Foto: Elias Hassos
Es gibt Menschen, die fragen nicht - die reden. Susanne Breit-Keßler über Monologe und Gespräche
14.04.2011

Ein Hochzeitsfest ist geplant. Damit sich bis zur Trauung alle schon mal beschnuppern können, hat das Paar bereits für den Tag zuvor eingeladen. Es geht vormittags mit der Gondel für zwei auf den Weinberg hinauf – Gelegenheit, dass sich die zusammengewürfelten und ausgelosten Partner kennenlernen. Fröhlich steigen zwei Fremde in jede Gondel, die beim Ausstieg nicht unbedingt Freunde, aber doch ein wenig mehr miteinander vertraut sind. Die Gäste laufen auf dem sanften Gipfel zu Partnern und Familien, um zu berichten, was sie alles erfahren haben.

Nur Carola steht ein bisschen konsterniert da. „Ich weiß alles von ihm“, sagt sie zu ihrem Mann, „dieser Rolf hat ständig von seiner Zeit als Flugkapitän berichtet. Ich bin nicht zu Wort gekommen.“ „Lass den Wichtigtuer“, rät ihr Bernd. Aber Carola ist unzufrieden – mit sich selbst. Warum hat sie den Redefluss von Rolf nicht unterbrochen? Hat wieder ihre Herkunft durchgeschlagen – so dass sie sich klein und minderwertig vorkommt? Ist das wieder so eine Lerngeschichte, damit sie sich das nächste Mal besser durchsetzen kann?

Carola erinnert sich, wie sie als Kind darunter gelitten hat, wenn ihre Eltern immer hinter anderen zurückstanden. Ihr fallen alte Geschichten ein, vom Schulkonzert damals zum Beispiel, sie stand noch mit der Klarinette auf der Bühne und beobachtete von oben, wie sich ihr Vater, ein Arbeiter, vergebens um die Aufmerksamkeit der anderen Eltern bemühte, Rechtsanwältinnen, Kaufleute, Ratsherren. Sie selbst musste sich im Leben vieles erkämpfen – beruflich und finanziell. Carola ist froh, dass sie jetzt ein bisschen in der Vergangenheit stöbern kann, zusammen mit Bernd. „Du kannst stolz auf dich sein“, sagt er. „Es ist total interessant, dir zuzuhören. Wenn man es nicht tut, entgeht einem was!“ Sie lacht. „Gehen wir spazieren.“

"Sie haben so spannend erzählt, dass ich gar nicht dazu kam, mich vorzustellen!"

Die Hochzeitsgesellschaft hat sich verstreut. Auf der Terrasse eines Gasthauses sehen die beiden Rolf vor einem Glas Wein ­sitzen. Sollen sie ihn als unhöflichen Ignoranten abtun? Ist er so, wie er wirkt? Auf jeden Fall kann Carola die Geschichte von der Gondelfahrt nicht so stehenlassen. Damit sie sich künftig nicht mehr so unterbuttern lässt, sondern gleich so in Erscheinung tritt, wie sie sich das für sich selber wünscht, geht sie entschlossen auf Rolf zu. „Hallo“, sagt sie. „Unsere Unterhaltung heute Morgen war ein bisschen einseitig. Sie haben so spannend erzählt, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, mich vorzustellen.“

Rolf bietet ihr und Bernd einen Platz an. „Stimmt. Seit ich ­alleine und im Ruhestand bin, nutze ich jede Gelegenheit, von mir zu erzählen...“ Carola lächelt. „Sie fangen schon wieder an. Aber jetzt will ich nichts vom Flugkapitän hören, sondern vom Menschen.“ Rolf erzählt von seiner Frau, die mit einem Jüngeren durchgebrannt ist, von Kindern, die keine Zeit mehr für ihn haben. Davon, dass er gerne noch etwas arbeiten würde, aber nichts findet. Dann will er schließlich doch noch genau wissen, wer Carola ist und was Bernd alles macht. Es wird spät.

Im Zimmer angekommen, sagt Carola: „Irgendwo habe ich mal gelesen, was man alles im Umgang mit anderen tun soll. Am Ende hieß es: ‚Und, ach, alle lieben.‘ Kann ich nicht, alle lieben. Aber es ist aufregend, anderen Menschen nicht auf den Leim zu gehen, sondern sie dazu zu bewegen, wirklich was von sich preiszugeben und das Gleiche auch zu tun.“ „Ob unser Flugkapitän das be­griffen hat?“, fragt Bernd. „Hm“, sagt Carola. Währenddessen schickt Rolf eine SMS: „Wo sitze ich morgen? Wäre toll in der Nähe von Carola und Co. Danke.“ Die beiden freuen sich schon mal, dass ihre Tischkärtchen längst platziert sind, wo auch immer. 

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Nein das ist nicht langweilig wenn jemand einen Monolog hält bzw. seinen Gegenüber nicht zu Wort lässt! Da stimmt etwas nicht in der Ausgangssituation. Bei einer Person die erzählt und erzählt kann man viel daraus lesen warum er das jetzt ohne Pause erzählt bzw. sieht das immer wir ein kleiner Hilfefruf aus: >>Hilfe niemand interessiert sich für meine Geschichten!<< Der letzer Monolog, den ich erlebt habe war diese Woche als der CEO mir die Gründe erklärt hat warum ich nicht die Stelle einer Führungposition bekomme sondern nur in das Nachwuchsführungteam aufgenommen würde. In diesem Moment habe ich verstanden das er gar keine Rückmeldung erwartet und das fand ich dann etwas traurig für so ein Gespräch. Wenn die Person gegenüber einen Monolog hält veraten viele Kleinigkeiten was sie für Erwartungen in den Reaktionen Ihres Gegenübers sucht. Vielleicht auch wenn es keinen Blickkontakt gibt ob es doch eher ein Hörspiel ist. Kommunikationstraining sollte grundsätzlich dem Schüler beibringen das Monolog eine Verkümmerung darstellt und man nur im Dialog lachen bzw. erfahren kann was sein Gegenüber denkt!
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Zitate aus dem Artikel: "Es geht vormittags mit der Gondel für zwei auf den Weinberg hinauf.....Ich bin nicht zu Wort gekommen.....Aber Carola ist unzufrieden - mit sich selbst." --------------- Vor einigen Jahrzehnten hatte der anständige Mensch nur an Gott zu glauben und sich entsprechend gesittet aufzuführen. Da war es damit getan, bei einer nervigen Quasselstrippe interessiert zu gucken und ansonsten die Ohren auf Durchzug zu stellen. Diese unter dem Namen Höflichkeit bekannte Verlogenheit reicht in der Moderne nicht mehr aus. Seit der zusätzliche Glaube an die Psychologie Standard geworden ist, sind in einer solchen Situation schwere Selbstvorwürfe Pflicht. Eine Gondelfahrt auf einen Weinberg dürfte in wenigen Minuten vorüber sein. Dann geht es aber erst richtig los. Angefangen mit den frühen Kindheitserinnerungen über die heiße Frage, was psychomoralisch auf dieser Gondelfahrt richtig gewesen wäre bis hin zum Selbsthader, wie man doch wieder versagt hat. ---------------- Die Verschärfung der hergebrachten gewöhnlichen Moral zur modernen, psychologisch bewanderten Moral ist nicht ohne!