Tahora Husaini junges Mädchen mit Zukunftsträumen in Kabul
Tahora Husaini
Wo sind ihre Träume geblieben?
Eine Fotoausstellung in Berlin zeigt die Träume und Ängste von Mädchen und Frauen in Afghanistan kurz vor der Machtübernahme der Taliban.
Tahora HusainiPrivat
19.04.2022

Als ich bei meinem letzten Besuch in Kabul an das Grab meines Onkels ging (er war während des letzten Taliban-Regimes getötet worden), fiel mir ein kleines Mädchen auf, das auf dem Friedhof Wasser zur Säuberung der Gräber verkaufte. Sie hatte große olivgrüne Augen und ein breites Grinsen schmückte ihr Gesicht. Ihre Kleidung und ihre winzigen Hände waren verdreckt. Ich rief sie zu mir und kaufte eine Flasche Wasser. Dann holte ich meine Kamera heraus und bat sie um Erlaubnis für ein Porträt, jetzt steht es hier oben am Text.

Ein kleines Mädchen auf der Straße will Pilotin werden

Ich fragte sie nach ihren Träumen für die Zukunft. Zu meinem Erstaunen erzählte mir das Mädchen, dass sie Pilotin werden möchte.

Mädchen, die in schmutziger Kleidung durch die Straßen und Gassen ziehen, um ein Stückchen Brot für ihre Familie ausfindig zu machen und zeitgleich in ihren Köpfen große Träume und Pläne haben, sind ein wichtiges Thema. Junge Frauen, die sich in einer konservativen Gesellschaft behaupteten und für ihre Präsenz in verschiedensten Berufsfeldern hart kämpften. Dazu wollte ich eine Ausstellung machen.

Zurück in Deutschland sichtete ich die Fotos. Dann eroberten die Taliban mein Land und es stellten sich mir ständig dieselben Fragen: Wo sind diese Frauen jetzt und sind sie in Sicherheit?

Einige Monate später konnte ich mit zwei dieser Frauen erneut Kontakt aufnehmen. Beide waren aus Afghanistan geflohen. Eine von ihnen, die ehemalige Besitzerin eines wunderschönen und recht berühmten Cafés in Kabul, hatte es nach Frankreich geschafft.

Mina Rezaee in ihrem schönen Café in Kabul - jetzt ist sie im Exil

Als ich sie darum bat, in einem Video ihre Gefühle über die Schließung des Cafés und das Verlassen des Landes zum Ausdruck zu bringen, wurde es kurz still am Telefon. Mit einem Kloß im Hals und in leisem Ton sagte sie: „Ok, ich werde es versuchen.“ Ihre träge Stimme brachte mich zum Weinen. Ich konnte fühlen, wie mit meiner Bitte der Stolz aus ihrem Gesicht schwand und schämte mich etwas für meine Anfrage. Wie würde sie sich schon fühlen, nachdem sie alles verloren hatte, für das sie so viele Jahre lang kämpfte.

Ein Café als kultureller Treffpunkt - vor allem auch für Frauen

Während des Interviews letzten Sommer in ihrem Café in Kabul, fragten wir sie nach ihren Beweggründen ein Café zu eröffnen. Sie wollte allen beweisen, dass sich auch eine Frau in einem von Männern dominierten Berufsfeld durchsetzen kann. Dies war ihr gelungen. Ich hatte zuvor bereits von vielen Freunden und meiner Familie von ihrem Café gehört. Es war nicht nur als kultureller Treffpunkt für Jugendliche berühmt, sondern auch dafür, weil die Besitzerin eine Frau war, die eine sichere Umgebung für junge Leute erschaffen hatte.

Die Küche des Cafés war offen gestaltet, sodass man den Frauen bei ihrer Arbeit zusehen konnte. Das war neu für mich. Frauen mussten sich bisher immer in der Küche verstecken und es bestand nie die Möglichkeit, sich für die leckeren Speisen und Getränke zu bedanken. Doch in diesem Café musste sich niemand verstecken. Mädchen und Jungen konnten sich auf ein Rendezvous verabreden, Studentinnen und Studenten tauschten bedenkenlos ihre politischen Ansichten aus, Künstlerinnen und Künstler stellten ihre Werke zur Schau.

Ein Teil von ihr ist noch immer in Afghanistan

In der Nacht nach unserem Telefonat sendete sie mir schließlich ein kurzes Video zu. Sie sah traurig aus und ihr Gesicht hatte die jugendliche Frische verloren. „Der Tag, an dem ich gehen musste, war sehr schwierig für mich. Ich ließ alles zurück. Das Café war nicht nur ein Geschäft für mich. Es war ein Kampf zu zeigen, dass auch Frauen es schaffen können. Ich konnte viele meiner Träume erfüllen, aber noch nicht alle. Ein Teil von mir ist noch immer in Afghanistan. Unser Kampf ist nicht vorbei. Eines Tages möchte ich zurückgehen und das Café wieder eröffnen.“

Ich habe jetzt schon viele junge Frauen gesehen, die es geschafft haben, den Taliban zu entkommen. Sie hatten mit viel Mühe ihren Platz in der afghanischen Gesellschaft gefunden und arbeiteten in verschiedensten Berufsfeldern. Obwohl sie jetzt in Sicherheit sind, wandern ihre Gedanken weiter durch die Straßen ihres Heimatlandes und ihre Herzen schlagen für die Mädchen von Afghanistan.

Als ich die Bilder für die Eröffnung der Fotoausstellung aufhing, überkam mich ein Gefühl von Ehrfurcht und großer Verantwortung. Sie haben mir vor meiner Kamera ihre Träume und Ängste anvertraut. Ihre Ängste haben sich bewahrheitet. Ich hoffe, dass ihre Träume zumindest in diesen Fotos erhalten bleiben und Aufmerksamkeit finden. In ihren Augen sieht man einen Schrei nach Hilfe. Was können wir beitragen, dass sie gehört werden?

Info:
Die Fotoausstellung „Her Dream, Her Pain: depicted and quoted“ ist noch bis zum 31.08.2022 in der Lounge, im 4. OG des Neubau des Berlin Global Village gezeigt.  Für Externe ist die Ausstellung dienstags, mittwochs und donnerstags von 12 Uhr bis 15 Uhr zugänglich. Bitte dafür bei Berlin Global Village oder dem Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag klingeln und unten warten. Wir bitten um vorherige Anmeldung per Mail. Dazu gibt es auch eine Veranstaltungsreihe.

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Kolumne

Tahora Husaini

Die afghanische Frauenrechtlerin Tahora Husaini hat über ein Jahr lang in ihrer Kolumne über ihr Leben in Deutschland, das Schicksal ihrer Landsleute in der alten Heimat und das einstige Leben in Kabul geschrieben. Die letzte Folge der Kolumne erschien im Mai 2023