Foto: Elias Hassos
Ein Friedhof ist ein Ort der Ruhe. Das kann Kindern guttun. Denn dass der Tod zum Leben gehört, kann man schon früh begreifen
21.10.2011

Mein Schulweg führte mich als kleines Kind am Friedhof vorbei, der mitten im Dorf lag. Anfangs umrundete ich ihn sorgsam. Da, dachte ich als Neunjährige, geht man besser nicht hinein. Vielleicht spukt’s oder, wenn es dunkel ist, es steigt einer aus dem Grab. Dann aber hörte ich eines Tages, dass in der Aussegnungshalle die Toten aufgebahrt würden – im offenen Sarg, hinter Glas, von jedermann zu betrachten. Dieser Versuchung konnte ich nicht widerstehen. Ich öffnete die quietschende ­eiserne Tür zum Friedhof und schlich mich an. Und tatsächlich – da lag hinter den Scheiben der Aussegnungshalle ein Mensch still und friedlich da, auf Samt und Seide gebettet, von Blumen, Kränzen und Kerzen umgeben.

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Von da an wählte ich meinen Schulweg immer, einmal hin und einmal zurück, über den Friedhof. Mit dem Ranzen auf dem Rücken besuchte und verabschiedete ich die Toten, die ich meistens kannte. Ich las dann überdies Inschriften auf den Gräbern, ver­glich Bibelworte, ordnete vom Wind zerzauste Blumen, trug Verwelktes zum Abfall. Der Friedhof wurde mir immer vertrauter und lieber – vor allem weil ich dort meine Ruhe hatte. Andere Kinder mieden ihn, manche aus Angst, andere aus Langeweile. Ich dagegen war glücklich, mit mir endlich einmal allein zu sein. Meine Eltern waren zunächst besorgt, ob dieser „Umgang“ der richtige für mich wäre – aber dann ließen sie mich gewähren.

Ein fröhliches Sinnbild für neues Leben

Als mein Vater viel später starb, ließ ich ihn auch offen auf­bahren. Die guten Friedhofserfahrungen meiner Kinderzeit halfen mir, mit dem Abschied zaghaft anzufangen und erste Schritte zu unternehmen, um den geliebten Papa gehen zu lassen. Wenn ­Kinder den Friedhof für sich erobern, dort ihre eigene lebendige Ruhe finden, dann ist daran gar nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Sie lernen frühzeitig, dass der Tod zum Leben gehört – dass es Orte gibt, an denen Verstorbene ihre letzte Ruhe finden. Die ­Trauer, wenn dann jemand aus dem Familien- oder Freundeskreis stirbt, wird dadurch nicht geringer. Aber es ist wenigstens nicht alles völlig fremd und erschreckend, wenn man mit wichtigen Orten der Trauer vertraut ist. 

Viele, wenn auch nicht alle Friedhöfe sind Orte, an denen Kinder sich sicher aufhalten können: keine Autos, keine prügelnden Jugendlichen, gepflegte Wege und Rasenflächen mit Pflanzen, Vögeln und Schmetterlingen, manchmal Teiche mit Fröschen und Libellen. Manche Trauernde freuen sich, wenn sie ein Kind auf dem Friedhof sehen – ein fröhliches, hoffnungsvolles Sinnbild für neues Leben. Das Lächeln, der Juchzer eines Kindes mag manchen zunächst überraschen, vielleicht sogar für einen Moment stören. Aber letztlich wird so ein Ausdruck von Lebensfreude ein seelsorgliches Mosaiksteinchen im Trauerprozess sein. Eines, das mit dazu beiträgt, dass ein Mensch irgendwann wieder den Weg zurück ins Leben findet.

Etwas anderes ist es, wenn, wie in manchen Städten, Jogger über Friedhofswege hetzen, Ghettoblaster neben Grabsteinen ­Musik für ungenierte Picknicks liefern und Menschen sich in ­Bikini oder Badehose sonnen. Wenn kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen Spielplatz, Grillfest und Friedhof, geht auch der Sinn für die Besonderheiten und den eigenen Charakter von Leben und Tod verloren. Es ist gut, wenn auch schon kleine ­Kinder begreifen: Man muss sich nicht fürchten auf dem Friedhof. Er ist aber auch ein Ort, dessen Ruhe man respektieren sollte, weil man nur so dort auch selber seine Ruhe findet – die letzte oder eine kleine, feine zwischendurch.

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Ein Friedhof solle ein Ort des Gedenkens sein, aber m.E. gehört auch dazu, dass auf einem Friedhof spielende, z.B. singende (nicht wild lärmende) Kinder sein dürfen. Der eine oder andere Tote hätte sich daran erfreut. Auch die Gegensätzlichkeit finde ich positiv:das ruhige beendete Leben und Leben in Form von Kindern mit voller Lebenslust. Ich meine auch, man müsste seinen (gehorsamen) Hund mitbringen dürfen oder andere Haustiere. Für manch einen Verstorbenen war das Haustier der letzte Freund und in dessen Augen vielleicht auch beruhigend, wenn man ihm versprechen könnte:"Du, dein Hund kommt dich regelmäßig besuchen".
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Sehr geehrte Damen und Herren, einerseits ist ein Friedhof ein sehr spezieller Ort. Andererseits gehört das Sterben meiner Ansicht nach zum Leben. Mich stört aus diesem Grunde auch kein Jogger dort oder ein Mensch, der sich im Bikini sonnt! Mit freundlichen Grüßen Gabriele Peters
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Zitat aus dem Artikel: "Er ist aber auch ein Ort, dessen Ruhe man respektieren sollte, weil man nur so dort auch selber seine Ruhe findet - die letzte oder ....." ------------------------- Wie immer stellt sich die Welt als Betätigungsfeld der korrekten Gesinnung dar. Das anständige Benehmen auf dem Friedhof erlaubt also dezentes Kinderjuchzen, verbietet jedoch das Joggen. Warum? Nun, wer unerlaubterweise über den Friedhof joggt, wird nach seinem Tod nicht einfach tot sein, sondern der ewigen Ruhe entsagen müssen. Allen Ernstes geschrieben im Jahre 2011.
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Ich habe meinen Kommentarentwurf unter dem Eindruck der Beiträge von Gabriele Peters und Iwan dem Schrecklichen resigniert beiseitegelegt. Ja, Volkes Stimme ist unverkennbar und deutlich. Und warum eigentlich nicht auf den Bikini auch noch verzichten, warum nicht Zelten auf dem "Friedhof" oder, na klar: Grillen ?! - Ich bin alt und froh darüber.

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Ekkehart Wallis (nicht überprüft) schrieb am 15. November 2011 um 22:48: Ich habe meinen Kommentarentwurf unter dem Eindruck der Beiträge von Gabriele Peters und Iwan dem Schrecklichen resigniert beiseitegelegt." -----------------------------------------------------------------------------

Das finde ich jetzt aber sehr schade, lieber Herr Wallis. Ich würde gerne Ihren Beitrag lesen. Ich würde Ihnen auch gerne erklären, warum mich Ihr ungeschriebener Beitrag interessiert und woher mein Zuspruch rührt. Diese Gründe habe ich in einem Leserkommentar genannt, der bereits zweimal in der Liste der eingegangenen Kommentare erschienen ist, dort aber jeweils ohne Freischaltung rausflog. Das dürfte also kein Versehen oder ein technisches Problem gewesen sein, sondern Vorsatz. Gegen diese Konkretisierung des redaktionellen Mottos: "Wir freuen uns über jeden Beitrag auf unserer Internetseite." bin ich machtlos.

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Frau Breit-Keßler schreibt in ihrem Artikel "Im Vertrauen", dass der Friedhof ein Ort der Ruhe ist mit besonderer Flora und Fauna, sie hat in Ihrem Artikel leider versäumt, diese anscheinend besonderen Friedhöfe namentlich zu nennen. Die Friedhöfe, die ich kenne, sind sterile, langweilige, öde Rollrasenflächen. Und damit sie das auch bleiben, dafür sorgen überall Friedhofsverwaltungen- und Gärtnereien indem sie nahezu tagtäglich - auch während Beerdigungen - mit ihren unerträglich lauten Motorrasenmähern und Motorkettensägen alles auf unnatürliche Art und Weise auf Linie zurechtstutzen. Und wehe, ein Blümchen reckt sich doch mal zum Himmel. Es ist also kein Wunder, wenn dieser Krach Menschen anzieht, die ebenfalls Krach machen.
Ich erinnere mich gerne an die Friedhöfe meiner Kindheit zurück. Da gab es wilde, ungepflegte Ecken mit alten Grabsteinen, in denen Vögel munter zwitscherten und Kleintiere herumwühlten und genau diese Ecken hatten auf uns Kinder eine magische Anziehungskraft, weil sie undurchdringlich und geheimnisvoll waren. Ich kann mich auch noch an viele ungepflasterte Wege erinnern, auf denen sich Spatzen im Sand badeten. Wir konnten darauf barfuß laufen, weil es noch keinen spitzen Rollsplitt gab. Die Friedhöfe meiner Kindheit waren wirklich Orte der Ruhe und des Friedens, wo wir Kinder gerne spielten, uns aber aus Achtung vor den Toten relativ ruhig dabei verhielten. Diese Friedhöfe gibt es heute leider nicht mehr. Frau Breit-Keßler sollte auf ihren Spaziergängen also mal etwas genauer hinsehen und insbesondere etwas genauer hinhören.