpers ist ein wichtiger Wert. Ich möchte auch nicht gegen meinen Willen behandelt werden, sei es noch so gut gemeint. Langfristige Nebenwirkungen der Impfung sind zwar selten, aber sie sind da. Wer mit einer Herzmuskelentzündung nach einer Impfung zu kämpfen hat, den tröstet es wenig, dass er leider riesengroßes Pech hatte. Dann ist es wichtig, mit sich und seiner eigenen Entscheidung einigermaßen im Reinen zu sein.
Aber die Sache mit dem Impfen ist eben nicht nur eine individuelle Entscheidung. An Weihnachten 2020, in der Hochzeit der Corona-Infektionen, meinte mein behandelnder Onkologe, er könne und wolle mir nicht die volle Dosis der Chemotherapie verabreichen, da die Krankenhäuser wegen Corona bis zum Anschlag belegt seien. Es nütze mir ja auch nichts, wenn ich an den Nebenwirkungen der Chemo versterbe, merkte er nüchtern an.
Ich konnte das damals akzeptieren, ungern, mit Angst wegen der fehlenden Wirkung, aber es gab zu diesem Zeitpunkt noch kein ausreichendes Impfangebot.
Die Folgen spüren alle
Jetzt haben alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, und es würde mir heute deutlich schwerer fallen, mit meiner Krankheit im Zweifelsfall ohne Murren in die zweite Reihe der Dringlichkeiten zu gehen. Und selbst wenn das System Krankenhaus erst mal nicht zusammenbricht – es ist immer hilfreich und gut für kranke Menschen, wenn Pflegende Zeit haben, Ärztinnen nicht gestresst sind und Labore offene Kapazitäten haben.
Solange sich in Deutschland täglich viele Menschen infizieren, muss jeder Einzelne abwägen zwischen den möglichen Folgen der Impfung und den möglichen Folgen einer Infektion, und zwar für sich selbst und für andere. Denn auch wer individuell bereit ist, die Folgen einer Infektion zu tragen, die Folgen eines weniger gebremsten Infektionsgeschehens spüren alle.
Als "normalkranker" Mensch, der sich im Zweifelsfall in der Warteschlange vor dem Krankenhaus wiederfindet, kann ich ganz gut akzeptieren, wenn Menschen, von krankhaften Ängsten geplagt, sich gegen eine Impfung entscheiden – so wie manche Menschen nie in ein Flugzeug steigen, egal welche Statistiken ihnen gezeigt werden. Das ist dann so.
Es geht nicht um einen Wohlfühltermin!
Verstehen kann ich auch bis zu einem bestimmten Grad, dass Menschen sich nicht impfen lassen, weil sie an Dinge glauben, die in meinen Augen abstrus sind. Wer an einen implantierten Chip glaubt oder an viele verheimlichte Todesfälle als Folge der Impfung, den beeindruckt meine reduzierte Chemodosis tatsächlich nicht sehr.
Weniger akzeptieren kann ich ein diffuses Unbehagen als Begründung gegen das Impfen. Es geht hier nicht um einen Wohlfühltermin. Ganz ähnlich empfinden fast alle Menschen auch vor dem Zahnarzt und gehen trotzdem hin, weil das persönliche Nachdenken im Blick auf Schmerzen und Schönheit diesen Schritt nahelegt. Und für das Impfen gibt es doch auch gute Gründe.
Schwer erträglich finde ich alle Begründungen, die mit großen Werten und Begriffen um sich werfen. "Mein Körper, meine Entscheidung, meine Freiheit" tweetet ein junger Mann. Ende der Debatte.
Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass dieses schlichte Freiheitsverständnis schon mit dem Marlboro-Mann in die Wüste geritten wäre.
Einsam und frei - das geht nur auf einer Insel
Zu Corona passt die radikale Betonung der individuellen Entscheidung nun wirklich besonders schlecht. Es gehört ja gerade zum Wesenskern einer Infektion, dass Menschen die Krankheit nicht allein durchmachen, sondern sich gegenseitig anstecken. Einsam und frei auf einer einsamen Insel hätte niemand Probleme mit Corona, auch nicht hoch zu Ross im tiefen Westen.
In unserer Situation aber, in Städten und Dörfern, müssen wir uns im Blick auf die Krankenhäuser, im Blick auf unsere Kinder schon fragen und fragen lassen: Wie hältst du es mit der Impfung? Das Virus braucht uns Menschen und unsere Kontakte, und genau deshalb sind wir immer auch als Gemeinschaft gefragt.
Das Stigma Ungeimpfter (m/w/d)
Sehr geehrte Leserschaft und Redakteure !
Es ist schon sehr vertrackt, wenn trotz hoher Impfzahlen mehr denn je Intesivbetten von Corona- Patienten belegt sind und damit Schwerkranke zu spät behandelt werden.
Das liegt aber nur zum Teil an den Ungeimpften; denn Ungeimpfte, die negativ getestet werden, sind gesund und stecken niemand an. Durchbrüche und unvernünftiges
Verhalten von Geimpften sind das eigentliche Problem!
Stattdessen werden Ungeimpfte stigmatisiert und als Sündenböcke missbraucht, und das vorrangig von Politikern,
die vor der Bundestagswahl erneut beteuert haben, dass es in Deutschland keine Impfpflicht geben werde.
Dazu kann ich nur Pfui sagen. Mein Vertrauen in die Politik ist dahin. Und für uns Chrismonleser stellt sich auch viel mehr die Frage nach Gottvertrauen und Nächstenliebe ...
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@Christoph Matthes
Es ist wohl nicht so eindeutig, da mögen Sie recht haben, aber im Falle der Autorin stellt sich die Sache recht eindeutig dar.
" Und für uns Chrismonleser stellt sich auch viel mehr die Frage nach Gottvertrauen und Nächstenliebe ..."
Interessant, da genau die Nächstenliebe lassen Sie in Ihrem Kommentar vermissen.
Aber gut, dass Sie das erkennen.
Mit Ihrer Argumentation zielen Sie auf Polemik, nicht auf eine ernsthafte Einlassung.
Der Ausnahmezustand, in dem wir uns befinden, verlangt allen Opfer und Zurückhaltung ab, aber nicht den Verlust von Verstand.
"Stigmatisierung und Sündenbock " gehören eindeutig der Kampfrhetorik an.
Wenn sich für Sie die Frage nach Gott und Nächstenlie stellt, dann beantworten Sie sich diese ernsthaft mit entsprechendem Verhalten.
Kampfrhetorik war gestern,
Nächstenliebe und Empathie ist heute.
Das wäre doch ein guter Anfang, um der Pandemie in ihrem nächsten Schritt zu begegnen.
Und zur Politik:
Vor der Wahl hofften noch viele, dass die Pandemie allmählich zurückweicht, und die Vernunft obsiegt.
Und Vertrauen in die Politik ?
"Und ewig grüßt das Murmeltier ! "
P.S. Wie viele Menschen müssen denn noch sterben, bis der letzte Bürger im Land begreift, dass die Lage " zwar ernst, aber nicht hoffnungslos ist " !
Denn um die Angst geht es. Es geht auch nicht um Vertrauen in irgendwelche Versprechen, sondern um die ganz eigene Erkenntnis.
Trotzdem sind natürlich die Ängste nachvollziehar, aber kaum zu rechtfertigen.
Zum Thema Impfverweigerer gibt es einen sehr informativen Artikel in der SZ :
"Als Bayern drakonische Strafen für Impfgegner verhängte "
Pockenimpfung vor 200 Jahren.
https://www.sueddeutsche.de/bayern/impfpflicht-pocken-impfung-geschichte-widerstand-1.5472406?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Die Gründe der Verweigerer ähneln sich. Ist das nicht seltsam ?
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Leserpost zu "Schwer erträglich"
Liebe Pfarrerin Karin Lackus,
die junge Frau von der Sie berichten, befindet sich in einer Ausnahmesituation. Ich kann nicht beurteilen in wieweit ihr Arzt seinen Anteil an ihrer Schlussfolgerung hat, andere Kranke auf Intensivstationen seien an der geänderten Dosis bei der Therapie die Ursache und somit also Folge der Impfverweigerung einiger Egoisten.
Das diese junge Frau falsche Schlüsse zieht mache ich ihr in ihrer Lage nicht zum Vorwurf. Dennoch muss ich dieses Denken kritisieren. Sie erwartet von ihren gesunden Mitmenschen was sie selbst nur in ihrer besonderen Ausnahmesituation zulässt: Die Behandlung mit Stoffen, deren Schädlichkeit und Nebenwirkungen nicht zweifelsfrei geklärt sind.
Frau Pfarrerin, was mich aber fassungslos macht: Wie Sie die Sorgen dieser Frau zum Anlass dieses Artikels nehmen können um sogleich deren Schuldzuweisung aufzugreifen, sich in die Argumentation der Politik und der Mainstreammedien einzureihen und deren Argumente und deren Propaganda ohne jeden erkennbaren Zweifel übernehmen. Am Ende klingt auch bei Ihnen das Urteil nach: Wer sich nicht dem Willen der Politik unterwirft und sich den Willigen einreiht macht sich schuldig.
Ist es nicht Aufgabe von uns Christen derartige Schuldzuweisungen fernzuhalten und zu hinterfragen. Ist es nicht unsere Aufgabe Gräben zuzuschütten, statt diese weiter aufzureißen? Stellen wir uns doch lieber die Frage:
Wie wird wohl Gott uns Menschen, unsere Gesellschaft und uns Christen heute und jetzt sehen. Eine Gesellschaft eingeschüchtert von Angst, gespalten und gegeneinander aufhetzend und mit den Kriegstreibern an einem Tisch?
Der jungen Frau wünsche ich die Heilung von Ihrer schweren Erkrankung und hoffe, dass viele sie mit ihrem Gebet unterstützen – das ist unser Glaube, hier liegt unsere Hoffnung und Kraft! Für alles andere möchte ich mit Ihrer Überschrift enden „Schwer erträglich“.
Herzliche Grüße
Th. J. Hutschig
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