Ja, das gibt es: eine Basilika, die der Angst gewidmet ist. Am Fuß des Ölbergs in Jerusalem steht sie, an der Stelle, an der Jesus seiner Festnahme und Exekution entgegensah. In Todesangst betete er dort, und deshalb heißt die Kirche Todesangstbasilika. Wo es um Religion geht, ist die Angst nicht fern. Aber wovor? Die Angst vor martialischen Höllenstrafen sprach aus manchem kirchlichen Wandgemälde des Mittelalters – gegen die Gefahren für Leib und Seele wappneten sich die Menschen mit dem Schutz der Sakramente und der Fürsprache der Heiligen.
Nicht immer ist auf den ersten Blick zu erkennen: Stiftet und verwaltet die Kirche Angst oder hilft sie, die Angst zu bewältigen? In der Religionspsychologie stand lange die Religionskritik Sigmund Freuds im Zentrum. Sie wirkt bis heute nach. Freud, Gründer der Psychoanalyse, sah Religion als kollektive Zwangsneurose: Sie fördere die Gewissensangst der Menschen, dann zum Beispiel, wenn sie vorgeschriebene Rituale ignorieren oder nicht peinlich exakt ausführen. Freud (1856–1939), selbst Jude, hatte den Wiener Katholizismus vor Augen. Und da fand er: Dieser macht Menschen infantil und fesselt sie an Illusionen. Hinter allem stehe die Sehnsucht nach einem allmächtigen Vater, dem die Gläubigen mal blinde Zuneigung, mal Hass entgegenbrächten.
Freuds negative Sicht ist nicht mehr bestimmend beim Thema Religion und Angst. Religionspsychologen befassen sich mit viel breiter gestreuten Themen, allerdings tauchen die Themen Freiheit und Angst, Selbstbestimmung und Zwang auch immer mal wieder auf. Der Psychoanalytiker Erich Fromm (1900–1980) stellte positiv heraus, dass der Glaube Orientierung im Leben gebe, aber er kritisierte auch autoritäre Seiten der Religion, die Gehorsam, Unterwerfung und Selbstentfremdung mit sich bringen. Nur eine „humanistische Religion“ befreie die Menschen von äußeren und inneren Zwängen, mache die Menschen zur Hingabe fähig. Oder Eugen Drewermann, der katholische Theologe und Psychoanalytiker. Er steuert in seinen zahlreichen Büchern immer wieder das Begriffspaar Angst und Vertrauen an. Biografisch hat dies damit zu tun, dass er als kleiner Junge Bombennächte des Zweiten Weltkriegs erleben musste. Im Mythos vom Sündenfall (1. Buch Mose) sieht er ein treffendes Bild für die Gefühlslage des Menschen. Sie ist bestimmt von der Angst – vor der eigenen Minderwertigkeit, vor dem Versagen, auch vor der Strafe Gottes. Adam und Eva ließen sich im Paradies von der Schlange verführen, für Drewermann: vom Trieb und der Versuchung, andere zu beherrschen und Herr über Gott sein zu wollen. Das Ergebnis: noch mehr Angst.
Der Mensch lebt nicht aus eigener Kraft und Leistung
Kann die Religion von der Angst befreien? Ja, sie kann es und tut es – wenn es ihr ernst ist mit der Rede von der befreienden Gnade Gottes. Und wenn man alles aus dem Glauben herausträgt, was den Anschein erweckt, als habe man es mit seinen Taten und Werken selbst in der Hand, sich Gottes Gnade zu verschaffen. Im neuen Evangelischen Erwachsenenkatechismus (EEK, 8. Auflage 2010) taucht der Begriff der Angst im Register zwar gar nicht erst auf, wohl aber dann auf vielen Seiten. Dreh- und Angelpunkt des evangelischen Umgangs mit der Angst ist das Vertrauen auf Gottes Zuwendung, genau darin besteht der Glaube. Im EEK heißt es: „Wer auf die Güte Gottes zu setzen wagt, für den gilt in Schuld, Angst oder Krankheit: ‚Dein Glaube hat dich gesund gemacht.‘ Deshalb führt Jesus seine Jünger mit der vertraulichen Gebetsanrede Abba (Papa) in eine familiäre Verbundenheit zu Gott und lädt sie dazu ein, diese unverdiente Freundlichkeit Gottes ebenso bedingungslos anderen zu erweisen: ‚Liebet eure Feinde..., damit ihr Söhne werdet eures Vaters im Himmel.‘ Der Mensch lebt nicht aus eigener Kraft oder Leistung.“ (Seite 190)
Gibt es Religion ohne Angst? Besser nicht. Denn dass Menschen ihre Ängste mit ihrem Glauben bewältigen können, ist eine große Chance. Verzichtbar hingegen sind Glaubensrichtungen, die Angst stiften und verwalten – oft fundamentalistische Spielarten der Religionen. Angstmacher gibt es schon genug in dieser Welt – in den Kirchen, Gott sei Dank, immer weniger.
Die Religion
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Religion verspricht Linderung einer Angst, die sie selbst erzeug
Religion ist gemacht aus Angst: Angst vor der eigenen Endlichkeit. Wie Kinder, die nicht einsehen wollen, daß sie ins Bett gehören, weigern wir uns, die eigene Endlichkeit einzugestehen. "Oooch, nur noch ein bißchen", versuchen wir, noch Nachspielzeit herauszuschinden. Das ist ebenso verständlich wie erbärmlich.
Um den unvermeidlichen Schlußpunkt zu vermeiden, sind wir gewillt, sämtliche Unbill, mögen sie nun Hölle, Fegefeuer oder Hades heißen, auf uns zu nehmen — egal was, Hauptsache, das Ende ist nicht das Ende, und es geht IRGENDWIE weiter. Hier hakt die Religion ein und verheißt uns je nach Präferenz Walhalla, 72 Jungfrauen oder einen lebenslangen Vorrat Dosenbier.
Unsere Angst vor dem Nichts macht Religon zum ultimativen Werkzeug, Menschen gefügig zu machen: Mit einem religiösen Mäntelchen verbrämt, kann man selbst absurdeste Ansinnen einfordern. Würde ein Banker uns zur Einlage all dessen, was wir haben, auffordern, noch dazu verlangen, Schulden zu machen für diese Investition, welche uns eine Fantastillion Rendite verspricht — auszahlbar NACH unserem Tod und, wohlgemerkt, nur im Jenseits, nicht an unsere diesseitigen Nachfahren — würden wir diesen zum Teufel jagen. Zu Recht. Einen Mann GOTTes (welchem auch immer), mit demselben (Rendite-)Heilsversprechen, hingegen nicht.
Eigene Interessen als GOTTes Willen zu verkaufen ist Quintessenz jeglicher Religion. Es kommt immer besser, sich wie der Zauberer von Oz hinter dem großen Vorhang zu verstecken. Zu sagen, "Es ist GOTTes Wille, daß DU diese Hexe dem Feuer überantwortest" klingt wesentlich erhabener als "ICH will, daß sie stirbt, damit ich mir ihre Besitztümer unter den Nagel reißen kann, und damit ihre Patienten fortan zu MIR kommen."
Es kommt noch besser: Je besch…eidener es Menschen im Diesseits geht, desto gieriger sind sie auf die Fantastillarde im Jenseits, und desto niedriger ist ihre Hemmschwelle, in Erwartung des Jenseits im Diesseits dumme Dinge zu tun. Das macht Religion so gefährlich: Je größer die Armut, desto gefügiger. Nur ein hungriger Gläubiger ist ein guter Gläubiger. Satte taugen nicht zum Glauben — sie sind schlecht manipulierbar. Nicht von ungefähr kommt das geldtechnische "Kredit" vom religiösen "io credo" — "ich glaube".
"Ich glaube, daß du mein vorgestrecktes Vermögen vergoldest, verzinsestzinst, … mir mehr zurückgibst, als ich investiert habe!" Das ist Grundsatz jeglicher Religion. Wollen wir das glauben?
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Glaube ein Kalorienproblem?
Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Gast schrieb am 30. Juni 2012 um 13:16: "Nur ein hungriger Gläubiger ist ein guter Gläubiger. Satte taugen nicht zum Glauben - sie sind schlecht manipulierbar." Das ist ein Irrtum. Bereits ein Blick auf die ziemlich häufige Leibesfülle höherer Würdenträger spricht gegen die These. Es stimmt zwar, dass der Glaube prächtig geeignet ist, Armut nicht oder falsch zu erklären und dann folgerichtig zu ertragen. Aber so harmlos ist der Glaube leider nicht, dass er mit dem Hunger verschwinden würde. Es gibt jede Menge Gründe, dass auch Satte sich und anderen die Welt mit Gott und Zubehör gedanklich zurechtlegen.
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