Mehr Mut wär‘ gut
Dem Papstschreiben "Über die Liebe in der Familie" fehlt es an Zutrauen in die Gläubigen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
08.04.2016

Die Trendwende bleibt aus. Die Hoffnung war groß, dass sich die katholische Kirche aus dem selbstquälerischen Umgang mit den Themen Familie und Sexualität befreien würde. Endlich, so wünschten viele, würde sie sich durchringen zu einer menschlicheren Haltung gegenüber denen, deren Ehe gescheitert war und die deshalb andere Partner geheiratet haben (was die katholische Kirche grundsätzlich ablehnt). Wer das mit Spannung erwartete Papier, euphemistisch überschrieben mit "Amoris Laetitiae" (Die Freude der Liebe), liest, merkt schnell: Der Papst will zwar Mut zur Menschlichkeit machen, ohne allerdings etwas an kirchenrechtlichen Restriktionen zu ändern. Als neuen Akzent kann man allenfalls werten, dass er den Entscheidungsraum der Pfarrer und Priester erwähnt. Er betont deren Gewissensfreiheit, nicht aber die der betroffenen Gläubigen. 

Verlassene Partner werden zusätzlich bestraft

Faktisch bleibt es also dabei: Für wieder Verheiratete bleibt der Sakramentenempfang verboten - so lange, bis ein Pfarrer grünes Licht gibt. Das historische Ärgernis in der katholischen Ehepastoral wurde nicht ausgeräumt: Sogar die vom Partner verlassenen katholischen Eheleute sind ohne priesterliche Sondererlaubnis von den Sakramenten ausgeschlossen, wenn sie neu heiraten: Opfer einer unglücklichen Ehe werden mithin von ihrer Kirche zusätzlich bestraft.

Ein bescheidenes Ergebnis, wenn man die langen Vorbereitungsarbeiten des Papieres berücksichtigt. Der Veröffentlichung der fast 200 Seiten dicken Erklärung waren eine weltweite Befragung von katholischen Gläubigen und gleich zwei "Bischofssynoden" vorausgegangen, also Konferenzen des weltweiten Episkopats. Wobei man wissen muss: Alles Bisherige diente dem Papst lediglich zur Beratung. In seinen Entscheidungen war er ganz frei.

War er es wirklich? Für manche afrikanischen Bischöfe leben wiederverheiratete Geschiedene in übler Polygamie. Der australische Kardinal an der römischen Kurie, der vatikanische "Finanzminister" George Pell, der wegen seiner früheren Haltung zum Kindesmissbrauch gegenwärtig sehr angegriffen wird, hatte bei der Bischofssynode im Oktober 2015 "Manipulationsversuche" zugunsten liberalerer Auffassungen kritisiert. Andere, wie Kardinal Robert Sarah aus Guinea, witterten gar "Homosexuellenideologien". Verschwörungsfantasien sind populär. Der machtvolle Leiter der vatikanischen Glaubensbehörde, der deutsche Kardinal Müller, früher Bischof in Regensburg, hatte jede grundsätzliche Veränderung in Sachen Sakramantenverbot torpediert und sich über die Lebenssorgen der Betroffenen wie auch eine Bischofsmehrheit hinweggesetzt. Seine Linie: Einzelfallprüfung ja, aber keine Gewissensentscheidung der Gläubigen. Die Kirche behält also die Kontrolle über die Ehen ihrer Mitglieder.

"Die Freude der Liebe" ist kein großer Wurf, denn es bleibt bei der fundamentalen Einschränkung: Es gibt keine wirkliche, grundsätzliche Gewissensfreiheit des einzelnen Gläubigen. Die päpstliche Linie ist mit jener Kirche der Barmherzigkeit, die Franziskus immer deutlich proklamiert, nur mühsam zu vereinbaren. Seine Appelle an den Klerus, etwas liberaler zu verfahren, können über die grundsätzliche Geltung kirchlicher Sanktionen nicht hinwegtäuschen. Ein selbstverantwortliches, mündiges Christentum mit einer entspannten "Freude an Liebe" ist das nicht.

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Eine große beispiellose Enttäuschung!

Die Zusammenfassung der beiden Synoden zum Thema „Ehe, Familie, Sexualität“ gleicht über weite Passagen dem Hohen Lied der Liebe aus dem AT : pure Liebeslyrik – ohne den Hauch von Verbindlichkeit und klarer Festlegungen. Plagiatsjäger werden gewiss demnächst viele Anlehnungen finden, die der Sammlung von Liebes- und Hochzeitsliedern aus dem Ersten Testament entlehnt sind. Alles bleibt im Vagen, medial spektakulär inszeniert, die Sprache geprägt von liebevollen Floskeln, garniert mit „Barmherzigkeit“ – ein typischer Franziskus-Text, der sich gewiss gut verkaufen lässt, aber nichts Substantielles bietet, um die kath. Kirche erfolgreich ins 3. Jahrtausend zu führen.

Die Befragung der Katholiken hat der Papst zu einer Farce gestempelt. Für wie dumm hält der Papst eigentlich die Katholiken? Katholiken dürfen zwar ihre Meinung sagen, aber ernst genommen werden sie nicht. Die beiden vorangegangenen Synoden sollten Modernität und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Basis insinuieren, doch das Ergebnis des Papst-Fazits stand längst vor der Befragung fest. Wenn es noch eines Beweises der Abgehobenheit der kath. Machtelite von der Basis bedurft hätte, hier finden die Befürworter einer solchen These den unwiderlegbaren Beweis!

Dieses unwürdige Papstschauspiel wird folgendes bewirken: Die Kirchenaustritte werden mit einer solchen Einstellung weiter zunehmen, die Gottesdienstbesuche werden noch nachhaltiger zu einer „Seniorenveranstaltung“ degenerieren, noch mehr Kirchengebäude zum Verkauf angeboten werden, noch mehr Priesterseminare und Klöster schließen, und der gesellschaftliche Diskurs zu Fragen der Ehe und Familie wird noch weiter an der kath. Kirche vorbeigehen.

Der Papst verschiebt – aufgrund seiner fehlenden Durchsetzungsfähigkeit – den Ball nun auf die Ebene der Bischöfe und Pfarrer vor Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass geschiedene Ehepaare nun als Bittsteller an der Tür ihres Hauspfarrers anklopfen und um ein auf Reue und Buße bedachtes Gespräch bitten. Die Ausführungen des Papstes bleiben realitätsfremd und menschenfern. Sie tragen nicht dazu bei, die kath. Kirche in einem wichtigen Lebensbereich an das Leben im 3. Jahrtausend heranzuführen. Auf der einen Seite betont er, dass die alten Lehre nicht angetastet wird und andererseits sollen nun Bischofskonferenzen und Ortspfarrer einen „revolutionären neuen Weg“ der kath. Kirche eröffnen.

Mit einem Wort: Dieser Papsttext wird den Abstieg der kath. Kirche nicht aufhalten. Er hat alle Chancen, die Selbstabschaffung der kath. Kirche zu beschleunigen.

Paul Haverkamp, Lingen

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Die Einschätzungen des Artikels kann ich überhaupt nicht teilen. Ich bin in einer gemischtkonfessionellen Ehe und bin mittlerweile froh dass wir katholisch geheiratet haben und in den Worten Franziskus' "Hauskirche" sind (AL 86, AL 87, AL 200). Für alles was Herr Kopp kritisiert gibt es biblische Gründe - er sagts halt nicht, obwohl er es als Theologe eigentlich wissen müsste. Und überhaupt: Das Wort "Gewissen" sucht man in der EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" (2013) vergeblich, dafür gibt es seitenweise "verfassungsrechtliche Vorgaben" und Verweise auf (atheistisch geprägte) DDR-Rechtsprechung. Franziskus ist jedenfalls ein größerer "Wurf" gelungen als den Damen und Herren Professoren von der Ad hoc Kommission.

Antwort auf von Jochen (nicht registriert)

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Lieber Jochen (ohne Nachname),

alles, was Sie über sich sagen, hat mit dem Inhalt des Kommentars nichts zu tun: konfessionsverschiedene Ehe, EKD-Orientierungshilfe, DDR-Rechtssprechung. Und gibt es "biblische Gründe", gescheiterte Eheleute von den Sakramenten auszuschließen? Das habe ich bis heute nicht in der Bibel entdeckt. Können Sie mir helfen?

Eduard Kopp

Lieber Herr Kopp, Ihr Artikel kommt doch zu folgendem Resümee:
"Die Freude der Liebe" ist kein großer Wurf, denn es bleibt bei der fundamentalen Einschränkung: Es gibt keine wirkliche, grundsätzliche Gewissensfreiheit des einzelnen Gläubigen." Dem habe ich das vollkommene Fehlen der Thematik "Gewissen" in der EKD-Orientierungshilfe entgegengesetzt. Insofern haben meine Einwände möglicherweise mehr mit dem Inhalt Ihres Artikels zu tun, als Sie, mit Verlaub, bereits wissen. Sie schreiben oben "Er [Franziskus] betont deren Gewissensfreiheit [der Pfarrer und Priester], nicht aber die der betroffenen Gläubigen." Dazu der Hinweis auf AL 186, wo Franziskus jeden einzelnen auffordert (auch die Mitglieder der vermeindlich heilen Familien) sich zu prüfen und zu unterscheiden, damit niemand sich beim Essen und Trinken das Gericht zuzieht (vgl. 1. Kor 11, 27-29).
Weiter unten schreiben Sie "In seinen Entscheidungen war er [Franziskus] ganz frei. War er es wirklich?" Sie nennen dann eine Reihe von katholischen Geistlichen und sugerieren damit, dass innerhalb der kath. Kirche Druck auf Franziskus ausgeübt wird. Dabei ist letztlich doch klar, dass auch der Papst nicht über die Schrift wegentscheiden kann, aus der eindeutig hervorgeht dass die Ehe unauflöslich ist (Mt 19, Mal. 2, ..). Klar, ich habe schon oft gelesen, Ihre Kolleginnen und Kollegen argumentieren davon losgelöst mit modernen Einsichten wie 'alles habe seine Würde'. Aber ob das auf Dauer den selbstverantwortlichen mündigen Christen in einer Ehe ermutigen, notfalls trösten kann? Ehebund und Familie als Hauskirche: das ist -finde ich- ein richtiger Weitwurf!

Herr Eduard Kopp, chrismon-Cheftheologe, bittet um Hilfe. Es gehört zu meinen Christenpflichten, Hilferufenden beizustehen. Es gibt keinen biblischen Grund, gescheiterte Eheleute von den Sakramenten auszuschließen. Das tut auch niemand. Die katholische Kirche schließt nicht Geschiedene von der Feier des Heiligen Messopfers aus. Sie schließt Wiederverheiratete aus, die miteinander geschlechtlich verkehren. Begründet sie das mit den Worten: "Jetzt pfeifen wir mal auf die Bibel und schreiben das einfach so als c.915 ins Kirchenrecht."? Nein, das tut sie nicht. c.915 lautet: "Zur heiligen Kommunion dürfen nicht zugelassen werden Exkommunizierte und Interdizierte nach Verhängung oder Feststellung der Strafe sowie andere, die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren". Die Begründung beruft sich sehr wohl auf die Bibel, vornehmlich auf 1. Kor. 11,27-29: "Welcher nun unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des HERRN trinket, der ist schuldig an dem Leib und Blut des HERRN. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des HERRN."
Gut zu wissen, dass wir Evangelische dank unserer großen Reformatoren, die Deutungs-, um nicht zu sagen die Lufthoheit, über die Bibel besitzen. Von daher ist klar, dass der amtskatholische Bezug auf die Bibel ein unbiblischer ist.
Mit evangelischem Gruß
Adam Mair