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Das Ende einer Christlichkeit „aus Konvention“
Über die hohe Zahl an Kirchenaustritten wird viel berichtet. Die Gründe sind vielfältig. Ein Aspekt aber verdient mehr Aufmerksamkeit.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
28.04.2023

Kürzlich sprach ich mit einer Frau, um sie zur Mitarbeit bei einem besonderen Gottesdienst zu gewinnen. Sie fand es inhaltlich interessant und sagte zu, fügte aber gleich hinzu, sie gehöre der evangelischen Kirche nur „aus Konvention“ an. Damit wollte sie wohl gleich zu Beginn einen Sicherheitsabstand zu mir aufbauen, um möglicher Vereinnahmung zu wehren. Deshalb betonte sie ihre Distanz zu dem, was sie für kirchliche Normalität hielt. Zugleich nannte sie einen Grund zur Kirchenmitgliedschaft, den ich gar nicht so schlecht finde: die Konvention.

Theologen (aller Richtungen) rümpfen zumeist die Nase über Menschen, die nur wegen einer herkömmlichen Sitte und nicht aus tiefster innerer Überzeugung zur Kirche kommen.

Dabei habe ich als Pastor mit Konventionschristen immer gute Erfahrungen gemacht. Sie brauchen mich nicht jeden Tag, haben ein eigenes Leben und eigene Überzeugungen, aber sie halten doch einen äußeren und inneren Kontakt, was dann bei bestimmten Gelegenheiten zu direkten Beziehungen führen kann. Dann höre und erlebe ich Dinge, die mir mein kirchlicher Alltag nicht bietet. Zudem ermöglichen diese Konventionschristen mit ihrem Wohlwollen und ihren finanziellen Beiträgen, dass es in Deutschland eine evangelische Kirche mit Gemeinden, Kirchbauten und Personal gibt. Wir haben ihnen viel zu verdanken.

Allerdings haben Konventionen (und die mit ihnen verbundene Institution) einen schlechten Ruf. Nicht konventionell zu sein, ist die neue Konvention. Deshalb – das ist ein wichtiger Grund neben anderen – verlassen jetzt viele Menschen die evangelische Kirche aus Konvention. Es gehört nicht mehr dazu, es gehört sich nicht mehr, alle Bekannten machen es auch so, die Medien sagen es ebenfalls, man wird seltsam angeschaut, wenn man es anders hält.

Das erlebte ich, als ich einer Freundin kürzlich erzählte, dass ich in Berlin jetzt regelmäßig in der Sophienkirche (Gemeinde am Weinberg, Berlin-Mitte) Gottesdienst halte (wie wunderbar sie ist, zeigt das Foto oben). Gerade wollte ich ihr erzählen, wie schön es am vergangenen Sonntag war. Aber sie schaute mich so komisch an, befremdet, verwirrt und misstrauisch. Was denn wäre, fragte ich sie. Ja, ob denn überhaupt irgendjemand da gewesen sei. Ich verstand nicht gleich. Wieso sollte konnte keiner gekommen sein? Na, weil doch niemand mehr zur Kirche gehe. All die Austritte und Skandale und so. Ich versuchte ihr dann zu erklären, dass es zwar nicht zu einer Massenbekehrung gekommen und nur ein konventioneller Gottesdienst gewesen sei, aber sehr wohl eine überaus freundliche und interessierte Gruppe von Menschen – man nennt das Gemeinde – zusammengekommen sei. Aber so richtig konnte ich sie nicht überzeugen.

P.S.: Dass es in der Kirche, auch der katholischen, noch einiges Schönes und Wichtiges zu finden gibt, erzählt Tobias Haberl, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, in einem bemerkenswerten Radio-Gespräch mit Andreas Main.

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Lange auf das Thema gewartet. Konvention als Kriterium ist zu
wenig. Aber auch kein Wort davon, wie sich EKD u. ROM die Zukunft von Glauben, Organisation und besonders der Werte vorstellen könnten. Denn für diese gibt es mit bald 10 Milliarden, der Erschöpfung der Ressourcen und der Natur (Klima, Gentechik) vollkommen neue Bewertungsmassstäbe. Oder oh rühret nicht dran?

Die Aufgabenstellung? Wie sich die prot. Kirche die Fortsetzung Ihrer Aufgaben vorstellt und es tut? Mit allmächtiger Bevormundung und dem Klima in der Kirche von der Kanzel? Sie können sich nicht verbiegen und glauben für das ganze Leben und alle Facetten ihre Schäfchen bevormunden zu müssen. Im Glauben geht es ja auch nicht anders, als dass die, die glauben, höhere Einsichten zu haben, alle anderen, die nicht so gut "beleumundet" sind, versuchen zu bevormunden. Davon lebt nunmal die Organisation. Dass dann aber die Bevormundung auch noch ausgedehnt wird auf Zeugung (Rom), Liebe. Gesundheit (vegan, keine Leberwurst auf der Synode), Politik (Wohlwollen für die "Kleber"), Klima und Sprache/Schrift ( Gender), wird immer unerträglicher. Wenn vermutlich der Glaube nicht mehr genug Daseinsberechtigung hergibt, sind neue Spielwiesen gefragt. Ist diese Entwicklung systemimmanent (> naturgesetzlich?). Vermutlich ja. Irgendwann werden ja wohl die Philosophen, Historiker, Gesellschaftswissenschaftler, Romanciers und Zukunftsdeuter hierzu eine Antwort finden. So orientierungslos wie jetzt kann es ja nicht weitergehen. Die Theologen werden sich kaum bemühen, denn sie leben ja vom grossen Geheimnis, dass sich "Zukunft bis ins Paradies" nennt. Und hierfür ist der Maßstab mit der Endlagerzeit für "Schrott" (Atom) von 1 Mio. Jahren auch vorgegeben. 30.000 Generationen werden gefordert. Eine zu überblicken ist schon nicht leicht. Mit dieser Erziehungsarbeit sind dann aber immer noch nicht die Werte auf die Zukunft justiert. Warten wir auf Kant?

. Auch wenn es noch so berechtigt ist, was soll das.? Da wurde schon von so vielen Gläubigen die Faust gehoben und auf die Situation und deren Folgen der nicht zur Kenntnis genommenen sicheren Wirkungen hingewiesen. Bald sind wir ca.40 % mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wann implodiert
Indien? In 4o Jahren? Die Bibel lehrt uns mit Babel, die absolute Endlichkeit unseres Seins und damit auch die Aussichtslosigkeit des olympischen Prinzips. Immer höher grösser (besser mag sein) und wohlhabender. Der ev. EKD- Glaube will mit seinen Werten Babel nicht wahr haben und predigt das Gegenteil von Babel: "Wenn Ihr auf uns hört, wird alles gut!" Auch Werte haben in ihrer Auslegung Grenzen. Die im AT sind auch nicht identisch mit denen in der Bergpredigt. Die bisher gültigen und erfolgreichen Werte bedürfen einer Revision. Wie war das noch mit dem "Führer", der die Kurve nicht sehen wollte? Crash. Wenn die alte Währung (Wertung) nicht mehr passt, wird das Vermögen (Glauben) zur Inflation oder zum Falschgeld. Alle hierher, wo es noch "gemütlich" sein könnte. Spanien ante Portas, denn dort ist das Wasser weg. Oder sind das alles Falschmeldungen? Nun sucht mal, aber alle Verantwortlichen der vergangenen Jahrhunderten sind Staub. Brandenburg ist auch schon zu trocken, Auf der Synode hätte man hierüber, statt über die Bratwurst, diskutieren können. Es wurde schön gesungen (lt. EKD) . Lieber bleibt man mit Wohlwollen auf der Einbahnstrasse "kleben". Dem Ochsen ins Horn "petzen". Man hat was getan und er nichts gemerkt. Gut gemeint aber "unerhört", ist wie gut gehört und nicht verstanden. Die täglichen Interessen versperren jede Sicht.

Nicht zu Ende gedacht, denn da fehlt noch was. XI und Putin haben nicht nur laut gedacht, sie wollen mit aller Macht das Ende der alten Weltordnung. Indien, Afrika und viele Rabiate im Westen auch. Eine Ordnung ohne gemeinsame Werte geht aber auch nicht. Welche denn, wenn die alten Normen von der Mehrheit verhasst werden? Etwa Überzeugung und Sieg durch Mission? Die Christliche Nächstenliebe, mag sie uns (!!!) noch so viel Wert sein, ist global eine Farce. Das Klima kennt diese Rücksicht auch nicht.  Die Menschenrechte, wenn es darauf ankommt (USA Polizei und Farbige, Sudan, Ukraine, Scharia, IS u. Taliban) sind ebenfalls fraglich. Die Fakes (nicht mal Bildern kann man noch vertrauen) drohen alltäglich zu werden. Unsere Vorstellungen von Freiheit, Gesellschaftsnormen und -Formen sind für bald 10 Milliarden kaum praktikabel. Die Megastädte als Vorläufer. Wer entwickelt denn hierfür  die neuen Werte?  Nach ROM und den Evangelikalen dürfen wir uns immer noch vervielfachen. Oder stimmt das auch nicht mehr? Die Differenz zwischen dem was war und dem was (?) kommt ist mit den bisherigen Werten, Wünschen und Weltanschauungen unüberbrückbar. Warten wir auf das Paradies!. Wo?
MfG Knut Olexio

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur