Aufeinander aufpassen!
Künstliche Intelligenz erkennt Depressionen. Wie wärs mit echter Intelligenz?
Tim Wegner
27.10.2021

Als mein iPhone neulich in der Krise war, gab es vorher keine Warnzeichen. Von jetzt auf gleich war es hinüber, ich kaufte ein neues und fühlte mich schuldig, dass ich dem ­Planeten weitere 86 Kilo Schrott aufgeladen hatte. 86 Kilo! So viel Abfall entsteht bei der Produktion eines neuen Smartphones. Man stelle sich das Gewicht in einem Rucksack vor. So was macht mich kirre. Umgekehrt gilt: Mein iPhone weiß demnächst ganz schnell, wenn ich in eine Krise gerate. Apple forscht an einer künstlichen Intelligenz, die Depressionen frühzeitig erkennt. Am Tempo, in dem wir schreiben, an Tippfehlern, an Bewegungs- und Schlafsensoren.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

Schönen Gruß ins Silicon Valley, ich will das nicht! Erstens wegen Datenschutz. Zweitens, weil ich beim Thema Depression lieber auf emotionale Intelligenz als auf künstliche setze. Soll demnächst, wenn ein depressiver Mensch nach einem Zusammenbruch in die Psychoklinik muss, die Ärztin sagen: "Haben Sie nicht auf Ihr Handy gehört?" Lieber ist mir, wenn ­meine Mitmenschen aufeinander aufpassen. Nicht unsere Handys.

Drittens nutzt ja der ganze Algorithmus nichts, wenn die Welt einen ­wahnsinnig macht. Die Zahl der Patienten, die an ­Depression oder Angststörung leiden, ist stark gestiegen. Aus ganz vielen Gründen, Corona, Klimaangst und die Überforderung, jedes Jahr ein neues Handy haben zu müssen, sind drei von vielen Faktoren. Was damit aber gar nicht Schritt hält, ist die Zahl der Psychotherapiepraxen.

Rufen Sie nächsten Sonntag eine Freundin an

Jede und jeder zweite Hilfesuchende muss über drei Monate auf einen Termin ­warten, das fand die Wirtschaftsjournalistin ­Miriam Meckel heraus, die mit "Brief an mein ­Leben" schon mal einen Bestseller über ­ihre eigene ­Depression schrieb. Jetzt schlägt Meckel vor, man sollte eher eine App entwickeln, mit der man schneller Hilfe findet. Adressen, freie Therapieplätze. Kaum zu glauben, dass es das nicht schon lange gibt.

Aufeinander aufpassen, was das heißt, habe ich in unserer ­Titelgeschichte gelesen. Sie handelt von Menschen, die jung verwitwet sind und erzählen, was ­ihnen geholfen hat in der Trauer. Unverlangt Essen für jemanden kochen. Anrufen. Und bloß nicht diesen Satz sagen: "Melde dich, wenn du was brauchst." "Reden und nichts verschweigen", sagt Renate. Und Sabine sagt: "Das Problem waren immer die Sonntage." Rufen Sie nächsten Sonntag eine Freundin oder einen Freund an, um den Sie sich ­Sorgen machen. Es ist das Beste, was Sie mit Ihrem Handy machen können.

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Sehr geehrte Frau Ott,
ich lese Ihre Kolumne als Katholikin mit gemischten Gefühlen. Sie geben sich als moralische Instanz, dabei nutzen Sie nach jüngster Ausgabe ein Handy der Firma Apple, die bekanntlich jegliches Maß der Ausbeutung von Menschen überschritten hat. Unter anderem hier: https://netzpolitik.org/2019/bits-und-baeume-die-arbeitsbedingungen-des-apple-lieferanten-foxconn-in-china/
Das heißt, Sie geben für den Kauf eines neuen IPhones garantiert 150% Gewinn an Apple, die Menschen in China in die Zwangsversklavung und wegen der fürchterlichen Arbeitsbedingungen schon in den massiven Selbstmord getrieben hat. Gute Idee! Dann auch noch von dem kaputten Iphone zu berichten, grenzt an Arroganz und Verachtung aller Menschenrechte. Vielleicht sollte eine Chefredakteurin eines Magazins, das Ethik im Programm hat, mal darüber nachdenken, sich ein Fairphone zu kaufen! Das ist zwar nicht 100prozentig fair, aber das einzige, nachhaltige und langlebige Handy, das es momentan auf der Welt gibt. Ich habe mittlerweile ein zweites und es kostet halb soviel wie ein Apple Gerät, hält gut durch, kann selbstständig repariert und nachgerüstet werden und nimmt das alte Gerät mit um es zu recyclen!!!!! 86 Kilo weniger Elektroschrott für Sie und die Welt.
Also: nachdenken und recherchieren vor dem Schreiben und vor allem dem Suchtverhalten gegenüber einem Datenkraken und Menschenvernichter wie: Apple.
Neues Fairphone auf dem Markt hier mehr darüber: https://www.fairphone.com/en/
Aktuelle Testberichte über das neue Fairphone 4 finden Sie bei Ihrer Google Suche und heise.de oder unter: https://www.nextpit.de/fairphone-4-test
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Hanisch

Liebe Frau Hanisch, danke für die kritische Zuschrift. Ich habe den Markennamen genannt, weil explizit Apple diese Algorithmen in Sachen Depression erforscht. Und weil nun mal sehr viele Menschen apple Geräte nutzen.

Das Fairphone empfehlen wir hier auch, es hat aber in diesem Kontext nicht gepasst.

Zuletzt hier

https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2020/50887/wir-bessermacher-geschenktipps-aus-der-chrismon-redaktion

und hier

https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2020/50619/muell-vermeiden-ganz-einfach

Gute Woche!

Ihre

Ursula Ott, Chefredakteurin

Sehr viel besser wäre, für unsere Umwelt wie für unsere Psyche, wenn hier ein Aufruf stehen würde die Handys wegen Aufmerksamkeit und wirklich-wahrhaftige Kommunikation ganz aus unserem "Zusammenleben" zu verbannen.

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Guten Morgen, Frau Ott,
las gerade beim Frühstück Ihre wertvolle Ansage zum Thema "Aufeinander aufpassen!" und darin Ihre Klage, dass es keine App gibt, wo man schnelle Hilfe, Adressen und auch freie Psychotherapieplätze findet. Gibt es aber:
Bei den Kassenärtzlichen Vereinigungen kann man sich genau diese Informationen einholen. Die vermitteln zeitnahe, freie und erreichbare Therapiemöglichkeiten - sowohl für somatische als auch psychische Erkrankungen.
Vielleicht ein wertvoller Hinweis in der nächsten Ausgabe.
Herzlich
Katharina Weinzheimer

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Liebe Frau Ott, ich schreibe dies auf meinem Fairphone. Ich schreibe, weil ich mich (und Sie) frage: Was soll diese Markenbetonung "mein iPhone" ? Sie wollen den Schrott vermeiden, den die Produktion verursacht? Wirklich?
Dann kaufen Sie doch ein Fairphone. DAS ist ein Statussymbol für Leute, die umweltbewusst und verantwortlich agieren möchten, auch mit dem "Handy".
Freundliche Grüße,
Ursula Breuel

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Sehr geehrte Frau Ott,
da gibt Ihr iPhone seinen Geist auf, Sie sind sich dessen bewusst, was es für die Umwelt bedeutet ein neues zu kaufen, aber Sie kaufen es trotzdem. Indem Sie darob ein schlechtes Gewissen haben, und das auch reumütig zugeben, beruhigen Sie Ihr Gewissen. Genau das ist das Problem. Wir Menschen sind uns unserer Missetaten bewusst und begehen sie trotzdem; statt zu überlegen: brauch ich das zwingend? Muss es ein iPhone sein? Genügt nicht ein Handy, um jederzeit und überall erreichbar zu sein? Unsere Handys sind weit über 10 Jahre alt und können nur telefonieren, nicht einmal fotografieren. Und werden uns vermutlich weitere 10 Jahre dienen.
Ohne ein paar Verzichte wird es keinen Klimawandel geben!
Denken Sie mal gründlich darüber nach. Das gibt dann genug Stoff für die nächste "Ansage" und anschließend vielleicht auch anderen Leserinnen und Lesern zu denken.

Mit freundlichem Gruß

Gerd Menzel

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Sehr geehrte Frau Ott,
vorab vielen Dank für Ihr gelungenes Magazin, das ich sehr schätze. Sie greifen in Ihrem Artikel „Aufeinander aufpassen“ ein wichtiges Thema auf. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie erwähnt hätten, dass es z.B. mit dem „Fairphone“ durchaus eine ethische und ökologische Alternative zum von Ihnen indirekt „beworbenen“ Produkt von Apple gibt. Auch wenn dies nicht der inhaltliche Schwerpunkt Ihres Artikels war, ergibt sich vielleicht die Gelegenheit dies nachzuholen. Das würde mich freuen.
Einen schönen Sonntag und viele Grüße
Frank Wolters

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Liebe Frau Ott,
ich lese chrismon regelmäßig und sehr gerne, obwohl ich ohne Konfession bin; ich finde es ausgesprochen aktuell, interessant und kritisch und mir gefällt, dass so viele Frauen zu Wort kommen.
Nun bin ich etwas bestürzt über Ihre Ansage: "Aufeinander aufpassen". Bestimmt wollten Sie nicht bewusst Werbung für das iPhone von Apple machen, es wirkt eher gedankenlos, mit welcher Selbstverständlichkeit Sie das teure Handy, kaum kaputt, durch ein neues iPhone ersetzen. Dann kommen die Schuldgefühle wegen des Elektroschrotts.
Ich hätte es gut gefunden, etwas früher innezuhalten. Und über ein nachhaltigeres Modell nachzudenken.
Es gibt seit ein paar Jahren das FAIRPHONE, das nachhaltiger hergestellt wird und repariert werden kann. Wie viel weniger Elektroschrott/Kinderarbeit genau die Herstellung eines FAIRPHONES verursachen, weiß ich nicht, die Zahlen finden sich sicher auf der Webseite. Garantiert viel weniger als ein iPhone von einem Konzern, der nicht einmal korrekt Steuern bezahlt.
Ich rufe übrigens gerne mal vom Festnetz eine Freundin an. Das ist vielleicht altmodisch, funktioniert aber auch!
Herzliche Grüße
Katharina Lisson