Dirk von Nayhauß
"Dass wir sterben müssen, empfinde ich als Einmischung ins Privatleben"
Axel Milberg möchte im Alter potent wie Charly Chaplin sein und dann am liebsten auf einem Flugplatz sterben.
Dirk von Nayhauß
19.12.2012

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Fast immer, ob ich ein Buch lese, mir etwas wehtut oder wenn etwas neu beginnt – mit Sorge, aber auch Aufregung. Ich bin kürzlich mit dem Fahrrad allein durch Schwabing geradelt und hatte ein paar Stunden Zeit. Ich kam in die Nähe der Universität, ich sah viele Studenten und erinnerte mich daran, wie ich vor bald vierzig Jahren aus Kiel nach München gekommen bin. Die Aufregung, die ich damals gespürt habe, die habe ich noch einmal in mir empfunden und habe gedacht: Aufgepasst, das Gefühl von Aufbruch muss bleiben!

An welchen Gott glauben Sie?

Das ist heute ein anderer als gestern oder morgen. Ich muss überwältigt sein, ich darf mir Gott nicht wünschen und nicht wollen. Man darf den Wunsch zu glauben nicht mit dem Glauben selbst verwechseln. Er muss plötzlich da sein, ohne dass ich ihn her­beiwünsche, sonst werde ich misstrauisch. Es gibt Augenblicke großer Dankbarkeit, dann denke ich: Glück gehabt! Das wäre fast schiefgegangen! Dass es etwas Göttliches gibt, kann ich mir auch vorstellen, wenn ich mir diesen unfassbar genauen Bauplan der Natur vergegenwärtige. Wenn mir ein Arzt erklärt, wie der Körper in bestimmten Details funktioniert. Oder bei diesen winzigen ­Gesichtern von Mikroben und Bakteriophagen, die mit dem Elektronenmikroskop aufgenommen wurden, habe ich das Gefühl: Die sind beseelt. Je mehr man weiß, hieß es früher, desto mehr schwindet die Präsenz Gottes. Nein: desto größer ist das Staunen.

Muss man den Tod fürchten?

Ich würde am liebsten auf einem Flughafen sterben. Unterwegs, sozusagen auf dem Sprung. Ich leide unter der Vorstellung, dass wir sterben müssen, ich empfinde das als Einmischung ins ­Privatleben. Ich habe früher nie dran gedacht, aber seit ein paar Jahren belästigt mich diese Tatsache, einfach durch nüchterne Rechnungen: In zehn Jahren bin ich im offiziellen Rentenalter, dabei habe ich doch gerade erst angefangen. Vor allem aber ist der Tod eine Mahnung, das Leben zu genießen: Lass nichts anbrennen! Liebe! Pack zu! Wähle den anstrengenderen Weg statt den leichten. Gehe ein Risiko ein.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Mich macht glücklich, dass ich Liebe so tief empfinden kann. Ich bin als Kind sehr geliebt worden, meine Mutter nannte mich ­Pfiffikus, wenn ich pfeifend von der Schule nach Hause kam. Diese Liebe gebe ich weiter. Als ich vor 20 Jahren meine Frau ­Judith kennenlernte, sagte sie sehr früh: „Du bist mein Mann. Du musst nicht irgendwas machen, um meine Liebe zu be­kommen.“ Das war ein großes, wunderbares, für mich auch überraschendes Erlebnis. Sie wollte keine Spielchen der Attraktivitätssteigerung. Damit war die Liebe zwischen uns beiden keine Kampfzone. So aber habe ich es vorher wahrgenommen, wie ein Markt von Anbieten und Abfragen, auch an das Leistungsprinzip gekoppelt: Ich liebe dich, wenn du...

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Darüber rede ich nicht gerne, dafür bin ich zu norddeutsch-protes­tantisch. Dort sind die Kirchen nicht geschmückt, sondern auf den Inhalt konzentriert. Ich will keine Ankündigungen machen. Es geht mir ja gut, ich wünsche unseren Kindern glückliche Zeiten, dass wir alle gesund bleiben. Und dass ich wie Chaplin potent bleibe bis ins hohe Alter.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Habe ich, kenne ich. Und weil ich das gut kenne, versuche ich, Situationen zu vermeiden, bei denen ich weiß, dass es mir später leidtun wird. Ansonsten: ganz schnell auflösen! Ich habe überhaupt kein Problem damit, mich zu entschuldigen, im Gegenteil. 

Was fehlt Ihnen in Ihrem Leben am meisten?

In dem Hannah-Arendt-Film spiele ich ihren Ehemann Heinrich Blücher. Sie war eine mutige Frau. Es hat ihr nichts ausgemacht, sich mit allen anzulegen. Sie war sich selbst gegenüber rücksichtslos und hat ihre Überzeugungen mitgeteilt, das bewundere ich. Ich selbst könnte mir manchmal mehr zutrauen. Ich habe manchmal Leute, die eine große Schnauze hatten, machen lassen, und das ärgert mich. Wenn ich mich doch mal mit anderen anlege, dann kommt der Gewissenswurm und flüstert mir ein: „Geh hin und sage: War nicht so gemeint, war nicht persönlich gegen dich“ und die ganze Sülze.

 

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Geht mir genauso, das "mit der " Einmischung ins Privatleben ! Der Tod " als Mahnung, das Leben zu geniessen, ist sowohl richtig, als auch schwierig, und dass es mich noch gibt, verdanke ich wohl allein dieser Erkenntnis, dass nämlich das Leben eben viel zu kostbar ist, um es an irgendwelche Konventionen zu vergeuden. Aber das DÜRFEN, muss man sich leider erst verdienen, auch im ideellen Sinne, oder es erkämpfen. Der Tanz um das Goldene Kalb, oder wie werde ich selbständig, erwachsen , unabhängig ist mir fast völlig misslungen. Hannah Arendt : " Es hat ihr nichts ausgemacht , sich mit allen anzulegen. Sie war sich selbst gegenüber rücksichtslos und hat ihre Überzeugung mitgeteilt. " Leider, kenne ich den "Gewissenswurm " auch, aber seit ich ihn abgelegt habe, in manchen Fällen, werde ich freier, aber auch trauriger, und allein. Wenn ich mich nicht entschuldige, kommt mir keiner entgegen, geradezu so, als wäre es dem anderen gleich. Diese eingleisige Spur gefällt mir nicht, aber andererseits komme ich keinen Schritt weiter. Ich brauche das Alleinsein. Doch mein Selbstbewusstsein leidet sehr unter den Umständen, in denen ich lebe ! Vielen Dank, Axel Milberg, ich wäre gern, wie Hannah Arendt :-) , "rücksichtslos sich selbst gegenüber, um sich selbst stärker zu fordern, offen, streitbar , und nicht so leicht verletzbar, humorvoller und zu guter Letzt, auch noch glücklicher ! Gabriell