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Liebe Dominique,
gut, dass wir das mit der Boulder-Halle geklärt haben. Im Nordend, echt? Also, ich habe hier anderes im Kopf. Morgen muss ich unbedingt einen Termin mit der Weinkönigin vereinbaren, aber ich will auch noch zu „Jugend forscht“ und mich über diese Schülerband informieren und will keine Konferenz verpassen und bin abends mit dem Pfarrer von St. Afra verabredet. Tageszeitung! So kommt es, dass ich mich noch nicht mal richtig in der Evangelischen Akademie umgeschaut habe. Aber ich gucke oft von oben herunter, abends aus meinem Zimmer über den Klosterhof und morgens vom gläsernen Treppenhaus in die Gassen der Stadt. Die Turmuhr von St. Afra ist meine unmittelbare Nachbarin. Und jeder, den ich treffe, jede, die ich treffe, ist hilfsbereit und gastfreundlich. Eine grandiose Unterkunft.
Unten gibt es eine Cafeteria, da saß ich gestern mit einem Herrn, der früher mal Architekt im Hochbauamt war. Georg Krause, mit ihm wollte ich über die Nachwendezeit reden. Das Wort Wende hört er nicht so gern, aber auf jeden Fall, sagt er, war das eine „wilde Zeit“. Krause ist praktisch seit 1959 in Meißen, und er scheint jeden Ziegel hier zu kennen. Apropos Ziegel. Weißt du wie groß ein Ziegel ist? 71 Millimeter hoch, 115 Millimeter breit, 240 Millimeter lang. Das Normalformat. Es hieß nur immer mal anders, das Format, je nach Obrigkeit... Wie ging es ihm so Anfang der 90er, als er in seinen frühen 40ern war? Er zählt sich zu den Idealisten, angstfrei in menschlicher Atmosphäre leben, so hatte er sich das vorgestellt. An den goldenen Westen habe er durchaus geglaubt, „der Kampf gegen Aufrüstung und Pershing II, der hat uns doch verbunden!“ Aber dann kam „ein abgehalfterter Berufsschullehrer“ aus dem Westen, ihm die freiheitlich-demokratische Grundordnung beizubringen. „Ich wollte ja dazulernen, aber mir wurden nur immer die Defizite vorgetragen.“
Solche Erlebnisse fand sicher nicht nur Georg Krause unfreundlich und entwürdigend. Und doch glänzen seine Augen, wenn er erzählt, was plötzlich alles möglich war. Es seien auch bald andere gekommen, nicht nur herablassende Buschzulagenempfänger, sondern „Profis“, die er „Bildungshelfer“ nennt, die kreativ und anerkennend mit den Meißenern zusammen die Stadt sanierten. Wie schön ist sie geworden! Die Kirchen, die Kaufmannshäuser, Renaissance, Barock, Klassizismus. Häuser haben sie gemeinsam gerettet, Dächer gedichtet, ein Juwel nach dem anderen wieder poliert – „und die Leute hatten Arbeit!“ Während zugleich viele Fachkräfte die unsicheren Verhältnisse nicht ertragen hätten und in den Westen gegangen seien. Aber die, die blieben, hatten „eine aufregende, produktive, eine fröhliche Zeit“, sagt Krause. „Und ich habe nie wieder so viel gearbeitet. Und noch nie ist so viel Geld in Meißen investiert worden wie in den letzten 25 Jahren.“ Wie gesagt: seine Augen leuchteten.
Später, an einem anderen Tag, werde ich noch mehr von Herrn Krause erzählen, eben höre ich die Turmuhr, es ist spät. Gut, dass die Glocke nur halbstündig schlägt, da muss ich jetzt wegen dreiviertel zwölf und viertel eins nicht nachdenken, dafür bin ich auch schon zu müde. Aber eine Pizza, viertel oder halb, das wäre jetzt was. Margherita, Dominique!