Ende Januar tötete ein Attentäter in Aschaffenburg zwei Menschen mit einem Messer. Eines der Opfer war ein Kind, das andere ein Mann, der einschreiten wollte. In solchen Fällen wünschen wir uns, dass jemand schuld ist. Wir wollen jemanden verantwortlich machen. Schuld macht Sinn, heißt ein Leitsatz aus der Psychotherapie, und Sinn wollen wir solch Sinnlosem geben, um damit klarzukommen.
Sofort ging die Diskussion los: Der Mann ist schuld! Aber er war ein abgelehnter Asylbewerber, der dazu noch in psychiatrischer Behandlung stand – war nicht auch die Asylpolitik schuld, konnte man ihn allein verantwortlich machen? War nicht die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel auch schuld? Sie hatte doch die Grenzen geöffnet. Die Behörden, die den Mann nicht abgeschoben hatten? Die Psychiatrie, die ihn entlassen hatte? Die Debatte lief heiß.
Lesetipp: Sollten wir uns schämen?
Diese Frage nach der Schuld kann mindestens auf zwei Weisen gestellt werden: im moralischen und im juristischen Sinne. In beiden Fällen ist gemeint, dass jemand eine Norm – ob moralisch oder juristisch – verletzt hat und dafür persönlich verantwortlich ist. Unser modernes Schuldverständnis geht davon aus, dass Menschen frei handelnde, mündige Subjekte sind. Nur deswegen können sie schuld sein, weil sie sich für eine Tat gegen die anerkannte Norm entschieden haben. Das ist leicht nachvollziehbar. Aber handeln wir alle immer frei?
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