Foto: Elias Hassos
Heuchler sind Leute, die einem nur das Beste wünschen und hinterrücks andere Pläne haben, weiß Susanne Breit-Keßler
13.05.2011

Martina freut sich. Ihr Kinospot, den sie entwickeln sollte, ist fertig. Er wirbt für gesunde Babynahrung, ein Produkt, hinter dem sie wirklich stehen kann. Nachher wird sie ihre Arbeit den Kollegen und dem Chef vorstellen – mal sehen, was die sagen. Rolf und Clara schauen ihr begeistert über die Schulter: „Toll, wie du das machst! Super!“ Martina freut sich. Wenn die beiden das so sehen, wird nachher bestimmt alles laufen. Schwungvoll ­präsentiert sie ihre Ideen. Anschließend bittet der Chef sie kurz hi­naus. Er will erst einmal ohne sie den Entwurf diskutieren.

"Es tut mir so leid!" Wirklich?

Martina wird wieder in den Besprechungsraum gerufen. Zu wenig jung sei der Spot, wird ihr gesagt. Es fehle an Frische. Wahrscheinlich sollte jemand anderes sich dranmachen, die Baby­nahrung zeitgemäß zu bewerben. Martina ist wie vor den Kopf geschlagen. Wieso hat ihr vorher keiner was gesagt? Warum ­haben alle so getan, als wäre ihr Konzept das richtige? Als sie wieder an ihrem Platz steht, kommt Rolf und nimmt sie tröstend in den Arm. Clara sagt: „Es tut mir so leid. Du hast dich so angestrengt. Wie geht es dir denn jetzt?“ Martina wird speiübel. Diese elenden Heuchler!

Was tun, wenn Menschen, denen man vertraut, einem frech ins Gesicht lügen? Wenn man erfährt, dass sie hinterrücks alles tun, um einem zu schaden? Und dann kommen, um erneut ­verlogen-freundlich aufzutreten – als wäre nichts gewesen? Schlimmer: wenn sie einen trösten wollen für das, woran sie selbst nach Kräften mitgewirkt haben? Wir sollen unsere Feinde lieben, heißt es in der Bibel, weil es keine Kunst ist, die zu mögen, die einen auch gernhaben. Natürlich ist es richtig, im Angesicht von Heuchelei anständig zu bleiben. Man will sich ja nicht selbst auf niedriges Niveau begeben. 

Manches wird man auch gelassen ertragen, weil es gar nicht die Mühe lohnt, jede kleine Gemeinheit zu enttarnen. Aber von permanenter Selbstverleugnung ist biblisch nicht die Rede. Im Gegenteil. Wer Nächste und Fernste, wer seine Gegner respektiert, der darf auch ein Auge auf sich selbst und das eigene Wohlbe­finden haben. Dazu gehört es, gegebenenfalls Klartext zu reden. Andere damit zu konfrontieren, was sie Dritten gegenüber an ­Hetze und Kritik geäußert haben. Wichtig ist dafür, nicht gleich spontan loszulegen – Wut ist eine sehr schlechte Ratgeberin. 

Manchmal hilft nur Distanz. Und ein klares Signal

Man kann sich Zeit nehmen und überlegen: Wie verlässlich ist meine Information – damit man sich nicht mit ungerechten Vorwürfen selbst deklassiert. Wichtig ist auch, sich darüber klar­zuwerden, was einen an der Heuchelei so trifft. Das macht es dann leichter, andere nicht emotional anzugreifen, sondern ihnen zu zeigen, wie ehrliche Kommunikation geht. Und welchen Respekt man für sich selber einfordert – dass man dem anderen ein ­offenes Wort wert sein möchte. 

Trotzdem kann es sein, dass das alles nichts bringt. Das Gegenüber ist vielleicht zu feige oder zu faul, sich der Mühe einer Auseinandersetzung zu unterziehen und sich zu entschuldigen. „In ihrem Munde ist nichts Verlässliches; ihr Inneres ist Bosheit. Ihr Rachen ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen heucheln sie“, heißt es schon im Alten Testament. Da hilft nur Distanz – und ein klares Signal, was man von der oder dem anderen keinesfalls mehr haben möchte, weil es unehrlich und damit verletzend ist: Nähe, körperliche Berührungen, Gespräche, in denen so getan wird, als sei alles in schönster Ordnung. 

Man sollte es sich einfach gönnen – den Umgang mit Menschen, die anders als im Psalm zuverlässig und warmherzig sind, die die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. 

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In meiner Betrachtung solcher Probleme steht nicht die Verfehlung des anderen im Vordergrund sondern die Frage, warum ich ein Verhalten überhaupt als Problem wahrnehme. Der Grund kann eigentlich nur der sein, dass ich mich verletzt fühle. Es ist ziemlich offensichtlich, dass ohne diese Vulnerabilität kein Problem existiert - es sei denn, ich will gerne ein Urteil darüber sprechen, wie verabscheuungswürdig Heuchelei ist. Doch beruht auchdas Urteil der Abscheulichkeit alleine auf auf dem seelischen Schaden oder Schmerz, den sie anrichtet. Ohne diesen ist es gegenstandslos. Nun mag man es als eine gesetzmäßige Notwendigkeit betrachten, dass diese Vulnerabilität eben besteht. Manche sagen sogar, dies würde ja erst das wahre Menschliche ausmachen. Doch stimmt das, kann das stimmen? Kann ich mich wirklich darauf berufen, dass dieser Konflikt zwischen mir und dem "fehlverhaltenden" Gegenüber beweist, dass er die Ursache meines Konflikts ist? Ich glaube, dass man an dieser Stelle sehr vorsichtig sein sollte. Denn das Urteil, das ich jetzt über den anderen spreche, ist die Projektion meines eigenen Schmerzes, der jetzt als Wut und Ablehnung in Erscheinung tritt und eine Ursache im Außen sieht, die in Wirklichkeit innen ist. Es ist eine simple Abwehrstrategie, die eigene Selbstunsicherheit nicht sehen zu wollen. Wir vergeben dadurch die Chance, mti der Frage in Kontakt zu kommen, warum wir so sehr davon abhängig sind, dass andere uns immer gut behandeln sollen. Aber ich gebe Frau Breit-Keßler darin Recht, dass wir uns dieses Gefühlschaos selbst nicht übel nehmen dürfen sondern es ausdrücklich zulassen. Wir sollten es anschauen und es uns vergeben. Das ist für mich Vergebung. Den anderen schuldig zu sprechen und ihm dann großmütig zu vergeben, ist ebenfalls Heuchelei und war so nicht von Jesus Christus gemeint. Das Gebot der Vergebung muss mit dem Auspruch des "Splitters im Auge des Bruders und dem Balken im eigenen" gesehen werden. Nicht als Frage einer Schuld sondern als die Erkenntnis, dass der Schmerz nun mal in mir ist und dass ich ihn niemals dadurch loswerden kann, dass ich seine Ursache in den anderen hinein verlege. Für mich ist jeder Konflikt eine Gelegenheit, mir meinen Schmerz zu vergeben, indem ich ihn akzeptiere in Liebe zu mir selbst. Thomas Müller-Rörich
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Zitat aus dem Artikel: "Was tun, wenn Menschen, denen man vertraut, einem frech ins Gesicht lügen?" -------------------- Landesüblich ist es geworden, hier ein psychologisches Problem auszumachen und entsprechende Tipps zu geben. Die dürfen dann auch mit Vorstellungen aus dem Alten Testament angereichert werden, wie es die Autorin macht. -------------------- Thomas Müller-Rörich (nicht überprüft) schrieb am 5. Juni 2011 um 17:29: "Für mich ist jeder Konflikt eine Gelegenheit, mir meinen Schmerz zu vergeben, indem ich ihn akzeptiere in Liebe zu mir selbst." -------------------- Auch dieser Ratschlag empfiehlt, Liebe und Vergebung trickreich zu handhaben. -------------------- Ganz aus der Mode gekommen ist es offenbar, zu fragen, welche Gründe für die Lüge vorliegen. In der Geschichte geht es um eine Werbefirma. Das ist also eine Firma, die ihren Gewinn durch die systematisch und professionell aufbereitete Lüge erzielt, auch und gerade bei der ach so gesunden Babynahrung. Die Gestalten, die in dieser Firma arbeiten, stehen wie in allen Firmen in Konkurrenz zu einander um bessere Entlohnung, Aufstieg und Schutz vor Entlassung. Also müssen sie dafür sorgen, dass ihre Arbeit beim Chef gut ankommt und nicht die der Kollegin. Dafür kann die Lüge ein probates Mittel sein. -------------------- Somit könnte der Konflikt eine Gelegenheit sein, sich ein paar Gedanken zu machen, die nichts mit angeblichen Charaktereigenschaften der Akteure und deren moralischer Würdigung zu tun haben.
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Heuchelei kann sehr verletzend sein. Das ist die eine Seite, die man selber wahrnimmt, wenn man heuchlerisch hintergangen wird. Das tut einfach weh. Da kann ich aus leidvoller Erfahrung nur sagen, dass ich zuweilen auch recht blind war. Ich habe verzweifelt die Quelle der Verleumdung, Mißgunst und Intrigen gesucht aber: Den Baum vor meiner Nase nicht gesehen nicht raufgeguckt sondern nur den undurchdringlichen Wald gesehen. Jemand unterschätzt. Nicht die kleinen Hinweise genügend durchdacht und falsch gedeutet. Einige Male im Leben war ich schlicht diesbezüglich im falschen Zug. Habe die falschen Fragen an mich und andere gestellt. Also ist der Beheuchelte auch beteiligt. In dem Beispiel ist dennoch nicht ersichtlich ob die beiden es nur getan haben um die Kollegin so richtig reinrasseln zu lassen? Das ist nicht so ohne Weiteres klar. Zumindest hätte die übertriebene Lobhudelei der Protagonistin doch verdächtig sein müssen. Zu großes Lob kann auch etwas zutage treten lassen, was genau das Gegenteil bedeutet: Wenn z. B. eine Leistung so übermäßig gelobt wird kann sich dahinter verbergen, dass die gelobhudelte Person in den Augen der anderen sonst eher bescheidene und schlechte Leistungen bringt. Wenn jemand immer gute Leistungen zeigt wird das eher als normal angesehen. Übertriebenes Lob ist häufig eher Tadel und Kritik. Ich meine, dieses Thema ist viel komplexer als in dem kurzen Beispiel. Wie ist es denn mit Menschen zu halten, die jegliche Kritik als verletzend ansehen? Wie ist es, kann mir sehr wohl passieren, wenn es einfach auf dem falschen Fuß landet zum falschen Zeitpunkt? Immer dieses Argument: Du/er/sie/es kann keine Kritik vertragen ist doch ein Totschlagargument! Niemand kann gut Kritik vertragen. Nur ist die Schwelle bei der jemand reagiert sehr individuell. Es kommt auch auf die Art an unter anderem und auf den Gegenstand. Und was macht man mit denen, die sofort sehr aggressiv zurückbratzen? Signalisiert die Person, dass sie sehr stolz auf die Leistung ist? Will man das gerade nicht zerstören? Ist man zu feige? Manchmal will man sich einfach gerade nicht zum Kritiker aufschwingen, gerade wenn es keine gute Kritik sein dürfte. Möglicherweise kann man gerade eine erwartbare emotional negative Reaktion auf eine negative oder beschönigend: konstruktive Kritik gerade selber nicht ertragen? Gut, dann sollte man sich Bedenkzeit erbitten. Aber ist man immer so besonnen? Und was tut man, wenn jemand die Kritik nicht wahrzunehmen scheint? Die Warnungen einfach nicht an sich rankommen lassen will. Man läßt ihn/sie ins offene Messer laufen? Ich finde das so verflixt schwierig, gerade weil ich niemanden verletzen will. Schon die Antwort: "Ich sage jetzt nichts dazu" sagt ja schon ganz viel. Heuchelei ist, wenn ich es recht bedenke immer eine Sache von zwei Seiten: Welchen, die heucheln und welche die sich verheucheln lassen.