Farzana mit Kindern, denen sie vorgelesen hat
Tahora Husaini Farzana
privat
Master in Poesie - heute muss sie Strümpfe stopfen
Farzana Sharif war und ist ein "Kabuli"-Mädchen. Sie studierte persische Literatur, gab Schulbücher heraus, engagierte sich ehrenamtlich. Und heute? Haben die Taliban alles zerstört.
Tahora HusainiPrivat
29.11.2022

Das Leben der afghanischen Frauen ist auf die eigenen vier Wände beschränkt und ihr Ziel, ihr Land aufzubauen, ist durch das Überlebensziel ersetzt worden, ihre Familien zu ernähren. Diejenigen, die Hausfrauen waren, müssen mit ansehen, wie die Träume ihrer Kinder zerstört werden, und diejenigen, die früher gearbeitet haben, haben jetzt Mühe sich anzupassen. So wie Farzana Sharif.

Ihre Mutter starb, als sie noch sehr jung war. Sie nahm die Verantwortung für ihre Geschwister sehr ernst und kümmerte sich um sie. Obwohl das Leben für die junge Farzana ziemlich hart war, fand sie etwas, das ihr Spaß machte und es wurde ihr berufliches Ziel: "Persische Literatur".

Sie war begeistert vom Lesen der Poesie. Wann immer sie eine Ungleichheit in der Gesellschaft beobachtete, schrieb sie selbst ein Gedicht. Vielleicht war die Betreuung ihrer jüngeren Geschwister der Grund dafür, dass sie begann, Märchenbücher für Kinder zu schreiben.

Sie schloss ihren Master in Persischer Literatur an der Universität Kabul ab und begann, an verschiedenen privaten Universitäten in Kabul, zu unterrichten. "Ich war von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends unterwegs. Nach meiner Lehrtätigkeit engagierte ich mich ehrenamtlich in sozialen Aktivitäten wie der Organisation von Workshops für Frauen und der Herausgabe von Büchern. Ich habe auch mit dem Bildungsministerium zusammengearbeitet, um die Schulbücher neu zu schreiben.

Obwohl der Regimewechsel und die ständigen Konflikte in den vergangenen Jahrzehnten viele Menschen dazu brachten das Land zu verlassen, ist sie nie weggegangen. Sie sieht sich selbst als Kabuli-Mädchen, das die Probleme und Herausforderungen der Menschen sehr gut versteht. Deshalb wollte sie immer bleiben und zur Verbesserung des Landes und des Lebens der Menschen beitragen. Nachdem sie jedoch das meiste von dem verloren hat, was sie aufgebaut und erkämpft hat, zweifelt sie daran, in einem Land zu bleiben, in dem man nicht träumen darf.

Kabul ist meine Stadt. Sie können mir nicht vorschreiben, was ich zu tragen habe und was nicht.

Ihre Stimme war nervös und voller Anspannung, als ich mit ihr das erste Mal telefoniert  habe. Sie fühlte sich krank und ihr Blutdruck war hoch. Ich fragte sie, ob sie so viel Stress habe: "Natürlich!" Schwierige Lebensbedingungen, keine Pläne zu haben, Inflation und Ungewissheit über die Zukunft hättenen jeden depressiv gemacht. Sie antwortete, als hätte sie es eilig und ich würde sie mit meinen Fragen nerven. Ich frage sie, ob sie Angst habe rauszugehen: "Ich komme aus Kabul! Das ist meine Stadt, man kann mir nicht vorschreiben, was ich anziehen soll und was nicht. Ich bin immer mit meinem bunten Kopftuch und mit Make-up nach draußen gegangen, und das werde ich auch weiterhin tun und so kämpfe ich mit ihnen."

Als ich nach ein paar Monaten ein zweites Mal mit ihr sprach, klang sie so deprimiert wie alle anderen. Als ob sie des Kämpfens müde sei. Ihre Stimme war ruhig und sehr traurig. Sie haben viele Fächer aus dem Lehrplan der Universität gestrichen. Persische Literatur ist eines der Fächer, die von allen privaten Universitäten gestrichen wurden. Sie kann nicht einmal mehr Literatur, jene Fächer, die sie so leidenschaftlich liebt, unterrichten. Oder auf offiziellen Posten arbeiten, wo sie früher an Schulbüchern gearbeitet hat. Jetzt ist sie meistens Zuhause, wo sie ihre Zeit mit Stricken und anderen kleinen Projekten verbringt.

Wir neigen dazu, uns in den dunkelsten Zeiten unseres Lebens an die Hoffnung zu klammern, aber kann die Hoffnung die Dunkelheit erhellen, in der sich die afghanischen Frauen befinden?

Obwohl die Welt aus den Fugen geraten ist und sie darunter leidet, ihr aktives Leben verloren zu haben, versucht Farzana, sich mit Lesen zu motivieren und schreibt weiterhin Kinderbücher. Ihre Geschichten wurden mit finanzieller Hilfe von Organisationen veröffentlicht, die inzwischen alle geschlossen wurden und das Land verlassen haben.

Ich versuche, mir vorzustellen, dass ich ihr Leben lebe, das Leben jeder Frau in Afghanistan. Das Einzige, was ich sehe, ist Dunkelheit und das einzige Gefühl, das ich empfinde, ist das Gefühl zu ersticken. Wir Menschen verlieren Dinge, die wir lieben, aber wir kämpfen und bauen uns ein neues Leben mit neuen Zielen auf. Aber die Frage ist, ob afghanische Frauen in der Lage sein werden, neue Ziele zu finden, außer einen Laib Brot für ihre Kinder zu finden.

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Kolumne

Tahora Husaini

Die afghanische Frauenrechtlerin Tahora Husaini hat über ein Jahr lang in ihrer Kolumne über ihr Leben in Deutschland, das Schicksal ihrer Landsleute in der alten Heimat und das einstige Leben in Kabul geschrieben. Die letzte Folge der Kolumne erschien im Mai 2023