Beamte mit Kippa? Na klar
„Religionsfreiheit: ein Menschenrecht unter Druck“ heißt die neue Studie der katholischen Theo­login Marianne Heimbach-Steins, Münster (Schöningh-Verlag 2012). Darin fordert sie unter anderem mehr Einsatz der Kirchen für Religionsfreiheit in den eigenen Reihen
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
15.01.2013

chrismon: Wo gerät die Religionsfreiheit in Deutschland unter Druck?

Marianne Heimbach-Steins: ­Aktuell in der Beschneidungs­debatte. Das ist ein Konflikt zwischen der Religionsfreiheit und anderen Grundrechten, dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Frage, wie weit das Erziehungsrecht der Eltern reicht. Hier setzen viele auf einfache Lösungen zulasten der Religionsfreiheit.

Wen zum Beispiel meinen Sie?

Den Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke, auf dessen Gutachten das Kölner Beschneidungsurteil zurückgreift.

Wo gerät Religionsfreiheit noch unter Druck?

Erstmals virulent wurde dies mit den Kruzifix-, später mit den Kopftuchurteilen.

Aber hier ging es doch darum, dass religiöse Symbole nicht in Gerichtssäle und Klassenzimmer gehören!

Man muss unterscheiden, ob ein religiöses Symbol kraft staat­licher Anordnung in einem öffentlichen Gebäude angebracht ist oder ob jemand seinen Glauben etwa durch ein Schmuckkreuz oder eine Kippa ausdrückt. Wenn das Land Berlin Lehrern und Beamten in Justiz und Polizei generell das Tragen religiöser Symbole im Dienst verbietet, schränkt das die Religionsfreiheit erheblich ein.

Sie sprechen von einer angeheizten religionspolitischen Lage. Wer heizt an, die Religiösen oder ihre Verächter?

Beide. Religiöse wie antireligi­öse Fundamentalisten setzen ihre Wahrheits­auffassung absolut und beanspruchen dafür Macht. Ich meine: Wer für Religionsfreiheit eintritt, muss sich daran auch im eigenen Bereich messen lassen. Das habe ich für die katholische Kirche darzulegen versucht.

Noch immer verlieren katholische Kinder­gartenleiterinnen ihren Job, wenn sie einen Geschiedenen heiraten.

Die Spannungen zwischen staat­lichem Arbeitsrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht zeigen: Die Kirche muss prüfen, was für ihr Zeugnis unaufgebbar ist und wo es ihrer Glaubwürdigkeit dient, sich von weltlichen Maßstäben provozieren zu lassen.

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Ich möchte Frau Heimbach-Steins widersprechen. Die meisten Beschneidungskritiker setzen m.E. nicht auf "einfache Lösungen zu Lasten der Religionsfreiheit". Die ethische und rechtliche Debatte geht bis in die Antike zurück. Für die Hellenen kam die Beschneidung einer barbarischen Verstümmelung gleich. Der natürliche menschliche Körper galt ihnen als vollkommen. Unsere heutige europäische Kultur baut auf der griechischen auf, unser Rechtssystem auf dem römischen. Rennaisance und Aufklärung entdeckten die griechische Philosophie, Medizin und Naturwissenschaft wieder und das Freiheitsrecht der Menschen. Schon 1826 brachte der hessische Abgeordnete Johann André einen Antrag in die Versammlung der hessischen Landstände ein, die Beschneidung der Judenkinder auf ein späteres Alter zu verschieben, damit diese selber über ihren Körper bestimmen können. Der Antrag wurde unterstützt von dem damals hoch angesehenen Arzt Freiherr Georg von Wedekind und dem führenden Vertreter der rationalistischen Theologie Prof. H. E. G. Paulus aus Heidelberg. Sie argumentierten, dass das Erziehungsrecht der Eltern nicht so weit gehen könne, in die Verstümmelung ihrer Kinder einzuwilligen. Die Debatte wurde intensiv auch innerhalb der jüdischen Gemeinden geführt, bis die Israelitischen Synoden 1869 in Leipzig und 1871 in Augsburg beschlossen, dass auch unbeschnittene Juden alle religiösen und kultischen Rechte genießen. Es geht m. E. in diesen Fragen also gar nicht so sehr um die Religionsfreiheit, sondern um das unveräußerliche Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen. - In der aktuell geführten Debatte um die Grenzen der Religionsfreiheit sollte man sich an den Satz aus der Weimarer Verfassung erinnern, der in das Grundgesetz übernommen wurde: "Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt." (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 WV). Das heißt: die bürgerlichen Rechte und Pflichten gelten für ALLE Bürgerinnen und Bürger. Auch in kirchlichen Betrieben hat das staatliche Recht zu gelten.

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"Wer heizt an - die Religiösen oder ihre Verächter?"

Sagen Sie mal Herr Interviewer Seitz, für Sie gibt es wohl nur Freund oder Feind. Was für ein simples Weltbild!
Genau mit solchen Formulierungen heizen SIE die Debatte unnötig auf.
Zwischentöne? Vielleicht mal Information, sogar medizinisch fundierte? Fehlanzeige.
Menschen vorzustellen, die Zweifel an Religionspraktiken äußern, sich für eine Modernisierung einsetzen - auch das nicht. Wären solche Menschen jüdischen, muslimischen oder christlichen Glaubens auch "Verächter"?
Was hat es mit Religionsverachtung zu tun, wenn man für ein Selbstbestimmungsrecht von Jungen gegen Genitalverstümmelungen eintritt?
Nun nennt eine Theologin in diesem Interview das geltende Arbeitsrecht eine "Provokation weltlicher Maßstäbe", die die Kirche angeblich "prüfen" kann. Irrtum! Nicht die Kirche darf irgendetwas prüfen, sondern der Staat muß prüfen, ob er Rechtsbrüche egal welcher Kirchen duldet. Wir leben NICHT in einem Gottesstaat!
Frau Heimbach-Steins offenbart hier ein umgekehrtes Staatsverständnis und religionsfundamentalistisches Gedankengut.

Deutschland ist inzwischen ein multikulturell und multiweltanschaulich geprägtes Land geworden. Um des gesellschaftlichen Friedens willen ist daher die Religion in den privaten Bereich zurückzunehmen. Ich möchte jedenfalls trotz aller Liberalität und Religionsfreiheit nicht, dass – zu Ende gedacht – zum Beispiel Männer mit Rauschebärten und in weißen Nachthemden Amtshandlungen vornehmen und unser öffentliches Leben mit prägen. Es gibt eine kulturelle Identität, die sich zwar der Globalisierung immer wieder auch anpassen sollte, aber wenn kulturelle Identität überhaupt noch eine Bedeutung hat, darf Globalisierung nicht Aufgabe aller kulturellen Eigenheiten bedeuten. Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen noch hinnehmbarer Zurschaustellung religiöser Überzeugung und Einschränkung meiner Rechte oder gar Verzicht auf meine kulturelle Prägung und Herkunft? Sie ist nicht gerecht und begründbar zu ziehen, deshalb ist inzwischen die einzige vernünftige Konsequenz die absolute Trennung von Staat und Religion – im Interesse aller, der Religiösen wie der Konfessionsfreien! (uwelehnert.de)

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Es ist interessant, dass die Vertreter der Religionsgemeinschaften plötzlich die Menschenrechte entdecken. Bislang genügte ihnen die Berufung auf einen ihrer Götter. Allerdings nehmen sie jetzt das Wort "Menschen"recht auch nur dann in den Mund, wenn es darum geht, ihre Privilegien zu verteidigen.

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Götz schrieb am 19. Februar 2013 um 18:37: "Allerdings nehmen sie jetzt das Wort "Menschen"recht auch nur dann in den Mund, wenn es darum geht, ihre Privilegien zu verteidigen." Das ist allerdings keine Spezialität von Vertretern der Religionsgemeinschaften. Die Menschenrechtswaffe wurde im sogenannten Kalten Krieg geschmiedet, Es galt, dem Reich des Bösen mit Hauptsitz in Moskau den ideologischen Garaus zu machen. Da das Reich des Bösen inzwischen zur Hölle gefahren ist, steht die Menschenrechtswaffe jetzt jedermann zur freien Verfügung. Wann immer jemand ein Interesse hat, das auf gegenteiliges Interesse stößt, empfiehlt es sich, der eigenen Sache Wucht zu verleihen duch die Darstellung der eigenen Position als menschenrechtsgemäß und der des Kontrahenten als menschenrechtswidrig. ________________________________ So ist das eben, wenn der Streit um Rechte und Werte geht und nicht um die Verhältnisse, in denen Rechte und Werte eine ideologisch so wichtige Rolle spielen.

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Kirche und Machtsouveränität

Frau Heimbachs-Stein macht nach meinem Eindruck sehr deutlich, worum es den Glaubensgemeinschaften wirklich geht. Glaubensfreiheit im genannten Sinne ließe sich wohl besser mit uneingeschränkter Machtsouveränität der Religionsgemeinschaften umbeschreiben. Daher löst die Beschneidungsdebatte bei religiösen Lobbyisten aller Prägung Panik aus.

"Glaubensvertreter" wie Frau Heimbachs-Stein machen es aber aufrichtigen Christen wie mir immer schwerer nicht aus der Kirche auszutreten. Schließlich ist man ja als Christ durch die Verlautbarungen der Kirchen irgendwo daran mitschuldig, dass durch Menschenhand die Schöpfung Gottes mit einem Messer an wehrlosen Kindern vollendet werden soll, was im Widerspruch mit der Schöpfung selbst steht: "Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut. "