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"Bei jeder neuen Rechnung krieg ich Bauchschmerzen"
Monatelange Wartezeiten, wöchentlich steigende Kosten, Handwerkerfirmen, die nie zurückrufen: Das eigene Haus bauen war schon immer ein Nervenkrieg - jetzt wird es für viele fast unmöglich
Tim Wegner
10.11.2022

Das Einfamilienhaus… wer diesen Blog öfter liest, weiß, dass ich diesem Wunsch eher kritisch gegenüberstehe.

Meine Gründe sind vor allem allgemeinpolitisch: Zu viel umbauter Raum für zu wenig Menschen, immer mehr Versiegelungen des Bodens und Zersiedelung des ländlichen Raums.

Ganz anders sieht es aus, wenn ich mir den Einzelfall ansehe. Mit kleinen Kindern beengt in einer Mietwohnung in einer Innenstadt leben? Natürlich wollen da viele ins Grüne. So wie Anke und Sebastian aus einer Stadt in der Nähe von Ansbach. Von einem Kollegen hörte ich von ihrer Geschichte. Anke und Sebastian heißen anders, aber ihre Geschichte passiert genau so. Ihnen und tausenden anderen, die sich jetzt gerade ein eigenes Haus bauen.

"Wir hatten uns Schlimmes vorgestellt - aber so?"

Dabei erfüllt die vierköpfige Familie für dieses Ziel die besten Voraussetzungen, denn das Baugrundstück hat Anke von ihren Eltern geerbt. Es liegt in ihrer alten Heimat, in dem Dorf, in dem sie geboren ist. Alles lief gut, bis der Krieg kam und die Handwerker nicht mehr lieferten, die Kosten ins Unermessliche stiegen und jetzt weiter steigen.

Ich telefoniere mit Anke und sie berichtet: „Wir haben uns wirklich viel Schlimmes vorgestellt – aber so? Nein, das niemals.“

Die Familie lebt in einer Stadt bei Ansbach, zwei Söhne, zwei und fünf Jahre alt. Sebastian ist Ingenieur, Anke Krankenschwester, dazu arbeitet sie als Schwimmlehrerin. Ihre Wohnung hat mit 95 qm eine familiengerechte Größe, ist aber für Eltern mit zwei kleinen Kindern ungünstig geschnitten: großer Wohnbereich mit offener Küche, Elternschlafzimmer, zu kleines Kinderzimmer. Als Corona kam, der Kindergarten schloss und Sebastian ins Homeoffice musste, konnten sie sich kaum aus dem Weg gehen. Schwierig, oder um es mit Ankes Worten zu sagen: „Es war die Hölle“. Was schon länger im Raum stand, wurde jetzt angegangen: Das eigene Haus.

Kein Luxus und eine zukunftsorientierte Planung

Das Grundstück war ja schon da, gut 1000 qm, im Grünen, aber nicht so weit weg von Arbeit und Stadt, dass Pendeln unmöglich wäre. Ankes Mutter ist Architektin, sie hat alles geplant, kennt die örtlichen Handwerkerfirmen und weiß wie Bauen geht. Das zweistöckige Haus wird gut 200 qm Wohnfläche bieten; unten ist alles barrierefrei geplant. Das obere Stockwerk kann später mal abgetrennt und vermietet werden. Anke und Sebastian denken schon jetzt an die Zukunft und ans Alter. Das Haus wird keinen Keller haben, es ist komfortabel geplant, auf Luxus haben sie bewusst verzichtet. Es sollte alles gut bezahlbar bleiben.

Ohne Hebepumpe kein Wasser, ohne Wasser kein Einzug

Im Herbst 2020 waren sie bei der Bank und haben einen Kredit aufgenommen, 350 000 Euro. So schnell wie möglich sollte es losgehen. Der Einzug war grob geplant für das erste Quartal 2022, doch einiges hakte von Anfang an.

Das Haus liegt unterhalb eines Kanals. Um Wasser zu haben, braucht es eine Hebepumpe. Vor über einem Jahr hat der Klempner das Gerät bestellt, geliefert ist sie bis heute nicht. Aber ohne Pumpe kein Wasser, ohne Wasser kein Einzug.

Jetzt, im Spätherbst 2022, stehen Dach, Wände, theoretisch könnte bald Einzug sein; doch wie in einem zweitstöckigen Haus leben, wenn der Tischler die Holztreppe nicht liefert? Oder die Küche auf einmal drei Wochen früher kommen könnte, aber weit und breit niemand zu finden ist, der Wände und Boden spachtelt und malt? Anke ist bis in die nächste Großstadt gefahren, um irgendwo Handwerker zu finden, denn sie weiß: „Wenn ich jetzt die Lieferung der Küche absage, dann muss ich mindestens 10 Wochen warten, bis die wieder Zeit zum Einbau haben.“

Von Woche zu Woche steigen die Kosten

Überhaupt das Warten! Anke versteht die hohe Belastung der Handwerksfirmen, findet aber auch: „Ich mein, wir zahlen da Rechnung von über 25 000 Euro – warum muss ich da bitten und betteln, bis mich überhaupt mal jemand zurückruft?“

Jedes Angebot, das kommt, ist mal eine, vielleicht auch mal nur zwei Wochen gültig. Ständig steigen die Preise. Es ist ein unfassbarer Nervenkrieg: „Bei jeder Rechnung, die kommt, habe ich Bauchschmerzen, wenn ich den Brief aufmache.“ Auf  500 000 Euro sind die Baukosten gestiegen und immer wieder fragen sich die beiden: Sprengt die nächste hohe Rechnung den Kreditrahmen? So viel gestritten wie in den letzten Monaten haben sie noch nie: Sebastian ist gestresst durch die ständige Unsicherheit, er will planen. Anke versucht, die Nerven zu behalten und improvisiert. Schon seit Monaten gehen die Kinder in der neuen Heimat in die Kita. Längst wollte die Familie ja da wohnen. Jetzt gibt es ein Elterntaxi täglich hin und her, hilft ja alles nix.

"Ich will da einfach nur rein!"

Bei all ihren Problemen weiß Anke: „Im Vergleich zu anderen geht es uns ja noch golden.“ Sie haben das Grundstück schuldenfrei; die Eltern leben ums Eck; die Mutter ist die Architektin. Andere im Freundeskreis hat es viel schlimmer erwischt. Einige müssen den Weiterbau stoppen. Andere ihren Traum ganz begraben.

Anke will das auf jeden Fall vermeiden: Weihnachten steht vor der Tür, definitiv soll das in den eigenen vier Wänden stattfinden: „Mir ist das völlig egal, ob wir dann auf dem Wohnzimmerboden schlafen, oder keine richtige Beleuchtung haben. Ich will da einfach nur rein!"

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.