- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Vor vier Jahren reiste ich mit meiner Mutter nach Kuba. Nicht auf eigene Faust, sondern im Rahmen eines privaten Hilfsprojekts, welches mein Onkel zuvor schon mehrmalig begleitet hatte. Kuba, das war diese unbekannte, immergrüne Insel in der Karibik, die von Salsaklängen in den Straßen Havannas erfüllt sein sollte und auf der man genüßlich erfrischenden Cuba Libre am Strand schlürfen könnte. Glücklich und zufrieden malte ich mir die Menschen aus, so wie das Land eben allzu oft in den gängigen Dokumentationen porträtiert wird. Genügsam würden die Menschen auf Kuba obendrein noch leben - nicht so materiell getrieben wie wir es oft sind.
Eigentlich hätte ich wissen können, dass sich das Wörtchen Hilfsprojekt und ein vermeintlich sorgenfreies Land voller Glückseligkeit mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließen würden. Trotzdem war da der Gedanke, auch nur ein kleines Stück helfen zu können. Und eben auch in nicht gerade geringer Hoffnung die eigentümliche Insel mit der ihr zugeschriebenen fröhlichen Lebensweise näher kennenzulernen.
Im Grunde eine Illusion, die auch ein klein wenig der Naivität entsprang. Und der Erwartung, dieses Kuba der DDR doch einmal kennenzulernen. Beide Staaten verband eine besondere Freundschaft. Kuba schickte Zucker, Südfrüchte und Arbeiter. Etwa gut ausgebildete kubanische Ärzte, die auch heute noch hoch gelobt werden. Ein Exportgut. Dabei müssen sich die meisten hoch ausgebildeten Akademiker auf Kuba Geld im Schwarzgeschäft dazuverdienen. Ärzte vertickern so etwa Medikamente.
Meine Mutter erinnerte sich an die Südfrüchte, die es in ihrer Familie nur sehr selten gab. Grün waren die, innen strohig und eigentlich nicht wirklich genießbar. Aber sie kamen aus dem fernen sozialistischen Bruderstaat, immerhin. Das Bild von Kuba war schon in der DDR beschönigt. Das kannte auch meine Mutter. In die DDR kamen einige kubanische Studenten, auch heute noch gibt es etliche Kuba-Verbindungen und Fanclubs in Ostdeutschland.
Keine lachenden glücklichen Menschen und kein Cuba Libre
Für meine Mutter war Kuba eine ihrer wirklich großen Fernreisen. Umso erwartungsreicher blickten wir der Abreise nach Havanna entgegen. Unsere Koffer waren bis zum Rand voll gepackt, mit Dingen, die wir anhand einer Liste zusammengesammelt hatten - gut erhaltene Kleidung, Plüschtiere, aber auch vereinzelte Elektronik und Gummibärchen, die nicht schmelzen würden. Im Vorfeld trommelte ich meine Kolleginnen in meiner Arbeit zusammen, die ebenfalls noch gefüllte Tüten vorbeibrachten. In dem Moment fühlt man sich irgendwie nützlich, voller Elan mit einer großen Portion Gutherzigkeit. Eine Form von Altruismus.
Altruismus, der auf eine bittere Realität vor Ort traf. Vermutlich waren die Menschen, die so von Kuba in den höchsten Tönen schwärmten, zwei Wochen lang im Strandhotel bei Varadero mit Vollverpflegung untergebracht. Kuba, das waren nicht die lachenden, glücklichen Menschen und die guten Cuba Libres. Es war auch nicht der Salsaklang, der durch die Gassen Havannas weht. Stattdessen begrüßte uns eine Stadt, die ihre Glanzzeit längst hinter sich gelassen hatte.
In den Straßen außerhalb der Touristenhotspots reihte sich Bruchbude an Bruchbude. Graue Häuser mit von den Außenwänden herabbröckelndem Putz, die wirklich abrissreif aussahen, und ganz und gar keinen Charme versprühten. Dazu Menschen, die eher desillusioniert als glücklich auf den Treppenstufen in den Straßen herumsaßen. Und Dreck, den auch die Meeresbrise des naheliegenden Malecón nicht einfach wegwehen konnte.
Auf unserer Fahrt in einem Bus rund um die Insel machten wir mehrfach Halt, um Hilfsgüter an bestimmten Stellen zu verteilen. Diese Stellen, die nicht im romantisch angehauchten Reiseführer beschrieben sind. Menschen, die in so einfachen Behausungen mit Blechdächern leben, die mich an ganz andere Länder erinnerten. In Santiago de Cuba im Osten des Landes waren wir auf ewiger Suche nach einer Möglichkeit, etwas essen zu gehen. Wenn man dann etwas gefunden hatte, so bestand das Essen in der Regel aus Reis, ein paar Bohnen und hauchdünn geschnittenen Scheiben unreifer Tomaten.
Leere Regale in den Lebensmittelläden
In Havanna waren wir alleine fast zwei Stunden auf der Suche nach normalen Wasser zum Kaufen. Die Regale der vereinzelten Lebensmittelläden waren so gut wie leergefegt, mit einer sehr bescheidenen Auswahl an Konserven. Was es jedoch meist zu kaufen gab, war importierter Nescafé, den sich kein normaler Kubaner hätte leisten können.
Meine Mutter fühlte sich vielfach in die DDR zurückversetzt. In den Straßen sah man teils lange Schlangen vor Läden - dort, wo es Brot und Backwaren oder etwa Hühnchen zu kaufen gab. Ein Hühnchen gibt es meist nur rationiert einmal in der Woche, den weiten Weg importiert aus Spanien, obwohl Kuba einen sehr fruchtbaren Boden hat und seine Bevölkerung selbst wohl gut versorgen könnte.
Wir fuhren an der Nickelmine von Moa vorbei, nahe der Stadt Holguín, wo rötlich-grauer Rauch aus den vielen Essen aufsteigt und wie ein Schleier über dem Ort hängt. Von dem Glück im Land keine Spur. In der Bank wartete ich hinter einem vergitterten Schalter in einem Raum, der Gefängnisatmosphäre ausstrahlte. Alles streng überwacht, ein Foto des bunten Wandmosaiks mit einem pflügenden Bauern im kommunistischen Stil war nicht möglich.
Schein nach außen wahren
Auch den Santa Ifigenia Friedhof, die letzte Ruhestätte Fidel Castros, in Santiago de Cuba besuchten wir. Nach wie vor betrachten ihn etliche Kubaner als den Befreier, schließlich hat er einst die Revolution angeführt. Auf dem Friedhof selbst konnte man sich kaum frei bewegen, zu viele Wachen schlichen herum und beobachteten einen auf Schritt und Tritt. Meiner Mutter wurde es in dem Augenblick zu viel, als ein militärähnlicher Wachwechsel mitten auf dem Friedhof vor dem Grab stattfand. Dieses Militärritual erinnerte sie sehr stark an den Fahnenappell, der fester Bestandteil der politischen Rituale an den Schulen der DDR war. Den Schein nach außen wahren, aber im Grunde ein verlogener Staat.
Als ich zurück in München war, meinte eine Arbeitskollegin, ohne DDR-Erfahrung, ganz aufgeregt, dass sie auch schon in Kuba gewesen sei. In ihrem Hotel war dann das Licht ausgefallen und die Angestellten hätten Kerzen aufgestellt. Das wäre ja so romantisch gewesen. Und die Fahrten mit den Oldtimern. Aufregend. Mich verwunderte diese verklärte Sicht, meine Mutter hätte ihr mit noch größerem Unverständnis begegnet. Für mich fühlte sich Kuba tatsächlich wie eine Art Gefängnis an. Mit Menschen, die nach mehr streben möchten, die nicht umsonst versuchen die USA auf dem Meerweg zu erreichen. Ich habe das erste Mal in meinem Leben wirklich Unbehagen gespürt - und eine große Erleichterung, als ich im Flieger saß.