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Es schien anfangs eine gute Idee zu sein. An vielen Orten in Deutschland lauern historische Abgründe. Um hier ein nachdenkliches Gedenken öffentlich möglich zu machen, hat es sich eingespielt, Künstler um neuartige Denkmäler/Gegendenkmäler und ästhetische Interventionen zu bitten. So sind in den vergangenen Jahren ungezählte neue Gedenkorte entstanden. Dabei hat sich auch so etwas wie ein neuer Berufsstand herausgebildet: Gedenkkünstler, die also keine „reinen“ Künstler sind, die allein ihrer eigenen Ideen folgen würden, sondern die gedenkdidaktische und erinnerungspolitische Aufträge ausführen. Manchmal bilden sich dazu Teams von Künstlerinnen, Architekten, Stadtplanerinnen, Designern, Museumspädagoginnen.
Mittlerweile kann man fragen, ob dies immer eine gute Idee ist. Führt dies nicht gelegentlich zu einer inhaltlich ebenso übermotivierten wie überforderten, vor allem aber moralpädagogisch funktionalisierten Auftragskunst? Neben Gelungenem gibt es inzwischen auch Bemühtes zu betrachten. Besonders offenkundig ist das Scheitern in meiner Heimstadt bei den künstlerischen Kommentaren zu einem notorischen Kriegerdenkmal am Bahnhof Hamburg-Dammtor. Man steht davor und fragt sich: Ist die Kunst der Gegenwart für solch eine erinnerungspolitische und gedenkkulturelle Aufgabe überhaupt so geeignet, wie man gemeinhin annimmt? Wäre es nicht manchmal besser, schlicht einen klugen und sensiblen Platz-Architekten zu beauftragen und eine didaktisch begabte Historikerin um die benötigten Erklär-Tafeln zu bitten. Warum versucht man es nicht einfach mit unaufgeregter und ansprechend gestalteter Aufklärung?
So dachte ich, als wieder einmal an der Marienkirchen in Berlin-Mitte vorbeiging. Dort stand einmal ein großes Reformationsdenkmal. Die Nationalsozialistischen zerstörten das meiste davon, übrig blieb eine Luther-Skulptur. Den schob man hin und her. Für das Jubiläumsjahr 2017 schrieb man dann einen künstlerischen Wettbewerb aus, der zu einer zeitgemäßen Präsentation führen sollte. Doch all die vielen Entwürfe vermochten nicht recht zu zünden. Das Verfahren stockt. Als Zwischenlösung hat man den „Luther“ einfach wieder an seinen historischen Ort gestellt – allerdings auf ein deutlich niedrigeres Podest. So steht er wieder vor der Marienkirche, mitten in der Stadt, durchaus selbstgewiss, aber ohne triumphalistische Geste. Fußgänger können ihn ohne Scheu betrachten, ihn in Beziehung setzen zur Kirche, zum Fernsehturm, aber auch zu dem neuen, fast unsichtbaren Boden-Denkmal, mit dem Mischa Ullmann daran erinnert, dass in unmittelbarer Nähe einmal Moses Mendelssohn hier gelebt hat. Eigentlich könnte es so bleiben. Auch wenn es keine Kunst ist.