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Als Kind habe ich es gehasst, fotografiert zu werden.
Es waren die 60er Jahre, es gab noch die Institution des Sonntagsspaziergangs. Die Fotoalben meiner Eltern sind voller Bilder mit Rosenrabatten am Ufer des Bodensees, dazwischen ein blondes pummeliges Kind, das wie zufällig seinen Kopf wegdreht, sich hinter einem Baumstamm oder der Mama versteckt.
Die Zeiten mögen sich geändert haben, Kinder sind ziemlich gleich geblieben. Sie reißen sich in der Regel nicht darum, permanent fotografiert zu werden. Heute kann ich mich amüsieren über die Fotos – amüsieren, erstens, weil sie nur in der privaten Schrankwand meiner Eltern liegen. Und weil ich, zweitens, zwar doof aussehe auf den Fotos, aber wenigstens angezogen bin.
###autor### Seit einigen Wochen hat das deutsche Feuilleton ein neues Lieblingsthema gefunden: Ein angeblich übereifriges Gesetz des Bundesjustizministers – eine Folge der Affäre Edathy – führe dazu, dass Eltern harmlose Nacktfotos ihrer Kinder nicht mehr straflos auf Facebook posten können. Kann sein, dass da juristisch suboptimal gearbeitet wurde, ich bin keine Staatsanwältin. Aber ich war mal Kind. Und ich bin Mutter. Und ich finde, die Sache ist relativ einfach: Lasst die Kinder doch in Ruhe mit eurer Knipserei. Was die sozialen Medien angeht – für meinen Geschmack sind auf Facebook schon reichlich Babybilder mit Unterhose. Die Wäsche kann da ruhig bleiben, zumal eure Kinder das später vielleicht gar nicht mehr so witzig finden mit den Fotos, die ja nie mehr zu löschen sind. Bitte, fotografiert Katzen! Hunde! Traumstrände im Abendrot!
Und noch was: In einer Zeit, in der mein Empörungspotenzial reichlich ausgeschöpft ist, fällt es mir schwer, mich für diesen Pseudoskandal zu echauffieren. Ich hätte gerne mehr Geld, Zeit und Mut, mich für verfolgte Journalistinnen im Iran zu engagieren. Für Familien im Nordirak, für Ebola-Opfer in Liberia. Für eine Solidaritätsaktion mit Nacktfotografierern auf deutschen Großstadtspielplätzen ist jetzt einfach kein Platz mehr in meinem Herzen.
Kinderfotos im Netz
Sehr geehrte Frau Ott,
schön dass Sie Ihr Empörungspotential ausgeschöpft haben. Dann könnten Sie sich ja nun sachlich mit den Dingen auseinandersetzen.
Schön, wenn Sie sich um Journalistinnen im Iran, Familien im Nordirak und Ebola in Afrika kümmern - kann Empörung dabei wirklich hilfreich sein? Gleichzeitig vernachlässigen Sie jedoch sträflich Ihr direktes soziales Umfeld. Denn Sie verschließen Ihre Augen davor, dass unser (noch recht) hoch entwickelter Rechtsstaat in Deutschland von ideologisch verblendeten Politikern Stück für Stück gefährlich zurechtgestuzt wird. Das nenne ich Gutmenschentum!
Ich teile ja Ihre Auffassung, dass Bilder von nackten Kindern nicht ins Internet gehören. Aber das ist doch nur ein Nebenkriegsschauplatz! Im Kern geht es darum, dass arglose Menschen allein wegen des Fotografierens kriminalisiert werden. Wir alle werden -auch beim Fotografieren - durch die allgegenwärtige Video-, Telefon- und Internetüberwachung beobachtet und müssen - wenn wir dazu überhaupt noch Gelegenheit erhalten - unsere Unschuld beweisen. Das stellt unseren Rechtsstaat auf den Kopf!
Bitte nicht solche unüberlegten Kolumnen in einer sonst so interessanten Zeitschrift.
Mit freundlichen Grüßen
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