Schriftzug "Vertrauen ist gut"
Claudia Meitert/carolineseidler.com
Und das Beste ist: Es vermehrt sich, wenn es in die Welt geschickt wird. Es wächst mit jeder guten Erfahrung. Aber was ist mit den schlechten? Sechs Geschichten vom Umgang mit einem grundlegenden Gefühl
09.06.2015

Das Ende der Kindheit

Sandra war achtzehn, als eines Tages die Erinnerung kam. Achtzehn, da geht doch sonst alles erst los: Führerschein, Ausbildung, das selbstständige Leben. Doch statt der Zukunft wartete auf Sandra die Vergangenheit. Schlimme Bilder, erst eins, dann noch eins. Dann Wut. Dann Angst. „Mit einem Mal war ich im Dunkeln. Ich fühlte mich gefangen in meinen Erinnerungen. Ich sah immer wieder, wie sie mich missbraucht haben. Ich hatte die Bilder nicht mehr unter Kontrolle.“

Sandra, 36, hat lange Zeit verdrängt, dass sie missbraucht wurde
Begonnen hatte es irgendwann in der frühen Kindheit. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr ist Sandra, heute 36, von einem Bekannten der Eltern sowie vom eigenen Onkel sexuell missbraucht worden. Lange Zeit hatte sie das weggesperrt. „Ich weiß nicht, ob ich als Kind je ein gesundes Vertrauens­verhältnis zu meiner Umwelt aufgebaut habe. Nach diesem Tag aber ist es definitiv zerstört gewesen.“ Es brauchte dreizehn Jahre Psychotherapie und drei Prozesse gegen die einstigen Täter, bis sie sich sicherer fühlen konnte.

Wenigstens ihren Gefühlen und ihren Erinnerungen kann sie jetzt wieder trauen. Sie weiß, dass wirklich geschehen ist, was damals in ihr Bewusstsein drang. „Am ­Anfang will man das ja selber nicht glauben.“

Aber wirklich vertrauen? „Neulich“, sagt sie, „habe ich einen der Täter zufällig auf einem Volksfest wiedergesehen. Sofort kamen die alten Gefühle in mir hoch. Ich brauche heute nicht mehr so viel Zeit, um mich wieder aufzufangen. Aber etwas in mir hat immer noch Angst.“ Ob das ­Ges­tern je wieder aus ihr ausziehen wird? „Vielleicht muss erst der letzte Täter tot sein.“ Und doch: „Ich weiß heute, was der Sinn von all dem ge­wesen ist.“ Was denn? Sandra schweigt. Dann sagt sie: „Was immer man auch im Leben erlebt, man erlebt es, um daran zu wachsen. Ich interessiere mich heute viel mehr für das, was andere Menschen bewegt. Ich bin mitfühlend geworden. Gerade Leuten mit ähnlichen Erfahrungen versuche ich zu helfen.“
Ralf Hanselle

Heiße ich Hoeneß?

Mir ist bewusst, dass nicht alle Menschen ehrlich zum Finanzamt sind. Aber soll ich deswegen jedem Bürger mit Misstrauen begegnen? Ich fahre oft Bahn. Der Zugbegleiter weiß, dass nicht jeder eine Fahrkarte hat. Also fragt er mich nach meinem Ticket. Aber ich möchte nicht, dass er in mir den Schwarzfahrer sieht. Und ich möchte nicht in jedem Steuerzahler einen Schwindler sehen.

Markus, 44, Finanzbeamter aus Stuttgart
Das Steuerrecht ist kompliziert. Es gibt drei Gründe für Fehler. Oft sind Angaben falsch, weil die Leute es nicht besser wissen. Oder sie haben eine andere Rechtsauffassung, dann müssen Gerichte entscheiden. Und es gibt eine dritte Gruppe, die sich einen Vorteil verschaffen will.

Ich habe mich entschieden, der ersten Gruppe zu helfen. Früher habe ich Steuererklärungen bearbeitet. Man korrigiert vor sich hin, hat aber nur selten Kontakt zu den Menschen. Als das Stuttgarter Finanzamt eine Informationsstelle geschaffen hat, habe ich mich sofort dafür interessiert. Seitdem habe ich viel Kontakt zu Menschen. Oft sind es ältere Leute, die zum Beispiel nicht genau wissen, in welches Feld sie ihre Betriebsrente eintragen müssen. Die sind richtig froh, wenn wir helfen. Und ich bin froh, wenn mir jemand gegenüber sitzt, dem ich in die Augen schauen kann. Mehr als zehn Jahre mache ich diese Arbeit jetzt. Ich würde nicht sagen, dass ich misstrauischer geworden bin. Aber manche Bürger haben Vertrauen verloren. Wenn ich auf Fehler hinweise, kommt es vor, dass ein Bürger erwidert: „Ich heiße doch nicht Hoeneß!“

Ob ich als Finanzbeamter mehr oder weniger vertrauen kann als andere? In geschäftlichen Dingen bin ich misstrauisch. Eine Rechnung vom Handwerker gucke ich mir lieber zweimal an. Das kommt mit der Lebenserfahrung. Mit meiner Familie gehe ich sehr vertrauensvoll um. Wir spielen nach den Spielregeln Gottes. Auf das Wort muss Verlass sein. Wenn meine Kinder sagen, dass sie heute noch keine Süßigkeit hatten, glaube ich das. Das macht vieles leichter.

Ein sehr schönes Vertrauenserlebnis hatte ich, als meine Frau sich ein Haus wünschte. Ich sagte ihr, dass das schwierig sei, im teuren Stuttgart. Sie aber betete dafür. Und obwohl Gott nicht zwingend unsere Wünsche erfüllen muss, hat er unser Vertrauen in ihn nicht enttäuscht. Von einer Freundin erfuhren wir, dass ihr Nachbar sein Haus ver­kaufen wollte. Wir kamen in Kontakt, bevor es auf dem Markt war. Es war bezahlbar. Heute gehört es uns. Für uns ein kleines Wunder.
Protokoll: Nils Husmann

Ein ganzes Patrizierhaus für uns!

Von innen sah die Wohnung unbedeutend aus. Aber von außen – ein Amsterdamer Patrizierhaus direkt an der Gracht! Seit der Internetbuchung vor einem halben Jahr hatten wir nichts von der Vermieterin gehört. Im Zug sorgten wir uns: Weiß die Frau überhaupt noch, dass wir in wenigen Stunden kommen? Wir tippten auf Niederländisch ins ­Mobiltelefon: „Guten Morgen, wir sind die Gäste, die heute in Ihre Wohnung an der Keizersgracht kommen. Gegen zwei Uhr sind wir da. Bis gleich.“

Kathrin Fiebig, 44, hatte im Internet ein Haus gemietet
Ein Mann öffnete uns die grünlackierte Holztür. „Ich bin ein Freund von Maud. Sie ist nicht da.“ Der Mann führte uns durch Mauds Wohnzimmer ins viel größere Hinterhaus. Über ein großzügiges Treppenhaus gelangten wir hinauf ins Apartment: gut hundert Quadratmeter nur für uns. ­

Ein nobel eingerichtetes Bad mit genügend Platz für eine ganze Jugendherberge. Zwei noch viel größere, langgezogene Räume mit Blick auf den Hinterhof, gemütlich niederländisch eingerichtet, mit viel Schnörkel und Tropenholz. Im Klo eine ausziehbare Leiter aufs Dach. Eine voll ausge­stattete Küchenzeile, perfekt!

Der Mann fragte, ob alles in Ordnung sei für uns. O ja! Vielen Dank! Der Mann sagte: „Ich lasse euch jetzt allein, ihr könnt mich jederzeit anrufen. Und wenn ihr geht, lasst die Schlüssel bitte auf dem Wohnzimmertisch liegen.“

Nachts knackte das Holz im finsteren Treppenhaus, das fanden die Kinder etwas unheimlich. Die Woche über sahen wir niemanden, weder im Hinter-, noch im Vorderhaus. Wir waren ganz ­allein mit Mauds persönlichen Dingen. Vielleicht lagen da Fotoalben, Briefe, Rechnungen, vielleicht hätten wir durch die offene Tür im Erdgeschoss in Mauds Wohnzimmer gucken können, wo sie mit ihren Freundinnen Koffie trinkt, wenn sie zu ­Hause ist. Doch wir eilten immer die Treppe hoch. Nur vor den Bildern im Flur von ihren ­Kabarettauftritten blieben wir stehen. Und vorm Plakat, aus dem hervorging, dass Maud gerade auf Tournee in Deutschland war.

Bevor wir gingen, legten wir die Schlüssel auf den Wohnzimmertisch. Dann zogen wir die grüne Haustür hinter uns zu.
Kathrin Fiebig

Auf dem Schulweg

Ida wollte das unbedingt – endlich allein zur Schule gehen. Sie ist sechs Jahre alt, besucht die erste Klasse, und bisher brachten und holten wir sie immer. Schön war das: Sie erzählte unterwegs aus ihrem Schulleben, zum Beispiel, dass neuerdings wöchentlich ein Klassenrat tagt, in dem die Kinder sagen können, was ihnen gefallen hat und was nicht. Und wir trafen Leute, die wichtig für unsere Tochter sind, und die wir auch kennenlernen möchten: die Lehrerin, andere Eltern, die Klassenkameraden.

Dorothee H.'s Tochter darf jetzt allein in die Schule gehen
Das Wunsch war das Signal für mich loszulassen. Eigentlich bin ich keine panische Mutter. Aber Ida ist ein Hans-guck-in-die-Luft, sie geht langsam, lässt sich gern ablenken, ist sehr zutraulich. Sie ist das erste Kind in unserem Umfeld, das alleine läuft. Und die Schule liegt nicht mal eben um die Ecke, eine große und – wenn man so will – gefährliche Straße liegt auf dem Weg. Ich trichterte ihr ein, dass es nicht nur nette Menschen gibt, und dass sie auf keinen Fall mit Fremden mitgehen darf. Ich schrieb meine Handynummer in ihren Ranzen, falls sie sich doch mal verläuft. Sie kennt unsere Adresse, sie ist eher vorlaut als schüchtern, was soll da schon schiefgehen?, fragte ich mich. Unserem Kind wird schon nichts passieren.
 

Neulich ist sie also zum ersten Mal alleine losgezogen – und in die falsche Richtung marschiert. Es war der Weg zum Bäcker, den sie schon oft be­wältigt hat. Ihr Papa sah sie vom Balkon aus und hat sie in die richtige Richtung dirigiert, kichernd hat sie kehrtgemacht. Ich war weit weg an diesem ersten Schulwegtag, und als ich diese Geschichte am Telefon hörte, wäre ich am liebsten mit einem Hubschrauber nach Hause geflogen. Natürlich ist alles gutgegangen. Ich kann nur sagen: Man gewöhnt sich schnell dran. Und ich gönne Ida den Schritt in diese neue Freiheit; mir auch übrigens.
Dorothee H.

Am Berg der Angst

Manchmal ist die Welt verkehrt herum: Wo die einen der Mut verlässt, beginnt für die andern Vertrauen.  „Ich spüre Vertrauen nur dann, wenn ich klettere“, sagt Ueli Steck. Der heute 39-jährige Bergsteiger aus Ringgenberg bei Interlaken war erst achtzehn, als er erstmals die Eigernordwand bezwang. 3970 Höhenmeter in zehn Stunden.  Später hat er das in viel kürzerer Zeit geschafft. „Ich habe eigentlich nicht viel Selbstvertrauen. Aber am Berg bin ich stark. Da spüre ich keine Angst mehr.“

Ueli Steck, 39, klettert jetzt nicht mehr ganz so schnell
Denn er ist ja trainiert, gut vorbereitet, er kennt alle Parameter. Fitness, Ausrüstung, Ausdauer – alles ist so, wie es sein soll. „Natürlich bleibt dann noch immer ein Restrisiko. Das muss ich akzeptieren. Dieses Risiko gibt es überall im Leben, auch wenn ich daheim vor dem Fernseher bleibe.“ Der Berg ist messbar und kalkulierbar, aber hoch ist er doch. 6440 Meter hat der Cholatse; 8091 die Annapurna.

„2007 bin ich an diesem Berg in einen Steinschlag geraten und 200 Meter in die Tiefe gestürzt.“ Doch bis auf Prellungen und eine Gehirnerschütterung blieb der Kletterer unverletzt. „Ich hatte ein Riesenglück. Doch natürlich erschüttern solche Erlebnisse auch das Vertrauen in einen selbst. Aber sie holen einen in die Realität zurück. Andernfalls würde man vielleicht nachlässig.“ Also fing Steck von vorne an. Er trainiert, er tastet sich wieder neu heran. Wichtig, sagt er, sei die Analyse des Vorfalls gewesen. „Ich musste mich fragen, warum ich den Stein abbekommen hatte. Ich hatte vermutlich  zu viel auf einmal gewollt. Erst als mir das klar wurde, konnte ich auch wieder Vertrauen fassen.“

Und so ging es weiter: Meter um Meter. 8027 Meter hat der Shishapangma; sieben Meter mehr der Gasherbrum II. Doch irgendwann war Steck am Limit. „Das Nervensystem hat seine Grenzen. Ich habe die Stresssituationen nicht mehr ausgehalten und bekam Panik. Da musste ich mir eingestehen, dass ich einen Gang zurückschalten sollte. Ich bin jetzt vorsichtiger. Wir sind eben alle nur Menschen und keine Maschinen.“ Vielleicht kann man der Angst eben nicht davonklettern.
Ralf Hanselle

Bald ist er achtzehn

Jetzt ist er der Fahrer, Himmel, und ich seh’ ihn noch im Maxi Cosi auf dem Beifahrersitz. Das war doch gerade erst gestern, als die Autowerkstatt ­diesen Aufkleber aufs Handschuhfach klebte: „Airbag außer Betrieb wegen Kindersitz“. Im ­Kindersitz vorne rechts, dem Maxi Cosi, lag der Sohn. Und ich, die Mutter, am Steuer, mit 40 km/h um die Kurven schleichend, wegen der zarten Fracht an Bord.

Jetzt ist er 17. Und sitzt am Steuer. Und ich nicht mehr ganz so junge Mutter auf dem Beifahrersitz. Wir machen „begleitetes Fahren“, was so viel heißt wie: Ich muss drauf vertrauen, dass der Junge ­keinen Scheiß baut. Denn so richtig viel könnte ich im Notfall nicht helfen. Außer schreien. Oder die Handbremse ziehen, aber das kann gefährlich sein.

Zu einem anderen Menschen ins Auto steigen – das ist immer ein Akt des Vertrauens. Ich bin Profi darin, denn ich bin auf dem Land aufgewachsen, der letzte Bus von der Disco in Ravensburg aufs Dorf fuhr um 21 Uhr. 21 Uhr! Oft haben mich ­meine Eltern abgeholt. Aber noch viel öfter bin ich zu zwielichtigen Kerlen ins Auto gestiegen. Die uns Mädels gern was zeigen wollten, zumindest, das galt wirklich für alle: zeigen, was der getunte Opel Manta so kann.

Später sind wir Studentinnen alle großen Strecken getrampt. Aus den Ferien zurück von Südfrankreich. Und ungezählte Male mit über­müdeten Fahrern auf der Transitstrecke Berlin–Hof. Ich habe das gehasst, abhängig zu sein von anderen Fahrern. Drum wurde ich Autofahrerin aus Leidenschaft, immer habe ich versucht, die Regie zu behalten. Aber jetzt ist der erste Sohn groß, und er will unbedingt fahren, fahren, fahren.

Es ist nicht einfach. Der Sohn fährt nicht mit 40, sondern mit 70 km/h um die Kurven. Er liebt das Schnelle, das Schnittige, und ich schwitze Blut und Wasser. Unsere erste Fahrt führt ausgerechnet
ins Krankenhaus. Fix und fertig kommen wir dort an. Aber die Rückfahrt geht schon besser, die ­Kurven nur noch mit 50, und ich kann mich etwas entspannen. Immerhin habe ich ja – im Gegensatz zu dem Baby seinerzeit – einen Airbag vor dem Beifahrersitz.

„Der Mensch ist besser als sein Ruf“

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Vertrauen macht das Leben leichter, sagt der Psychotherapeut Peter Groß. Man kann es sogar lernen. „Der Mensch ist besser als sein Ruf“

Das geht jetzt seit ein paar Wochen, und wir ­beide haben einen Weg gefunden, wie wir mit­einander fahren, ohne wie ein altes Ehepaar zu wirken. Ich sage nie mehr diese deppenblöden Sätze, von den eigenen Eltern übernommen: „Grüner wird’s nicht.“ Er macht, weil ich darauf bestehe, sein Handy aus. Er fährt jetzt schon ziemlich gut. Und am 24. Juli wird er 18 und möchte gern alleine mit meinem Auto und drei Kumpels nach Südfrankreich fahren. Oh Gott, was da passieren kann. Sie könnten billigen Rotwein trinken, sie könnten kiffen, sie könnten Mädchen beeindrucken mit zu schnellem Fahren. Aber anderer­seits, er ist dann 18. Bald geht er weg, nach Afrika. Ich muss auf sehr viel mehr vertrauen als auf seine Fahrkünste. Ich muss drauf vertrauen, dass wir Eltern 17 Jahre lang hoffentlich einiges richtig ­gemacht haben. Dass er keinen Mist baut, ein vernünftiger Junge ist und immer einen Schutzengel hat. Das wird schon gutgehen.
Ursula Ott

Der Spickzettel

Es war ein Samstag im Frühsommer, Mitte der Achtziger, und wir schrieben eine Mathearbeit. Vierte Klasse, Mathematik war nicht meins. Also fertigte ich einen Spickzettel an, legte ihn in das Fach unter meinem Tisch. Natürlich wusste ich, dass man das nicht tut. Aber ich brauchte ihn zur Sicherheit. Nach der Stunde korrigierte der Lehrer gleich, Herr Daiß, Mitte 50, ein Volksschullehrer mit rosigem Gesicht. Er rief mich zu sich ans Lehrerpult, die anderen Kinder waren draußen in der Pause. „Mareike“, sagte er, „stimmt es, dass du einen Spickzettel hattest?“ Woher wusste er das denn? „Ja. Ich hatte einen.“ Mir war ganz heiß. Er guckte mich an. Ich guckte ihn an. „Jemand hat dich verpetzt“, sagte er. „Ich hatte einen Spickzettel, aber ich habe ihn nicht gebraucht“, sagte ich.  Ich glaube, ich weinte auch. Das konnte nur Martina gewesen sein, meine beste Freundin. Ihr hatte ich davon erzählt. Sie saß im Klassenzimmer neben mir. Herr Daiß zeigte mir die Klassenarbeit, darunter stand 1–2. „Ist ganz ordentlich gewesen“, brummte er. Und dann: „Na gut. Wir klammern die Eins ein.“ Später habe ich Martina zur Rede gestellt. Sie fand, sie habe richtig gehandelt. Hat sie nicht. Aber Herr Daiß, der schon.
Mareike Fallet

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Gerade habe ich Ihren Artikel über Vertrauen gelesen (S. 32). Plötzlich kam mir der Gedanke, dass der bekannte Satz von Lenin auch in der Umkehrung durchaus sinnvoll erscheint. vielleicht sogar sinnvoller: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Vielleicht nicht in jeder Situation, aber es lohnt sich doch, darüber einmal nachzudenken.

                                                                                                          Mit freundlichem Gruß, Klaus Hettesheimer.

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Sieben Uhr zehn beim Bäcker Müller in der Ottobrunner Straße. Eine Schlange von Leuten wartet an der Theke. Ein ca. 14-jähriger, etwas dicklicher Junge mit glänzenden schwarzen Locken ist dran.

Sicher kein Deutscher, denkt die Schlange. Er zahlt mit einem größeren Geldschein. Die Bäckersfrau nörgelt, ob er es nicht kleiner habe. Nein, habe er nicht. Er schaut auf die Straße, wo ein großer Mercedes mit laufendem Motor steht. Am Steuer ein korpulenter Mann mit öligen schwarzen Haaren. Kann der nicht seinen Motor ausmachen? Das machen wir hier in Deutschland so.

Der Junge nimmt sein Wechselgeld und die große Brötchentüte und geht. Ja, so sind sie, diese Ausländer, von der Sozialhilfe leben und mit dicken Autos rumfahren. Die ältere Dame vor mir in der Schlange erwartet meine Zustimmung. Ich sage nichts, weil meine eigenen Gedanken schon ein bisschen in die gleiche Richtung gedriftet waren, aber das will ich nicht zugeben.

Der Junge kommt wieder herein, die Geldscheine noch so in der Hand,  wie er sie entgegengenommen hatte. Er drängelt sich zur Theke vor, hält der Bäckersfrau die Scheine hin und sagt: „Sie haben mir falsch rausgegeben.“  Aha, denkt die ganze Schlange, der gute alte Wechselgeldtrick! Zigeuner oder was? Aber nicht mit uns, wir stehen der Bäckersfrau bei, und wenn wir den Lümmel eigenhändig verprügeln müssen. Und den unsympathischen, fetten Vater draußen in seinem stinkenden Auto gleich mit. Die sollen mal sehen, dass so was bei uns hier nicht läuft.

„Was soll falsch sein?“ fragt die Bäckersfrau.

Jetzt sind wir gespannt, wie er das anstellt. Er wird sagen, er habe mit einem Hunderter bezahlt aber nur auf einen Fünfziger Wechselgeld herausbekommen.

„Es war alles korrekt“, behauptet ein großer Mann in weißem Overall, „ich hab’s gesehen“. Er bekommt einen dankbaren Blick von der Bäckersfrau.

Die ältere Dame vor mir schimpft: „Hab ich mir doch gleich gedacht, dass das hier eine Betrügerbande ist. Geben Sie ihm ja nichts, das ist ein abgekartetes Spiel, hab ich schon mal im Kino gesehen.“

„Papermoon hieß der Film“, denke ich, aber sage es nicht. Ich überlege, ob ich den Betrug irgendwie verhindern kann. Die Polizei rufen? Den Burschen einfach festhalten.

„Sieh zu, dass Du Land gewinnst!“ brüllt ein weiterer Mann aus der Schlange. Zustimmendes Gemurmel. Der Junge hält seine Hand mit dem Geld unbeirrt der Bäckersfrau entgegen.

„Hast du nicht gehört? Verschwinde!“ Das war wieder der Mann mit dem Overall. „Das könnt ihr in Rumänien machen oder in Albanien, oder wo ihr herkommt, aber nicht hier bei uns, verstanden?“

Der Junge ignoriert ihn. Ziemlich abgebrüht, der Kleine, denke  ich noch, dann sagt er:

„Sie haben auf 100 Euro rausgegeben, ich habe aber nur mit einem 50er bezahlt. Nehmen Sie bitte zurück.“

Wolf Bruns