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Ich diskutiere gerne.
Obwohl ich mit Vorträgen und Artikeln über den assistierten Suizid selbst kräftig mitmische, wird diese Debatte für mich doch immer unangenehmer. Letztlich sind es drei Aspekte dieser Diskussion, die mich immer mehr irritieren.
Erstens stört mich, dass durch die andauernde Diskussion die schleichende Gewöhnung an den Gedanken des Suizids begonnen hat. Das Bundesverfassungsgericht kann noch so deutlich betonen, dass es nicht zu einer „gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids“ kommen dürfe; worüber regelmäßig geredet wird, erscheint aber irgendwann einfach als normal. Durch stete Wiederholung geschieht das automatisch und von ganz allein.
Angst kann man auch schüren
Zweitens finde ich es zunehmend belastend, immer wieder unterschiedliche leidvolle Erfahrungen mit dem Sterben zu hören, die das Recht auf Selbsttötung anschaulich begründen wollen. „Wenn Menschen am Ende ihres Lebens nur noch vor Schmerzen schreien…“, glaubt etwa eine Kommentarschreiberin auf Facebook zu wissen. Angst kann man eben auch schüren.
Spontan frage ich mich, warum diesem kranken Menschen denn niemand hilft. Wir wissen doch, dass die moderne Medizin Möglichkeiten einer wirksamen Schmerzausschaltung kennt. Das ist Allgemeinwissen, sonst ließe sich ja niemand lebendig operieren. Wir sind nicht hilflos gegenüber Schmerzen, auch wenn Schmerztherapie oft nicht erreicht, was ich mir auch wünschen würde, nämlich die Linderung stärkster Schmerzen und zugleich fit zu bleiben wie ein Turnschuh.
Was ich drittens und letztens an der Debatte zum assistierten Suizid in letzter Zeit jedoch kaum noch ertrage, ist die häufige Rede von „Siechtum“ und „bloßem Dahinvegetieren“.
Diese Ausdrücke sind herabsetzend, abwertend und sie erheben fälschlicherweise den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es gibt nun mal nicht die Lebenssituation, die sich allgemein und objektiv als „reines Siechtum“ bezeichnen ließe.
Als Klinikseelsorgerin habe ich erlebt, dass ich im Zimmer eines sterbenden Menschen ganz unglücklich gefragt wurde, warum die Mutter, der Opa, so leiden müsse und nur noch „dahinvegetiere“. Nicht selten nahm ich die gleiche Situation völlig anderes wahr, sah einen friedlich sterbenden Menschen ohne jeden Ausdruck von Schmerz im Gesicht, keine Qual. Ich versuchte dann zu beschreiben, wie ich den sterbenden Menschen erlebe, dass niemand wissen kann, was er oder sie gerade denkt, welche Erinnerungen im Raum sind, welche Wahrnehmungen doch noch möglich sind.
Oft kamen wir intensiv ins Gespräch, manchmal blieben die unterschiedlichen Eindrücke einfach nebeneinanderstehen.
Ich verstehe, wenn Menschen beim Anblick eines schwerkranken Menschen erschrecken und sagen, dass sie so auf keinen Fall leben wollen. Ich verstehe auch, wenn man dann für sich entscheiden möchte, lieber zu sterben als so zu leben. Aber um dies klar auszudrücken, braucht es doch keine Formulierungen, die das Leben Anderer entmenschlichen.
Das Leben anderer Menschen als „dahinvegetierend“ zu beschreiben, ist aus meiner Sicht anmaßend und übergriffig. Durch diese Formulierung wird Menschen, die schwerkrank sind, ihre Würde abgesprochen. Nutze ich diese Rede von „Dahinvegetieren“ und „Siechtum“, um durch diese harschen Beschreibungen meinen eigenen Überzeugungen Nachdruck zu verleihen, instrumentalisiere ich die Situation schwerkranker Menschen. Dazu hat meiner Meinung nach niemand das Recht, egal wie engagiert die Debatte geführt wird.
Siechtum?
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Liebe Frau Lackus,
ebenso wie Sie beschäftige ich mich alltäglich mit dem Thema Tod, dem "Nichtmehrkönnen" oder dass endlich Schluss sein soll. Der Tod gehört zum Leben. Warum soll es nicht dazu gehören, ebenso über den Tod wie über das Leben zu sprechen. Auch das Leben soll gestaltet sein - warum dann nicht auch der Tod als vom Leben nicht abtrennbarer Bestandteil? Und, es geht doch nicht um Ihr persönliches Empfinden Ihrer persönlichen Situation, bei aller Empathie, und Ihre Vermutung / Ihren Wunsch, dass der Patient doch eigentlich so wie Sie denken solle. Es geht doch um die Akzeptanz der Gefühle der anderen Person. Wenn die sich siech fühlt, niemand da ist, wenn sie sich allein fühlt, weil niemand permanent um sie sein kann, sich ärgert, wenn sie unwiederbringlich ihre Selbständigkeit verloren hat - was nützt es dann zu jammern und diesem Menschen sein gut gemeintes Tun aufzunötigen? Ich halte das für respektlos. Wichtiger ist doch die Lebensqualität der letzten Tage im Leben (ohne trügerisches Hoffnungsschüren wie " es wird schon gehen" oder so) als das Herauszögern. Siechtum? Ja klar, so ist das häufig. Dann wäre die Frage nicht die Suche nach einem anderen Begriff sondern der Respekt vor dem anders Denkenden und eben als ultima ratio, wenn so als Ausweg gewünscht, auch zu helfen, diesen Lebensabschnitt eher früher zu beenden als wortreich oder mit noch mehr Medikation zu verlängern.
Sterbehilfe
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Endlich mal ein Artikel, der von Herzen kommt und Aspekte anspricht, über die ich noch gar nicht nachgedacht hatte.
Ich selbst mache mir nicht so viel Sorgen um den Tod. Ich nehme aber eine technokratische Strömung wahr, die den Tod am besten ganz abschaffen will. Deshalb muss man natürlich ständig über den Tod schreiben und wie schlimm er ist.
Der Tod macht Platz für Jüngere, ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Seelen in einer Form weiterleben, und wenn nicht dann nicht. Seele ist ein Wort, dass ich in dieser christlichen Zeitung noch gar nicht gelesen habe. Wieso eigentlich nicht?
Sterbehilfe
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Meine Großmutter hat die letzten Jahre ihres Lebens in Fötalhaltung im Bett verbracht - künstlich ernährt, nicht ansprechbar, in Windeln, regelmäßig gewendet, damit sie sich nicht wundliegt. Daran gibt es nichts zu beschönigen oder zu verklären, und auch eine Würde kann ich hier nicht erkennen. Wenn Sie die Beschreibung als "Siechtum" kaum ertragen, wie mag es den Betroffenen selbst gehen? Keinem Haustier täte man so etwas an.