Felix Klare
Dirk von Nayhauß
Schauspieler Felix Klare
"Auflösen, was sich verhakt hat"
95 Prozent der Probleme, die du mit anderen hast, sind eigentlich deine eigenen, hat der Schauspieler Felix Klare gelernt. Das hilft!
Dirk von Nayhauß
19.09.2024
3Min

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Eigentlich immer. In der Stadt mit den vielen Menschen, Autos und Geräuschen fühle ich mich lebendig, aber noch mehr in Momenten, in denen ich auf dem Land Ruhe ­habe, in denen es still ist und ich nach innen gehe.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich begegne etwas Göttlichem am ehesten in der Natur, wenn ich im Wald bin, auf einer Wiese, im Park. Mit Natur meine ich auch uns Menschen als Wesen aus Fleisch und Blut, mit all unseren Gefühlen. Die Geburten meiner vier Kinder – sie sind zwischen neun und 21 Jahren –, so pathetisch das klingt, waren die bewegendsten Tage in meinem Leben, die haben für mich etwas Göttliches.

Wer oder was hilft in der Krise?

Bin ich an einer Hürde, über die ich nicht rüberkomme, überlege ich, womit das in meiner Vergangenheit zu tun hat. Dann spreche ich mit Freunden, mit meiner Frau. Und wenn ich merke, dass ich nicht die richtigen Werkzeuge habe, suche ich mir Hilfe. So hilft mir immer wieder einmal eine therapeutische Sitzung. Bei meiner ersten hatte ich gefühlt einen riesigen Knoten im Kopf, der wiederum aus ganz vielen kleinen Knoten bestand. Ein anderes Mal habe ich mit meiner Frau eine Paartherapie gemacht. Die Therapeutin sagte anfangs: "Ich bin nicht da, um etwas zu kitten, sondern um das aufzulösen, was sich verhakt hat." 95 Prozent der Probleme, die du mit dem anderen hast, sind eigentlich deine eigenen.

Wer ist klüger, Kopf oder Herz?

Das Herz natürlich! Im Kopf kommen alle Stimmen zusammen: Der eine sagt dies, der andere das, die Medien etwas ganz anderes, das macht einen völlig wirr. Nach der Schauspielschule hätte ich nach Hamburg gehen können, Wien, Berlin, München, Freiburg. Der Rektor meinte: "Man geht ans Burgtheater, wenn man ein Angebot hat." Aber das ist ein Ensemble von 100 Leuten, wenn du Pech hast, spielst du zwei Jahre lang den Henker von links mit Kapuze. Letztlich habe ich wie immer auf mein Herz gehört und mich für Freiburg entschieden, weil sie an mir und an meiner Entwicklung interessiert waren.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Es ist immer eine Frage der Perspektive. Statt genau aufzudröseln, wer Schuld hat, versuche ich lieber, Verständnis zu entwickeln. Ein hohes Gut, gerade heutzutage. Mir fällt es leicht, mich zu entschuldigen. Ebenso wenig bin ich nachtragend, wenn jemand anders einen Fehler macht. In dem Film "Wir haben einen Deal" spiele ich einen Mann, der als Kind sexuell missbraucht wurde. Die Rolle ist mir nicht leichtgefallen. Als wir die Szene drehten, wo ich als Figur der Kommissarin sagen muss: "Ich wurde sexuell missbraucht", habe ich es nicht über die Lippen gebracht. Es ging nicht, ich musste heulen, ich hatte mich so viel mit Schuld und Scham und Ekel und Verstecken beschäftigt. Die Regisseurin hat dann abgebrochen und wir haben zusammen andere Sätze ­gefunden, haben das ein bisschen anders beschrieben, als es im Drehbuch stand. Man kann in eine Rolle ziemlich tief eintauchen.

Fürchten Sie den Tod?

Nein, er ist ein Teil des Lebens. Als mein Vater gestorben ist, durfte ich die letzten zwei Wochen an seinem Bett verbringen, ich war jeden Tag bei ihm. Ich habe unter anderem gesehen: Man kommt nackt auf die Welt, und so geht man, nichts kann man festhalten. Das ­Allerletzte, was noch an der Wand hing, war ein Bild von einem ­Flamingo, das meine Tochter gemalt hatte, darüber hatte er sich drei Wochen zuvor gefreut, aber selbst das war am Ende nicht mehr wichtig. Angekommen ist nur noch, wenn ich ihn berührt habe, dann hat er etwas lauter geatmet. Er war schon in einer völlig anderen Sphäre, das habe ich gespürt.

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