Zuschauerinnen bei einer Dorfveranstaltung gegen die weibliche Beschneidung
Zuschauerinnen bei einer Dorfveranstaltung gegen die weibliche Beschneidung
Kai Gebel
Eine Ziege für die Beschneiderin
Der Verein Archemed kämpft im ländlichen Eritrea dafür, dass Mädchen nicht verstümmelt werden
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
29.07.2019

 Sie nennt es "to beautify" – verschönern. Nesrit Gheber Rebi, 60, hat Hunderte von Mädchen beschnitten, wie viele genau, weiß sie nicht mehr. Im eritreischen Dorf Humeray, eineinhalb Auto­stunden nördlich der Hauptstadt ­Asmara, war sie die einzige Beschneiderin. Alle brachten ihre Töchter irgendwann zu ihr, meist mit vier oder fünf Jahren. Weil es Tradition ist. Weil natürlich gewachsene Schamlippen und Klitoris als unrein gelten, ­
als unhygienisch, hässlich oder gefährlich – und als Hindernis, einen Ehemann zu finden und damit wirtschaftlich versorgt zu sein. Einmal sei eine unbeschnittene 28-Jährige gekommen: "Sie fürchtete, dass ihr Mann sie nach der Hochzeitsnacht wegschickt. Ich beschnitt sie, damit sie voller Selbstvertrauen in die Ehe gehen konnte."

Die Mütter kommen mit ihren Babys jetzt in der Dunkelheit

Rebi nennt es Verschönern, die WHO spricht von Verstümmeln: das Abtrennen von Teilen der Klitoris und – je nach Methode – auch der Schamlippen, oft mit Rasierklingen oder Messern, ohne Betäubung. Die FGM "Female Genital Mutilation" (weibliche Genitalverstümmelung) ist in etwa 30 überwiegend afrikanischen Ländern üblich. Internationale Organisationen wie UNICEF oder Terre des Femmes engagieren sich dagegen. Einige Regierungen stellten das Ritual in den vergangenen Jahrzehnten unter 
Strafe. Auch in Eritrea, einem der ärmsten Länder der ­Erde, ist FGM seit 2007 gesetzlich verboten. Eine Beschneiderin riskiert einige Jahre Gefängnis oder eine hohe Geldstrafe, wenn sie es trotzdem tut. Trotzdem werden immer noch sehr viele Mädchen beschnitten, vor allem in den ländlichen Gebieten. "Ich wusste nicht, dass es illegal ist", sagt Rebi. Sie praktiziert nicht mehr, seit eine Frauenrechtlerin im vergangenen Jahr ins Dorf kam und die Bewohner schulte. "Jetzt ist mir das Risiko zu groß." Aber leicht fällt es ihr nicht. Zum einen ist die Nachfrage geblieben. "Die Mütter kommen mit ihren Babys in der Dunkelheit zu mir. Sie bitten mich, diese heimlich zu beschneiden." Zum anderen hat sie kein Einkommen mehr und weiß nicht, wovon sie leben soll.

"Aufklären allein reicht nicht", sagt Antje Thomas. ­Die Bonnerin betreut als ehrenamtliche Mitarbeiterin des deutschen Vereins Archemed das FGM-Projekt in Humaroy und anderen eritreischen Dörfern. Sie arbeitet mit der eritreischen Frauenrechtlerin zusammen, die in ihren Schulungen anhand von Schautafeln und Filme zeigt, wie brutal und lebensgefährlich eine Beschneidung wirklich ist. "Das rüttelt gerade die Männer auf. Beschneidung war Frauensache und ein Tabu, über das man nicht sprach." Und sie kümmern sich auch um die ehemaligen Beschneiderinnen wie Nesrit Gheber Rebi. Diese sollen eine Ziege erhalten, als Startkapital, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Sie waren angesehene Frauen im Dorf – 
das sollen sie bleiben.

Spendeninfo

Für das hier vorgestellte Projekt von Archemed können Sie spenden: IBAN: DE63 4145 0075 0000 0882 03Stichwort: FGM/chrismonARCHEMED – Ärzte für Kinder in Not e. V., Hauptstr. 15, 59519 Möhnesee, Tel: 02924/2252, Schreiben Sie auch gerne eine Mail

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Dank für diesen Artikel über ein altes und schreckliches Thema. Als Mitteleuropäer
mag ich mir eine solche Beschneidungssituation gar nicht vorstellen, es ist gar zu
grausig. Und diese Quälerei geht im Zweifelsfall auch noch mit regelrechten
Gesundheitsgefährdungen einher, sei es sofort, sei es im Weiteren.

Persönlich halte ich das Archemed-Projekt für unterstützungswürdig, wobei ich mich
insoweit mit Zweifel plage, ob nicht auch solche archaischen Traditionen ein gewissen
Respekt verdienen.

Wie wäre es aber doch, zumindest auch vor der eigenen Haustür zu kehren und z.B.
hierzulande gegen Beschneidungen von Jungen vorzugehen, eine Praxis, die nach
meinem Empfinden nicht nach Europa gehört. Egal, wie es "begründet" wird.

Ganz persönlich finde ich das Geschnippel an Genitalien von kleinen Kindern
- Verzeihung - zum Kotzen.