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Bereits Anfang Februar 2022 war ich mir meiner Planung für die nächsten Monate sicher. Ich beendete die Arbeit an dem Buch, an dem ich zehn (!) Jahre lang gearbeitet habe; genehmigte die Liste der Städte für die literarische Tour und wollte aus Kiew nach Lemberg umziehen, und dort eine Wohnung kaufen. Dann kam der 24. Februar. In meinem Land begann ein großer Krieg.
Alles, was ich zuvor geplant habe, war jetzt irrelevant. Es war sehr beängstigend: alle Orientierungspunkte zu verlieren, alles, was Du im Laufe der Jahre geschaffen hast, war weg. Es schien mir, als würde ich in der Schwerelosigkeit leben. Doch in einem Moment der Verzweiflung und Wut über die Ungerechtigkeit der Welt, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich während des Lockdowns gehört habe. Sie hat mir geholfen, meine Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Ungeplantes Leben
Es war während eines meiner liebsten TED-Vorträge. Die Sportlerin Janine Shepherd erzählte, wie sie die am Vorabend der Olympischen Spiele von einem Lastwagen angefahren wurde. Sie war schwer verletzt und saß seitdem im Rollstuhl. Und sie erkannte, dass ihr bisheriges Lebenvorbei war. Es war ihr ganz persönliches Drama. Andere Menschen konnten glücklich weiterleben, sie nicht. Am Tiefpunkt der Verzweiflung angelangt, entdeckte Janine unerwartet ein neues Leben für sich; eines, das sie nicht geplant hatte.
Da sie nun nicht mehr olympische Läuferin sein konnte, beschloss sie… Pilotin zu werden. Auch kein einfaches Unterfangen, sie saß ja im Rollstuhl, aber möglich. Und sie startete neu. Das fast Unmögliche wurde wahr: Irgendwann konnte sie sogar wieder laufen. Und so stand und ging sie beim TED-Vortrag über die Bühne. Es war unglaublich.
Du selbst kannst gar nichts beeinflussen
Ich habe dieses Video unzählige Male gesehen, aber während ich diese Zeilen schreibe, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Denn das ist ein so wichtiges Thema: Was ist da, jenseits der Grenze der absoluten Verzweiflung? Und wie fühlt sich ein Mensch, der versteht, dass nichts von seinem Handeln abhängt und er die Situation nicht ändern kann? Wenn einer Frau gesagt wird, dass sie niemals Kinder bekommen kann. Oder wenn ein Mann mit einer unheilbaren Krankheit geboren wird. Wenn die ökonomische Krise im Land Dir Dein Geschäft und Deinen Lebensunterhalt wegnehmen, obwohl Du gerade auf der Erfolgsschiene unterwegs warst?
Natürlich tritt man anfangs in den Kampf ein. Versucht alle Optionen. Aber wenn die Situation sich nicht ändert, dann erkennt man eines Tages: Diese Tür bleibt geschlossen. Du verstehst: Von Deinen Taten hängt überhaupt nichts ab, und ein Wunder wird nie geschehen. Und dies ist die schrecklichste Zeit im Leben, die nicht jeder durchstehen kann. Denn an diesem Punkt scheint es so zu sein, als gäbe es keinen Sinn im Leben. Die Welt ist ungerecht ist; Du hast entsetzliches Pech und ew wird immer so bleiben wird. Aber dann…
Dann wachst Du eines Morgens auf, zuckst mit den Schultern und sagst Dir: Ja, diese Tür ist geschlossen. Ja, es hat dich betroffen.
Aber ganu hier etwas sehr Gutes beginnen: ein ungeplantes, anderes (zweites) Leben. Und bei manchen fängt es an, bei manchen nicht. Denn manchmal kommt dieses Verständnis zu spät. Aber jede und jeder von uns hat dieser Möglichkeit.
Ein Freund von mir sagte einmal: „In Moment wenn ich definitiv keine Hoffnungen und Illusionen mehr hatte, gab es zwei Varianten: Selbstmord beheben oder den Weg zu gehen, woran ich nie gedacht hätte. Ich habe mich für die zweite Option entschieden und es hat mich gerettet“.
Jetzt immer, wenn ich mich aufgeben möchte, weil nicht alles so läuft, wie ich es geplant habe, erinnere ich mich an diese Geschichte von Janine. Ja, wegen des Krieges habe ich mein bisheriges Leben verloren. Ja, jetzt ist es sehr schwierig für mich und ich muss tun, was ich nie geplant habe. Aber das ist nicht das Ende. Das ist der Beginn eines zweiten, ungeplanten, Lebens. Aber es ist immerhin ein Leben!