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Der Termin war lange vereinbart. Ich war pünktlich in der Praxis erschienen. Doch der Arzt ließ mich warten. Eine viertel Stunde, eine halbe. Nach anderthalb Stunden öffnete sich endlich die Tür und die Stimme der Helferin ertönte aus den Lautsprechern: „Der Nächste, bitte! Herr Brummer.“ Mein Arzt, braun gebrannt und fröhlich, schüttelte mir die Hand und fragte nach meinem Befinden. „Ganz gut. Nur die Warterei hier ist mir ein wenig auf die Nerven gegangen. Ein Notfall? Mussten Sie jemanden dazwischenschieben?“
Der Mann in weißen Jeans und ebensolchem Hemd bat mich, Platz zu nehmen, und schüttelte lächelnd sein Haupt: „Nein, nein. Kein Stress. Alles entspannt.“ Natürlich registrierte er, dass diese Zustandsbeschreibung nur auf ihn selbst, nicht aber auf mich passte. „Sie sollten Zeit einplanen, wenn Sie einen Arzttermin haben. Zeit haben ist gesund. Alles kann warten, wenn es um die Gesundheit geht.“ Alles? Ich muss warten, ich! „Das darf Ihnen nichts ausmachen. Entspannen Sie sich.“
Dann senkte er die Stimme auf ein Raunen, beugte sich mir entgegen: „Außerdem: Was würden Sie von einem Arzt halten, der Sie gleich drannimmt? Stellen Sie sich vor, Sie kommen zur Praxistür rein und werden direkt ins Sprechzimmer durchgewunken. Sie hätten einen verheerenden Eindruck von dem ausgewählten Spezialisten. Sie würden doch sofort denken: Der Doktor kann nichts, der sitzt rum und wartet auf Patienten, weil niemand von ihm behandelt werden will.“
Ich muss zugeben, er hat nicht ganz unrecht. Genauso hat mir mein Nachbar neulich einen Kollegen angepriesen: „Für Ihr Leiden kann ich Ihnen den Doktor S. nur empfehlen. Gilt als der beste Kardiologe in der Gegend. Er ist natürlich schrecklich überlaufen. Man muss schon ein bisschen Zeit mitbringen.“ Wenn sich die Leute in langen Schlangen aufreihen, wenn etwas ausverkauft ist, wenn man Wartezeiten in Kauf nehmen muss, dann muss die Leistung oder das angebotene Produkt besonders wertvoll sein. Die Kunst der Verknappung des Angebots ist eine wichtige Tugend auf dem Markt – offenbar auch auf dem der ärztlichen Leistungen.
Mein bisher bevorzugter Winzer indes hat wohl etwas übertrieben. Der Jahrgang 2009 seines sehr ordentlichen Spätburgunders war im März ausverkauft und der Folgejahrgang noch nicht abgefüllt. Pech für ihn: Ich hatte eher zufällig mitbekommen, dass es sich bei dieser Verknappung um eine „preisstützende Maßnahme“ handelt, weil der 2010er ein eher bescheidener Jahrgang ist. Also habe ich bei einem benachbarten Weingut angeklopft und zu einem günstigeren Preis einen mindestens ebenbürtigen Tropfen erworben. Mein Weinverstand wie mein Geldbeutel sagen mir, dass ich den Besuch dort sicher wiederholen werde.
Ich gratulierte mir im Stillen zu diesem Kardiologen
Diese Geschichte habe ich auch meinem Arzt erzählt. „Das ist interessant“, meinte er. „Da muss man wirklich aufpassen. Sonst wird man vom Markt bestraft. Und als Christ“, fügte er hinzu, „gilt für mich natürlich das Gebot: Du sollst nicht lügen. Ich fände es auch einfach langweilig, stundenlang Däumchen zu drehen, nur damit Sie warten müssten. Nein, da dürfen Sie sicher sein: Das wäre nicht mein Ding.“ Der Doktor ist ein belesener Mann. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er rasch auf Max Weber und die protestantische Ethik zu sprechen kam. Dort seien auch zu diesem marktrelevanten Thema spannende Dinge zu lesen. Nein, ich konnte mich nicht beklagen. Wir führten ein gutes, tiefes Gespräch, und anschließend untersuchte mich der Arzt sehr sorgfältig und ausgiebig per Ultraschall und EKG und maß zu guter Letzt noch meinen Blutdruck.
Ich verabschiedete mich herzlich, gratulierte mir im Stillen zu diesem Kardiologen, verließ mit freundlichem Gesicht das Sprechzimmer und blickte in die griesgrämigen Mienen der wartenden Patienten. Einer von ihnen rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl herum und blickte genervt auf die Uhr. Er sollte mehr Zeit einplanen, wenn er seinen Arzt aufsucht. Es geht um seine Gesundheit.
Sehr geehrter Herr
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Umgang mit anderleute Zeit
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Warum Wartezimmer voll sind
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Was ich notiert habe", Folge 128
Sehr geehrter Herr Chefredakteur Brummer,
wie jedesmal, seit ich die bemerkenswerte Beilage "Chrismon" zu meiner
Tagesszeitung bekomme, habe ich auch heute Ihren obigen Artikel gelesen.
Wenn Ihnen das, was Sie eingangs beschreiben, wirklich passiert ist
und Sie nicht nur nach der Methode "Übertreiben macht anschaulich"
formuliert haben, würde ich an Ihrer Stelle den Arzt wechseln.
Oder wie wär's zur Abwechslung mit einer Ärztin? Oder, noch besser,
mit einer Heilpraktikerin? Bei letzterer muss man zwar etwas
draufzahlen, aber es lohnt sich.
Ärger mit prätentiösem Verhalten habe ich dort auch nicht erlebt.
Dafür umso mehr Gehör und wirksame Hilfe.
Etwas kann ich mir zum Schluss nicht verkneifen:
"Doktor", von lat. "doctor", bedeutet Lehrer, mittel- und
neulateinisch noch Universitätslehrer, Gelehrter; ist auch höchster
akademischer Grad in westlichen Ländern.
Es ist jedoch in der Schriftsprache kein Synonym für "Arzt", auch wenn
sich die Herrschaften selbst gerne so bezeichnen bzw. bezeichnen
lassen, selbst wenn sie nicht promoviert haben, es sei denn, sie sind
im Besitz eines Professorentitels.
Wenn's denn ein lateinisches oder griechisches Wort für Arzt sein
soll, so bietet sich "medicus" oder "ιατρος" an.
Nix für ungut, lieber Herr Brummer, und viele Grüße
Ihr Thomas Bock
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Heinz-Dieter Busch
Sehr geehrte Damen und Herren, mit etwas Anstrengung kann man aus der Notiz ein bischen Ironie oder auch Kritik an den Wartezeiten herauslesen. Aber das genügt mir nicht. Ich finde das Verhalten vieler Ärzte arrogant. Die Äußerungen des Arztes in Ihrem Beispiel sind ja wohl an Arroganz und Zynismus kaum zu übertreffen. Es geht also offensichtlich nicht um Notfälle oder mangelhafte Organisation, sondern um's Prinzip: Warten ist gesund! Wenn man Ihre sonst so sensitive Antenne für Menschlichkeit, Menschenwürde einschalten würde, könnte man auch sagen: menschenverachtend.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz-Dieter Busch
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