10,5 Millionen. So viele Mitglieder wird die evangelische Kirche in Deutschland 2060 vermutlich haben. Halb so viele wie heute. Das hat das Freiburger Forschungszentrum Generationenverträge errechnet.
Claudia Keller
Die Prognose überrascht nicht. Seit Jahren schrumpft die Schar der Kirchenmitglieder. Wenn die jährliche Statistik dazu veröffentlicht wurde, hieß es oft aus den Kirchenämtern, man könne halt nicht viel gegen die demografische Entwicklung machen. Doch die Freiburger Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Rückgang vor allem daran liegt, dass so viele Menschen aus der Kirche austreten. Das ist neu. Und daran kann die Kirche durchaus etwas ändern. Sie muss sich dafür nicht neu erfinden, sondern umsetzen, was längst erkannt wurde.
Bischöfinnen und Bischöfe können ihre Glaubwürdigkeit stärken, indem sie die vielen Fälle sexueller Gewalt konsequent und transparent aufklären. Gemeinden können sich öffnen, die Menschen in der Nachbarschaft nach ihren Bedürfnissen fragen und sie kontinuierlich einbeziehen. Das ist nicht einfach, aber Gemeinden, die das versuchen, haben Zulauf.
Keine Volkskirche mehr
Die Prognose sollte aber nicht nur Kirchenämter beunruhigen. Wenn sie sich erfüllt, ist die Kirche im Jahr 2060 keine Volkskirche mehr. Sie wird von einer Minderheit getragen werden und vermutlich nicht mehr für alle da sein können. Denn auch die Kaufkraft aus dem Kirchensteueraufkommen wird sich halbieren. Arbeitsplätze werden verloren gehen, denn die Kirchen sind mit ihren Wohlfahrtsverbänden die zweitgrößten Arbeitgeber in Deutschland. Viele Suppenküchen und Beratungsstellen werden schließen müssen, und auch all die schönen Bachkonzerte und Kirchenchöre wird es wohl so nicht mehr geben. Womöglich ist dann auch der Weg zur Pfarrerin weit, wenn man sie doch mal braucht. Und wer macht sich politisch stark für die Schwachen – auch dann, wenn es keine Wählerstimmen bringt? Wenn die Kirchen an Einfluss verlieren, wer hinterfragt dann noch hörbar, welche Folgen künstliche Intelligenz und vorgeburtliche Tests für die Gesellschaft haben?
Es ist ein Fehler zu denken, die Kirchen sind so reich und groß, dass es keinen Unterschied macht, ob ich austrete. Es kommt auf jeden Einzelnen an, wenn die Kirchen ihre Aufgaben wahrnehmen sollen wie bisher. Die Folgen werden auch für alle spürbar sein.
Kirchen mit immer weniger Mitgliedern
Bin ich gern in der Kirche und ist das erkennbar? Naja, neben guten Erlebnissen bin ich schon auch enttäuscht.
Die evangelische Kirche kommt mir manchmal zu harmlos vor, wie eine nette Gesprächsrunde: Man erzählt sich gute Geschichten von Gott und redet über vieles. Der Gottesdienst der Landeskirche ist mir zu steif und kalt, die Botschaft tut mir manchmal gut. Gottesdienste von Evangelikalen, und vor allem Landeskirchlicher Gemeinschaften, finde ich familiärer und persönlicher, aber deren Botschaften bedrängen mich manchmal. Bei Kirche bekomme ich wenig mit für Herausforderungen oder Anliegen des sonstigen Lebens (Beruf, Partnerschaft, Freizeit). Vielleicht erhoffe ich mir etwas Unpassendes.
Das machen nicht-kirchliche Gruppen nicht besser als Kirche. Jedoch hat Kirche mit Gott zu tun, der den Tod besiegt hat und total gutes Leben verheißt. Darum erhoffe ich mir von Kirche mehr als von anderen. Freilich weiß ich, dass Kirche aus Menschen besteht, die eben begrenzt sind. Doch Gott wirkt ja in ihnen, da wünsche ich mir schon mehr Gutes: Wunderheilungen, Worte, die Obdachlosen oder Einsamen viel Mut machen, Gottesdienste, die Freude und Gemeinschaft stark anregen, Pflegeheime, in denen Pflegebedürftige von der Versorgung schwärmt und das Pflegepersonal von den Arbeitsbedingungen u.s.w.
Naja, wahrscheinlich ist eben die Sünde in diesem Leben (bis zum Tod) doch stärker als es Gott und mir lieb ist, darum ist das Leid so viel. Erhoffen und erwarten Menschen von Kirchen ähnlich wie von Politik zu viel?
Können andere Menschen (nicht ich) Freude, Gemeinschaft, Vertrauen oder Mut, überhaupt Gott, in der Kirche stärker als woanders erlebt werden? Ist diese Hoffnung berechtigt? Wenn solche eine Freude da wäre, ürden Nicht-kirchliche der Kirche die Bude einrennen, oder was meinen Sie? Da Kirche bisher schrumpft, muss sie leider Stellen und Angebote weglassen.
Jemand sagte mal, Gott macht manchmal auf sich aufmerksam, indem er fehlt oder schweigt. Tut er das bei vielen Menschen in Westeuropa seit einigen Jahrzehnten (oder länger)? Hören Menschen zu wenig auf ihn? Ich weiß nicht.
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Zitat: "Die Prognose sollte
Zitat: "Die Prognose sollte aber nicht nur Kirchenämter beunruhigen".
Da wird sie wieder benannt, die wohlversorgte Ungewissheit. Beunruhigen? Was für ein vielsagender Begriff. Wer beunruhigt ist, der hört in der gut verschlossenen Stube den fernen Donner grollen, weis aber nicht, woher der Wind weht. Der hofft auch, dass es ihn nicht treffen möge, denn eine Beunruhigung könnte ja auch ohne Schaden vorüber gehen. Möge es die Anderen treffen, Hauptsache meine "Kirchenämter" sind im Trockenen. Das Problem liegt tiefer. Kann unsere Religion noch zufriedenstellende Antworten auf die mittelalterliche nebulöse Paradieserwartung geben? Die Aufklärung ist in das Endstadium ihrer Wirkung eingetreten. Wie die gesellschaftlichen und politischen Ideale (Demokratie, Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, Nationalismus, etc.) sich bis zur Unfähigkeit verstümmeln, haben es auch alle Religionen schwer, sich ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Wohin das führt? Keiner weis es und wer es doch wider Erwarten wissen sollte, der wird nicht für wahr genommen. Die Evangelikalen, die Erleuchteten, die esotherischen Weihräucherer, alle sind sie mit ihren Behauptungen willfährige "Faker", die alles als wahr hinstellen, was ihnen dienen könnte. Sie sind die „AfD“ der Religionen, die mit der Gutgläubigkeit ihr Geschäft betreiben.
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