Die hierarchische Gesellschaft in Tansania macht dem Krebsarzt ziemlich zu schaffen
Die hierarchische Gesellschaft in Tansania macht dem Krebsarzt ziemlich zu schaffen
Michael Güthlein
Helfer sein in Afrika –nicht so einfach
Die hierarchische Gesellschaft in Tansania macht dem Krebsarzt ziemlich zu schaffen
Tim Wegener
26.04.2018

Oliver Henke:

Als einzelner Arzt kann man in Tansania mehr helfen als in Deutschland. Diesen Eindruck bekam ich, als ich als Student zwei Monate in dem ostafrikanischen Land arbeitete. Damals nahm ich mir vor: Ich komme zurück, wenn ich Facharzt bin. Jetzt sind wir hier, für mindestens drei Jahre – ich als Onkologe, meine Frau Antje als Spezialistin für Public ­
Health. Zusammen mit unseren drei Kindern. Wir ­werden bezahlt von der evangelischen "Mission EineWelt" in ­Bay­ern. Unsere Aufgabe: eine Krebsstation aufzubauen. Unser Traum ist wahr geworden.

Aber nach vier Monaten fielen wir zunächst in ein Loch. Wir hatten schon einiges auf die Beine gestellt: ­Meine Frau plante eine Kampagne, bei der alle zwei Monate an einem anderen Ort auf einer Art Volksfest über Krebs informiert wird, und ich hatte begonnen, Patienten mit Chemo­therapien zu behandeln. Aber die Arbeitsabläufe hier machten mir zu schaffen. Ich dachte oft: Mensch, ihr könnt das doch viel effektiver machen! Warum muss ein Meeting drei Stunden dauern, wenn das Ergebnis minimal ist? In Deutschland ist das Arbeiten strukturiert und durchgetaktet, manchmal auch zu sehr. Jetzt war ich von einem Extrem ins andere geraten. Es muss doch etwas in der Mitte geben! Dass man sich nicht verausgabt, aber ­einen Sinn für Dringlichkeit bewahrt.

Ich kann schwer akzeptieren, wenn beim Umgang mit Patienten geschludert wird

In meinem eigenen kleinen Team gelingt uns das gut. Wir sind, außer mir, zwei einheimische Fachärzte und eine Assistenzärztin, alle im Ausland ausgebildet. Wir können gut priorisieren. Auf anderen Stationen des ­Krankenhauses ist das komplizierter. Da vergessen ­Schwestern schon mal, Patienten ein Antibiotikum zu verabreichen. Oder man stellt eine Chemo-Infusion, die nicht läuft, bis zum nächsten Tag einfach ab, anstatt es noch mal zu versuchen. Ich kann mich an lange Meetings gewöhnen, aber ich kann schwer akzeptieren, wenn beim Umgang mit Patienten geschludert wird oder dringende Behandlungen auf später verschoben werden.

Einmal kam ein junger Mann in die Klinik, bei dem ich Leukämie feststellte. Er musste sofort zur Weiterbehandlung in die größte Stadt Tansanias. Ich organisierte alles und bat die Kollegen, ihn in den Bus zu setzen, weil ich für ein paar Tage auf eine Kirchenkonferenz fuhr. Als ich zurückkam, war er gestorben. Er hatte seine Rechnung nicht sofort bezahlen können, also dachten die Kollegen, dass er noch warten müsse. In solchen Momenten hadere ich auch mit dem Glauben. Viele Tansanier feiern zwei Stunden im Gottesdienst – aber Glaube zeigt sich doch auch über das, was man tut! Anderer­seits werde ich auch positiv überrascht. Wenn wir Ärzte durch einen Notfall gebunden sind, stellen sich die Schwes­tern ins volle Wartezimmer und machen Gesundheitserziehung, sie informieren die Patienten über Krebssymptome oder wie man mit den Chemo-Nebenwirkungen klarkommt.

Ich habe noch nie gehört, dass jemand sagt: 'Das war ich.'

Bei unerwarteten Ereignissen herrscht oft große Hilflosigkeit, und junge Kollegen stellen mir hanebüchene Fragen. Ich frage sie dann, wie sie vorgehen würden. Und meistens können sie alles! Wenn ich sie anleite, kommen sie auf die Lösung. Aber sie schaffen den Sprung nicht, ihr Wissen anzuwenden und sich selbst Antworten zu geben. Wahrscheinlich ist der Grund ihre Erziehung. In der Schule hört man dem Lehrer zu und widerspricht nicht, Kreativität wird nicht gefördert. Die Vermittlung des ­Wissens ist kein Problem, aber die Umsetzung. Schlimm finde ich das Zeigen auf andere, wenn Fehler passieren. Ich habe noch nie gehört, dass jemand sagt: Das war ich. Für eine Fehlerkultur braucht man Selbstbewusstsein, und daran mangelt es in einer hierarchischen Gesellschaft.

Einmal warf ich einem Freund den ganzen Frust vor die Füße. Er sagte: Ihr habt doch trotzdem alles geschafft, was von euch erwartet wurde und sogar noch mehr! Mein Freund hat recht. Wenn man von außen draufguckt, haben wir in den bisher rund anderthalb Jahren viel erreicht. Wir haben Hunderte Patienten behandelt; dank der Kampagne meiner Frau werden Krebserkrankungen früher erkannt, statt dass die Leute erst in die Klinik kommen, wenn man den Krebs nicht mehr heilen kann; und mein Einfluss auf die jungen einheimischen Kollegen ist groß. Ich bin überzeugt, dass davon etwas bleibt.

Protokoll: Michael Güthlein
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Dieser oben genannte Artikel atmet noch voll und ganz den Geist des Kolonialisten oder Missionars, der nach Afrika geht, um den Menschen, die er auf dem Entwicklungsstand von Kindern sieht, Hilfe zu bringen (dabei kam von Europa meist nur der Tod), atmet den Geist der Lübke­ Zeit und derer, die nach Afrika gehen und sich gern mit einem Mohrenkind ablichten lassen. Nur die inkriminierten Wörter wie Mohr oder Neger bleiben zu lassen, die Menschen dort aber weiter genau so zu behandeln, ist nicht prima.

Zum Artikel: Warum braucht Afrika die Ehefrau von Herrn Henke? Gibt es keine Afrikanerin. die das kann und der Frau Henke zur Seite stehen kann? Warum ist das Arbeiten in Deutschland strukturiert und durchgetaktet und in Tansania nicht? Liegt es nicht manchmal an konkreten Situationen am Arbeitsplatz, an dem sich Herr Henke befindet, oder ist das genetisch, dass die Afrikaner so sind?

„In meinem eigenen kleinen Team gelingt uns das gut. Wir sind. außer mir zwei einheimische Fachärzte und eine Assistenzärztin, alle im Ausland ausgebildet. Wir können gut priorisieren. Auf anderen Stationen ... ist das komplizierter. Da vergessen Schwestern schon mal ... aber ich kann schwer akzeptieren, wenn beim Umgang mit Patienten geschludert wird ..." Dann berichtet Dr. Henke, wie in seiner Abwesenheit ein Patient stirbt. der hätte gerettet werden können, wenn er, der Weiße, der Deutsche, da gewesen wäre. Und er kommt zu der Beobachtung: Viele Tansanier feiern zwei Stunden im Gottesdienst - aber Glaube zeigt sich doch auch über das, was man tut." Und so geht der Artikel bis zum Ende weiter.

Ich glaube, dass Dr. Henke in Tansania sicher eine lobenswerte medizinische Arbeit verrichtet. Aber mit solch einem Artikel tun Sie ihm keinen Gefallen, tun Sie sich keinen Gefallen und dem Kampf gegen deutsche Arroganz und Überheblichkeit auch nicht.

Ich bin ein Mitglied Ihrer Kirche. Dass meine Steuern für solche Artikel herhalten müssen, finde ich beschämend. Nur das Wort „Neger" weg aber den Geist dahinter weiter gewähren zu lassen, ist nicht konsequent. Afrika wurde über viele Jahrzehnte von uns verwüstet. Deshalb ist es gut, wenn es Helfer wie Herrn Dr. Henke gibt. Sie braucht es aber nicht deshalb, weil die Afrikaner blöder sind als wir. Warum hat von Ihnen keiner „Halt! Stop!"gesagt, als dieser Artikel zustande kam? Er ist so selbstgerecht und überheblich. Herr Güthlein kann sich nicht damit herausreden. dass er nur protokolliert hätte.

Das Erziehungssystem hat Dr. Henke ausgemacht, dass Kreativität in Tansania verhindert wird und Autoritätshörigkeit entsteht. Als Deutscher sollte man da ein wenig zurückhaltender sein.

Zum Schluss noch dieses Zitat: „Schlimm finde ich das Zeigen auf andere, wenn Fehler passieren." Da bleibt einem fast die Spucke weg. Der ganze Artikel ist doch in genau diesem Geist gehalten: Ich bin schlau. die anderen sind blöd.

Achim Wellbrock

Lieber Herr Wellbrock,

Herr Henke berichtet in dem Text über seine persönlichen Beobachtungen, Gefühle und Erfahrungen bei seiner Arbeit als Arzt in Tansania. Diese Tätigkeit hat er aufgenommen, da es in Tansania kaum Ärzte seiner Fachrichtung gab und er seine Expertise mit lokalen Kollegen teilen und weitergeben möchte. Sowohl er, als auch seine Frau, arbeiten vor allem mit tansanischen Kollegen zusammen.

Unter seinen Beobachtungen sind auch positive, die allerdings im Text weniger Raum einnehmen, da es primär um die Zweifel geht, die er nach einigen Monaten verspürt hat. Dabei zweifelt er ja durchaus auch an der Sinnhaftigkeit seiner eigenen Tätigkeit. Die Zweifel und den Umgang damit auszudrücken, war ein zentrales Anliegen des Protokolls.

Weder bedient sich Herr Henke dabei rassistischer oder beleidigender Begriffe, wie Sie richtigerweise feststellen, noch führt er die Schwierigkeiten auf Rasse, Hautfarbe, Nationalität oder Gene zurück, sondern mutmaßt, dass die Ursache im hierarchischen Erziehungssystem liegen könnte. Auch sagt Herr Henke nicht, dass sich seine Beobachtungen auf grundsätzlich alle Tansanier übertragen lassen. Er begründet seine Sicht mit sachlichen Argumenten. Seine Kritik am Bildungssystem in Tansania dürfen Sie gerne widerlegen.

Sowohl Herrn Henke als auch mir als Protokollanten war bewusst, dass es sich gerade mit Blick auf die Vergangenheit Tansanias als deutsche Kolonie und die damit einhergende Ausbeutung, um ein heikles und sensibles Thema handelt. Wir waren uns aber einig, dass es falsch wäre, Probleme zu verschweigen. Deren Ursachen mögen vielfältig sein und sicher auch in der Kolonialzeit wurzeln.

Über die grundlegende Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit kann man natürlich auch unterschiedlicher Meinung sein.

Herzliche Grüße

Michael Güthlein

Danke Herr Wellbrock. Ich habe mich beim Lesen auch etwas erschrocken. Allein die Überschrift finde ich sehr unpassend: Der Bericht von Dr. Henke wird generalisiert auf ganz Afrika bezogen. Dazu das Wort Entwicklungshelfer, welches immer irgendwie nach "Die da unten sind zu doof sich selber zu helfen" klingt. Wie wäre es mit: "Als Onkologe in Tanzania"? Allgemein wäre es auch schön, wenn in Bezug auf Tanzania dieselbe Sprache verwendet würde, die man auch im Bezug auf Deutschland gebraucht. Wir sagen ja auch "Es besteht ein Facharztmangel in ländlichen Regionen" Und nicht "Dr. Henkel geht jetzt als Entwicklungshelfer nach Sachsen-Anhalt (Oder gleich Europa)"
Ich würde mich freuen, wenn Sie den Artikel noch einmal kritisch betrachten und gegebenenfalls etwas Anpassen. Dankeschön.