Diese Trophäe wollten sich die Nationalsozialisten nicht entgehen lassen. Am 9. November 1938 zündete ein Trupp Braunhemden von der Sturmabteilung die Neue Synagoge in Berlin an. Das Bauwerk in der Oranienburger Straße war das größte und prächtigste jüdische Gotteshaus in ganz Deutschland. Die goldverzierte Kuppel ragte über 50 Meter hoch. Die Synagoge bot 3200 Sitzplätze, der Schriftsteller Theodor Fontane empfahl „einen Besuch dieses reichen jüdischen Gotteshauses, das an Pracht und Großartigkeit der Verhältnisse alles weit in den Schatten stellt, was die christlichen Kirchen unserer Hauptstadt aufzuweisen haben“.
Am 9. November 1938, in der Pogromnacht, brannten in ganz Deutschland die Synagogen. Aber ausgerechnet in der Oranienburger Straße stellte sich ein mutiger Polizist der SA in den Weg. Mit gezogener Pistole soll Wilhelm Krützfeld die Brandstifter zum Abzug gezwungen haben. Dann alarmierte er die Feuerwehr, die den Brand im Innenraum löschte. Dieses Verhalten war lebensgefährlich, denn er widersetzte sich einem klaren Befehl: In dieser Nacht durften auf Geheiß der Nationalsozialisten keine Synagogen gelöscht werden.
Ein Bild von einem preußischen Beamten
Woher so viel Mut? Wilhelm Krützfeld war kein Widerstandskämpfer, sondern im Gegenteil ein ordentlicher Staatsdiener. Im Dezember 1880 in dem norddeutschen Dorf Hornsdorf geboren, hatte er bis 1907 in der Preußischen Armee gedient, bevor er Polizist wurde. Ein Foto zeigt ihn mit schmalem Gesicht und hoher Stirn, das Haar korrekt gescheitelt und straff zurück gekämmt. Die Uniform hat er bis zum obersten Knopf geschlossen. Der Mann sitzt aufrecht am Schreibtisch und bearbeitet Akten – ein Bild von einem pflichtbewussten Beamten. 1938 leitete er, inzwischen Oberleutnant geworden, das Revier 16 am Hackeschen Markt in Berlin.
Am Tag nach seiner mutigen Tat wird Krützfeld zum Berliner Polizeipräsidenten bestellt. Dieser lässt ihn, womit kaum zu rechnen war, mit einer Verwarnung davonkommen. Wie erging es ihm weiter? Darüber ist wenig bekannt. Seine Zivilcourage war einer steilen Karriere sicher nicht förderlich. 1940 wurde er versetzt, 1943, also 60-jährig, ging er auf eigenen Wunsch „aus gesundheitlichen Gründen“ in den Ruhestand.
Doch vier Jahre später, Krieg und nationalsozialistische Herrschaft liegen zurück, meldet sich Krützfeld für den Wiederaufbau der Berliner Polizei. 1947 leitet er die Inspektion Mitte, die jetzt zum sowjetischen Sektor gehört. Am 31. Oktober 1953 stirbt er im Alter von 72 Jahren und wird auf dem Friedhof der evangelischen Georgen-Parochialgemeinde in Berlin-Weißensee bestattet.
Es ist nicht bekannt, dass Krützfeld politisch Position gegen die Nazis bezogen hätte. Deshalb blieb sein vorbildliches Eintreten für die Neue Synagoge lange ohne Anerkennung. Zumal diese den Krieg nur als Ruine überstand. Im November 1943 war sie bei einem britischen Luftangriff schwer beschädigt worden. 1945 plünderten Überlebende das Gebäude auf der
Suche nach Baumaterial.
Die DDR hatte kein Interesse an Wilhelm Krützfeld
Die DDR hatte kein Interesse, an den preußischen Polizisten Krützfeld zu erinnern. Sie behauptete, die Nazis hätten die Neue Synagoge zerstört. 1958 erklärte sie die Ruine für einsturzgefährdet und ließ die Überreste sprengen. Lediglich die Fassade sollte als Mahnmal erhalten bleiben. Erst kurz vor dem Ende der DDR änderte die SED ihre Haltung. Am 10. November 1988 wurde am 50. Gedenktag der Reichspogromnacht ein Grundstein zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge gelegt.
1992 erhielt Krützfeld vom Berliner Senat ein Ehrengrab, am 9. November 1993 benannte das Land Schleswig-Holstein seine Landespolizeischule nach Wilhelm Krützfeld. Aber die Suche nach den Hintergründen der mutigen Tat geht weiter. Es gibt Hinweise darauf, dass nicht Krützfeld die Synagoge rettete, sondern der Polizist Otto Bellgardt. Selbst wenn das stimmt, hängt die Gedenktafel für Wilhelm Krützfeld zu Recht an der wieder aufgebauten Synagoge. Denn er bleibt ein Vorbild an Zivilcourage. Als Reviervorsteher deckte er das Handeln des ihm unterstellten Polizisten. Die Rettung der Neuen Synagoge zeigt: Auch gute Taten sind selten das Werk eines Einzelnen. Selbst der Mutigste braucht Helfer.
Buchtipp
Sehr geehrte Redaktion,
mit Aufmerksamkeit las ich den Artikel von Johannes Schweikle über den Berliner Polizeibeamten Wilhelm Krützfeld, der 1938 die Zerstörung der Neuen Synagoge in Berlin verhinderte. Ich weiss nicht, ob dem Autor das Buch von Heinz Knobloch "Der beherzte Reviervorsteher" bekannt ist. Es erschien als Fischer Taschenbuch 1996, ISBN 3-596-12802-1. In diesem Buch schildert er detailliert die Vorgänge in jener Nacht und beschreibt ausführlich den Lebensweg dieses Mannes, der das Schlimmste vor Ort verhindern konnte. Wer Heinz Knobloch war und was er veröffentlichte, können sie selbst googeln. Heinz Knobloch war für mich einer der besten Feuilletonisten, die ich kenne und hat vielen Persönlichkeiten, die in der Berliner Sozialgeschichte eine große Rolle spielten und in Vergessenheit gerieten, literarisch ein Denkmal gesetzt. Leider starb er viel zu früh.
Vielleicht hat manche Leserin oder manch Leser ein Interesse daran, sich genauer über diesen mutigen Mann zu informieren. Ein Hinweis auf dieses Buch und seinen Autor in der nächsten Ausgabe "leserbriefe" halte ich für wünschenswert.
Mit freundlichen Grüßen!
Heide Welland
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Synagoge in der Oranienburger Straße
Insbesondere zum 9.11. ist der Artikel sehr passend. Er hat mich sehr berührt.
Ich höre gerne, nur am Freitag, Kantoral-Musik. Nicht jeden Freitag. Estrongo Nachama und der Organist Harry Foss, der leider während einer Herzoperation 1994 in der Charitee starb.
Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Artikel.
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