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Es gibt Wörter, die verwendet kaum jemand mehr. „Adrett“ gehört dazu. Bei uns daheim war der Begriff ein Renner. Mein Vater liebte es, wenn ich adrett aussah. Adrett, das hieß saubere Fingernägel, kein Schlabberlook, geputzte Schuhe, vor allem aber, die Haare aus dem Gesicht, Klammern, um sie zurückzuhalten, im Winter eine Mütze auf dem Kopf… Die letzten beiden Anforderungen sind schwer erträglich.
Vorbild für all das stellte meine Mutter dar, die selbst bei der Gartenarbeit oder nach dem Einmachen von Kirschen erschreckend adrett aussah. „Wie aus dem Ei gepellt“, sagten die Nachbarn regelmäßig bewundernd. Diese Redewendung mochten meine Eltern ebenfalls sehr. Ich nicht. Heute allerdings finde ich es ganz schön, nicht bloß in der Osterzeit adrett auszusehen, wie aus dem Ei gepellt.
Zerrupft ist auch schön
Die hübsche Formulierung, die es schon im 15. Jahrhundert gegeben haben soll, kommt wohl davon, dass ein frisch geschlüpftes Küken ohne Makel erscheint. Frei von Schmutz und entzückend sauber. Ein gerade gepelltes Ei sieht ebenfalls völlig rein aus, sobald man es aus seiner Hülle befreit. Nun ist das Leben aber nicht dazu angetan, immer schick zu sein. Schon in der Küche maddere ich mich beim Kochen in allen Farben richtig voll.
Wenn ich mich den Balkonpflanzen widme, sind die dann wie aus dem Ei gepellt - ich muss unter die Dusche. Für viele Situationen, die man als kleine oder mittlere Schlamassel bezeichnen könnte, gibt es einen Trost. Das Küken ist niedlich, aber nass nach dem Schlüpfen und zauselig. Das köstliche Ei schreckt man ordentlich ab und doch liegt es zerrupft vor einem. Was soll’s: Makellos muss gar nicht sein. Lieber mittendrin und lebendig.
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