15.11.2010

Politiker gelten gemeinhin als pragmatische Routiniers des Dialogs. Dialoge ­ so zumindest der politische Alltag ­ sind zielgerichtete, analytisch genaue Beschreibungen von Realität und Wunschzielen; die Dialogpartner sprechen über geltende Verträge und Normen sowie über mögliche Spielräume; sie einigen sich schließlich auf ­ echte! ­ Kompromisse und verabreden das weitere ­ gemeinsame! ­ Vorgehen. So einfach und glatt verlaufen Dialoge, wie sie im Lehrbuch stehen. Alles andere als einfach ist der Dialog der Kulturen, in dem wir uns nach den schrecklichen Terrorangriffen vom 11. September und dem Streit über das militärische Vorgehen in Afghanistan noch entschiedener engagieren müssen. Und das werden Dialoge des langen Atems sein: selbstbewusst, ehrlich, je nach Frage pragmatisch oder auch grundsätzlich. Die Themen sind bekannt: Es geht um Menschenrechte, um die Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit in vielen Teilen der Welt. Kontroverse Fragen also. Aber zu diesem Dialog gibt es keine Alternative ­ es sei denn, man resigniert und hält den "Kampf der Kulturen" für unausweichlich.

Für diesen Dialog des langen Atems brauchen wir zunächst Interesse am anderen. Dazu gehören gegenseitige Besuche in Moscheen und Kirchen. Wir brauchen dazu aber auch die Bereitschaft und die Befähigung, über den eigenen Glauben Auskunft zu geben. Muslime sind dazu häufig bereit. Wie aber steht es damit bei vielen in unseren Kirchen? Wo es doch schick ­ wenn auch falsch ­ ist, Religion zur reinen Privatsache zu erklären. Dialog setzt Selbstbewusstsein, das Wissen um die eigene Identität voraus.

"Heute wird in der Begegnung mit anderen Religionen oft die Besonderheit des eigenen Glaubens zurückgestellt und das uns angezündete Licht unter den Scheffel gestellt." So heißt es selbstkritisch in einer Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland. Christliche Überzeugung ist es, dass nicht eigenes Tun, sondern das Vertrauen auf die Erlösungstat Jesu unserem Leben Sinn und Heil gibt. Die islamische Vorstellung, wonach der Mensch durch Gehorsam gegenüber Gottes Geboten sein Heil "erwirbt", zeigt ein völlig anderes als das christliche Menschenund Gottesbild. Dies festzustellen bedeutet nicht, den ethischen Leistungen den Respekt zu versagen, die im Rahmen einer solchen Leistungsreligion erbracht werden.

Besondere politische Bedeutung hat das unterschiedliche Verständnis von Christen und Muslimen, wenn es um das Verhältnis von Staat und Religion geht. Die Idee des säkularen Staates, dies zeigen alle islamisch geprägten Staaten ­ auch die Türkei, wo der Generalstab der "Wächter" über den Laizismus ist ­, ist dem Islam bis heute fremd. Auch viele moderate Muslime in Deutschland begründen ihre Bejahung unseres säkularen Staates mit der Minderheitenposition der Muslime. In mehrheitlich muslimischen Ländern bestehe dagegen die Pflicht, die islamischen Normen auch zum absoluten Maßstab des Politischen zu machen.

Ob eine Versöhnung zwischen dem Islam und der Moderne gelingt, ist offen. Dass sie gelingt, ist ein entscheidendes Interesse von uns im Dialog der Kulturen. Hermann Gröhe

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