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Liebe Dominique,
gestern habe ich beim Abendspaziergang durch die „Freiheit“ so sehr über dein Thema nachgedacht, dass ich eben als Passwort in meinen Computer „Heimat“ getippt habe. Du bist wehmütig, wegen der vielen Heimaten, die Du jetzt hast. Sei froh drüber, komm wieder! Du bist herzlich willkommen in Frankfurt. Und Du wirst wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zeit noch ganz woanders zuhause sein, Du ahnst noch nicht wo. Wir haben es doch gut, wir beiden, dass wir gehen können, wohin wir wollen. Heimat wird immer verlassen, und wer Glück hat, kann zurück kommen.
Im Deutschlandfunk war gestern ein Interview mit Antje Hermenau, sächsische Grünen-Politikerin. Ihr Buch „Ansichten aus der Mitte Europas“ erscheint nächsten Monat in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Sie wünscht sich eine Ossi-Quote für die öffentliche Verwaltung. Das kommt mir merkwürdig vor. Wer wäre denn jetzt ein Ossi? Sind die Kandidaten für Verwaltungskarrieren nicht schon nach der Wende geboren? Verstehen könnte ich ja, wenn Sachsen (oder auch Niedersachsen) vorzugsweise solche Kandidaten einstellt, die das Land auf eigene Kosten ausgebildet hat. Aber Ossis, nach 30 Jahren, und die Wessis weg, mit „goldenem Handschlag“, das hört sich an wie ein schlechter Köder beim Wählerfang.
Ich hab mich schon so an Euch gewöhnt, an einige. „Flieg nich auf die Dingse“, hat mir dein Kollege hinterhergerufen, als ich neulich dein Fahrrad, laubfroschgrün wie die Sächsische Zeitung, aus dem Büro schob. Der Lokalchef hatte mir den Sattel auf die richtige Höhe gebracht, die Sonne scheint endlich, sieht nach Frühling aus, jetzt kann ich als radelnde Reporterin unterwegs sein. Jugend forscht, Ausstellungseröffnung, Hahnemannzentrum. Ja, Samuel Hahnemann (1755 – 1843), ich habe zwar irgendwann seine Biografie gelesen, wusste aber nicht mehr, dass der Begründer der Homöopathie ein Sohn der Stadt Meißens war. Sohn eines Porzellanmalers sogar. Wenn ich Meißen wäre, würde ich da mehr draus machen. Auch wenn ich keine Globuli-Anhängerin bin.
Auf deinem Fahrrad komme ich gut voran. Ich trödele über das Kopfsteinpflaster, und deine Fahrradklingel rappelt vor sich hin – gemütlich. Apropos Straße. Ich hatte eine Mail und ein schönes Gespräch mit Christof Voigt, Abteilungsleiter im Sächsischen Oberbergamt und Kirchenvorsteher in der Johanneskirche in Meißen. Er sieht auch, dass viele Menschen hier sich betrogen fühlen. Aber das liege nicht an einem „Ausverkauf“ und der Treuhand, sondern hänge mit den Reparationsleistungen an die Sowjetunion zusammen, dem Abbau von Infrastruktur und der „Insolvenz“ der DDR. Und jetzt spannt er den Bogen weit: „Wenn man bedenkt, dass die Regionen Deutschlands, die früher mal zum Römischen Reich gehörten, sich heute noch signifikant besser entwickeln als der große Rest Deutschlands, dann kann man kaum ermessen, wie lange es dauert, bis wir in wirtschaftlicher Hinsicht mit dem Westen gleichziehen können.“ Er kommt „zu dem verstörenden Ergebnis, dass der Vorteil von Deutschlands Süden heute noch ganz überwiegend aus den großartigen Römerstraßen resultiert.“
Wusstest du, dass es immer noch die Via Regia von Frankfurt nach Leipzig gibt? Das ist heute, jedenfalls auf den ersten Kilometern, ein wunderbarer Fahrradweg.