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Unsere Einladung ist zu Ende. Wäre ich Reinhard Mey, die Älteren unter uns erinnern sich, würde ich vielleicht vor mich hinträllern: „Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh'n. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh′n ….“ Aber zum einen war es Zeit für unsere Gäste, ihr heimisches Bett ins Visier zu nehmen. Zum anderen rauche ich nicht. Das letzte Glas ist eine schöne Idee. Nur muss erst mal einer aufräumen. Ich schaue mich um. Eieiei.
Im Bräter liegt der Rest vom Braten, ein paar Spätzle sind übrig, Brot auch. Außerdem: „Es ist noch Suppe da!“ Warum fällt mir ausgerechnet jetzt ein Karnevalslied ein? Ein kleiner Anfall von Hysterie angesichts der zu bewältigenden Arbeit? Nein, eher unwahrscheinlich. Dazu neige ich nicht. Ich versuche weiter, die Lage zu überschauen. Gläser über Gläser: Wir hatten Wasser, Weiß- und Rotwein. Dazu der Aperitif. Pro Person vier – das sind diesmal 16 Teile zum Spülen.
Sensation der Unendlichkeit
Besteck ohne Ende. Was für ein Glück, dass ich diesmal nur Vorspeise, Hauptgericht und Dessert gemacht habe. Na gut, der Salat kam noch dazu. Ich höre auf zu zählen. Damit komme ich nicht weiter. Jammern verplempert außerdem zu viel Energie, also Ärmel hoch und los geht´s. Was in die Spülmaschine darf, kommt sofort dort hinein und kann drin übernachten. Ich freue mich schon, sie am nächsten Morgen ausgeschlafen laufen zu lassen.
Es ist trotzdem viel, was mit der Hand abgewaschen werden muss. „Das Fest ist aus. Die beiden sind alleine mit all den Blumen und den Gläsern, den Girlanden an der Wand und er steht regungslos am Fenster …“ Schon wieder ein Schlager, diesmal von Wolfgang Petry. Normalerweise würde ich keinesfalls zugeben, dass ich ihn kenne. Genau so wenig wie, dass ich Howard Carpendale, den ich aus Gründen der Tarnung „Karpfenteich“ nenne, gerne beim Bügeln lausche.
Aber der Titel „Nichts von alledem“ fällt mir ein, weil mein abtrocknender Mann mir gerade im größten Chaos eine Liebeserklärung macht. Was für ein Abend! Für einen Moment steht diese verquere, oft unendlich traurige Welt still. Das ist die Sensation der Unendlichkeit, wie es ein Freund mal genannt hat - ein Augenblick, in dem einem die Ewigkeit gehört. „An Tagen wie diesen….“ Ja, ich höre schon auf. Ich beseitige zusammen mit meinem Mann das festliche Durcheinander.
Dann trinken wir auf dem Balkon ein letztes Glas im Sitzen. „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (Hebräer 13,2). Wir kennen und mögen die Engel, die bei uns waren. Und daraus schöpfen wir Kraft - nicht bloß, um zu feiern. Sondern auch dafür, aufzuräumen und wieder Ordnung schaffen - dort, wo es nicht unsere Küche, sondern andere Menschen brauchen. Das Leben zu zelebrieren hilft, wirklich da zu sein.
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