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Vor drei Wochen hab ich an dieser Stelle den Volksentscheid in Berlin kritisiert. Für mich war und ist das Populismus, und den schätze ich nicht, egal ob von links oder rechts. Ich glaube weiterhin nicht an die Umsetzbarkeit der Enteignung großer Wohnkonzerne.
Doch dieser Blog soll zum Nachdenken anregen und unterschiedliche Meinungen reflektieren.Daher habe ich mich über die Rückmeldung von Dominik P. gefreut.
Dominik ist 29 Jahre alt, kommt aus Süddeutschland, lebt seit ein paar Jahren in Berlin und arbeitet bei einem internationalen Online-Dienstleister als Datenanalyst. Ich kenne ihn schon länger und war überrascht, als er mir als Reaktion auf meinen Blog schrieb: "Also, ich habe dafür gestimmt."
Man könnte was tun, aber man tut es nicht. Jetzt muss was getan werden
Ja, gab er am Telefon zu, tatsächlich gebe es schon viele Instrumente, um der Spekulation im Wohnungsbau in Berlin Einhalt gebieten zu können. Er stimmte meinem Gesprächspartner, dem Genossenschaftsexperten und -Vorstand Pit Weber von der SelbstBau eG in Berlin zu, aber Dominik findet: Das sei alles viel zu schwach. Es passiere ja nix.
Er selbst lebt in Neukölln und weiß: Hier gibt es noch das bunte Leben, hier wohnen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Einkommen immer noch direkt nebeneinander, und genau das mache auch Berlin aus. Doch die Entwicklung gehe in eine andere Richtung. Ob in Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln, überall würden Leute vertrieben, die sich die immer teurer werdenden Wohnungen nicht mehr leisten könnten. Schon jetzt kennt er ganze Viertel, die aussehen würden wie das Münchner Glockenbachviertel: "Das wollen wir nicht und wir hoffen, dass dieser Volksentscheid ein Weckruf ist für die Politik!"
Er will den Volksentscheid umgesetzt sehen
Der Volksentscheid ist für ihn "Demokratische Notwehr". Der größtmögliche öffentliche Druck sozusagen, wobei er ihn auch wirklich umgesetzt sehen will. Rechtliche oder finanzielle Bedenken (laut Volksentscheid sollen alle großen Wohnungsbaugesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, enteignet und entschädigt werden) will er nicht akzeptieren.
Es gehe hier um strukturelle Maßnahmen, die zu einem echten Wandel führen müssen, und die brauchten machtvolle Statements. An die (möglicherweise) zukünftige Bürgermeistern Franziska Giffey hat er eine klare Forderung: "Sie kann sich nicht hinter Ihren Bedenken und Expertenkommissionen verstecken, sie muss den Volksentscheid berücksichtigen. Das Ergebnis des Volksentscheides lässt keinen Zweifel an dem Willen der Berliner. Die Verdrängung von Mietern muss gestoppt werden!
Dominik P. hat Volkswirtschaft studiert, ausführlich kann er erklären, wie die Stadt Berlin eine Enteignung in so großem Maßstab finanzieren könnte: „Wenn es rechtens ist, zu enteignen, dann ist es auch zu finanzieren. Hierzu bestehen konkrete Simulationsrechnungen, die mit verschiedenen Kreditzinsen die Machbarkeit zeigen“. Sowohl das Land Berlin wie auch der Bund können niedrige Kreditzinsen aufnehmen, da beide sichere Kreditnehmer sind, bis hin zu Negativzinsen. Gleichzeitig würden der Kaufpreis sowie laufende Kosten durch faire Mieten refinanziert. Genossenschaften mit mehr als 3000 Wohnungen (davon gibt es viele in Berlin) sollten selbstverständlich nicht enteignet werden: „Ich bin mir sicher, dass sich dies regeln lässt“, sagt er.
Alle Freunde haben dafür gestimmt - nach langen Diskussionen
All dies hat er in den letzten Monaten intensiv und immer wieder in seinem großen Freundeskreis diskutiert. Am Ende hätten, trotz vieler Bedenken, die große Mehrheit für den Volksentscheid gestimmt.
Meine Skepsis gegenüber Volksentscheiden ist vor allem: Hier wird es Leuten leicht gemacht, ohne eigenes Nachdenken einfach ein Kreuzchen zu setzen, auch wenn die Ziele völlig unrealistisch sind. Doch wie ich durch Dominik P. gelernt habe: Natürlich gibt es auch all die anderen. Die, die es sich wirklich überlegen und gute Gründe haben. Das ist für michein Zeichen einer funktionierenden Demokratie, ob ich den Volkentscheid nun ablehne oder nicht.