Schlimmer geht's immer
An klaren Worten zur Aufarbeitung sexueller Gewalt fehlt es den katholischen Bischöfen nicht. Warum übernimmt dann niemand Verantwortung?
Tim Wegner
25.02.2021

An klaren Worten fehlt es den katholischen Bischöfen nicht. Die katholische Kirche gebe ein "skandalöses Bild" ab, sagte der Limburger Bischof Georg Bätzing am Donnerstag mit Blick auf die Krise im Erzbistum Köln. Anfang der Woche hatte er das Vorgehen des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki als "Desaster" bezeichnet. Bätzing ist Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, die sich von Dienstag bis Donnerstag digital zu ihrer Frühjahrsvollversammlung getroffen hat.

Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller ist Chefredakteurin von chrismon. Davor war sie viele Jahre Redakteurin beim "Tagesspiegel" in Berlin.

Das "Desaster" hatte Woelki ausgelöst, weil er sich als harter Aufklärer sexueller Gewalt darstellt, bei einer Münchner Anwaltskanzlei ein Gutachten über die Taten und die Vertuschungsversuche in seinem Erzbistum in Auftrag gegeben hat. Doch nun will er es nicht veröffentlichen, weil es angeblich mangelhaft ist. Betroffene sind bestürzt über das intransparente Vorgehen und fühlen sich einmal mehr hintergangen. Der Diözesanrat, die oberste Vertretung der Katholiken im Erzbistum Köln, hat die Zusammenarbeit mit Woelki aufgekündigt. Und so viele Kölner Katholiken wollen aus der Kirche austreten, dass zeitweise der Server im zuständigen Amtsgericht zusammengebrochen ist. 

Es ist ein unwürdiges Spiel, die Verlierer stehen fest

Auch Woelki spricht Klartext: Wenn die Kirche versuche, ihren Ruf zu schützen und Missbrauch vertusche, missbrauche sie ihre Macht, sagte er am Sonntag in einer Videobotschaft zur Fastenzeit. Stattdessen müsse sie sich dafür einsetzen, dass den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahre. "Das bedeutet: Verantwortung übernehmen, Verantwortliche benennen, auch Fehler klar aussprechen." Woelki sagt’s - und macht weiter wie bisher. Er hat ein neues Gutachten bei einer anderen Anwaltskanzlei bestellt, es soll am 18. März veröffentlicht werden und auch seine eigene Rolle bei der Aufarbeitung beleuchten. Seit Wochen bekriegen sich die Anwälte untereinander, ob und wer welche Fehler gemacht hat.

Es ist ein unwürdiges Spiel, und die Verlierer stehen schon fest: Es sind die Männer und Frauen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben. Seit mindestens zehn Jahren warten sie vergeblich darauf, dass die Täter und Vertuscher zu ihrer Verantwortung stehen und ihre Posten räumen oder andere schmerzhafte persönliche Konsequenzen ziehen.

Studien haben die systemischen Ursachen für die Gewalt längst benannt, in etlichen Bistümern ist mittlerweile klar, wer die Täter und wer die Vertuscher waren und sind. Und jeder Bischof, Generalvikar und Personalverantwortliche, der ein Gewissen hat, weiß doch, was er falsch gemacht hat. Aber bislang ist kein Einziger zurückgetreten. Lieber geben sie weitere Studien in Auftrag, demnächst wollen die Bistümer unabhängige Aufarbeitskommissionen einsetzen. Bischof Bätzing sagte am Donnerstag, er wäre sogar für eine "Wahrheitskommission", wenn die Bundesregierung oder das Parlament eine solche einsetzen würde, um die Aufarbeitung des Missbrauchs in den Kirchen, aber auch in den anderen gesellschaftlichen Bereichen voranzutreiben.

Wer kann dieser Kirche noch vertrauen?

So viele Studien, Kommissionen, so oft haben Bischöfe ihre Scham angesichts der Verbrechen bekundet und schonungslose Aufklärung versprochen - und so wenig sind sie bereit, persönlich geradezustehen. Wer kann dieser Kirche noch vertrauen?

Die Folgen bekommt auch die evangelische Kirche zu spüren. Der Präses der rheinischen Landeskirche sprach kürzlich von einer "ökumenischen Haftungsgemeinschaft" und fürchtet, dass auch bei den Evangelischen die Austrittszahlen in die Höhe schnellen werden. Die evangelische Kirche hat im Dezember eine groß angelegte, landeskirchenübergreifende Studie in Auftrag gegeben, die bis 2023 einen Überblick über die Taten und Vertuschungsversuche geben soll. Inwiefern sie die Verantwortlichen mit Namen benennen darf und soll, ist nicht geklärt.

"Bis zum Sommer werden wir jedem Katholiken ein Angebot zum Kirchenaustritt machen können" – dazu ein Foto des lächelnden Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki. Dieses Bild mit diesem Spruch macht gerade in katholischen Kreisen die Runde. Es ist leider überhaupt nicht zum Lachen.

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Wer sein Wissen unter den Tisch kehrt, macht es zum bösen Gewissen, das die Öffentlichkeit scheut. Wer sein Gewissen unterdrückt, macht es zur möglichen Schuld, und ist damit noch schuldiger. Die Wahrheit juristischen Spitzfindigkeiten unterzuordnen, ist perfide. Ein neutrales Urteil nicht wahr haben zu wollen, ist eine Flucht aus den Realitäten und der Verantwortung. Ohne Verantwortung zu sein bedeutet, nicht mehr benötigt zu werden. Wer Andere im falschen Glauben lässt um selbst gut da zu stehen, verrät die Gläubigen und seine angeblichen Werte. Und das nur für die Aussicht auf einen guten Ruf und für diesen die Bezahlung. Er bekommt Geld für den Verrat seiner Werte. Wer ist unser Herr? Es ist das Gewissen, das uns selbst wie ein guter Hirte vor Lügen und Unrecht gegenüber dem Nächsten bewahren soll. Wer sein Gewissen ausschaltet, um weiterhin Anerkennung und Pfründe zu schützen, verrät sich selbst und die, die immer noch glauben, das alles in Ordnung ist. Wer hat vor 1988 Jahren auch seinen Herrn verraten?