Zwischen Crack und Prostitution
Vier Jahreszeiten im Bahnhofsviertel
Zwischen Crack, Prostitution und ­Hipster-Locations: chrismon-­Reporterin Marie Kröger wohnte im berüchtigten Frankfurter Bahnhofs­viertel. Sie fragt sich: Wie können wir so einen Zustand als Gesellschaft akzeptieren? Und welche Rezepte hat die Stadt für die Fußball-Europameisterschaft?
Vier Jahreszeiten im Bahnhofsviertel
Im Frankfurter Bahnhofsviertel liegen die Kontraste nah beieinander
Zino Peterek
Tim Wegner
Oana Szekely
12.06.2024
9Min

Herbst 2023: "Das Bahnhofsviertel ist zunächst einmal eins: Das Tor zu Frankfurt, für all jene, die mit dem Zug ankommen", fasst mein Wohnungsvermieter auf seiner Homepage die Gegend nüchtern zusammen. Bereits zwei Tage später stelle ich fest: Es stimmt. Viele Menschen laufen hier täglich durch das Tor – aber manche von ihnen bleiben stehen, verlieren sich, rauchen Crack, verkaufen hier Drogen oder ihren Körper.

Ich bin in den 1990er Jahren in Hamburg-St.-Georg aufgewachsen. Ich kenne die benutzten Heroin­spritzen am Wegesrand oder auf dem Spielplatz. Später habe ich direkt am Kottbusser Tor in Berlin gewohnt, in der Schönleinstraße, wo Junkies regelmäßig das Treppenhaus vollkotzten und auf meinen Dachboden einbrachen, um dort ihre Crack­pfeife zu rauchen. Ich kann Elend aus­halten, für mich muss es nicht "weg". Doch was ich im Bahnhofs­viertel in Frankfurt am Main erlebe, ist extrem herausfordernd – für meine liberale Welteinstellung und dafür, mich vom Leid fremder Menschen abzugrenzen. Müssen wir das als Gesellschaft hinnehmen? Ist dieser Fleck Frankfurts vergessen, ein Zombieland? Oder sieht es schlimmer aus, als es ist?

Jeden Morgen um acht Uhr ­gehe ich aus dem Haus und betrete die Taunusstraße. Meistens sitzen vor meinem Eingang Menschen auf dem Boden. Zum Beispiel diese drei ­Männer, die ihre Crackpfeifen vorbereiten. Einer von ihnen hat seine Hose runtergezogen, vermutlich, um sich einen "Schuss" in den Oberschenkel zu ­setzen. Höflich bitte ich sie, Platz zu machen. Beißender Uringeruch begleitet mich die fünf Blocks zur U-Bahn. Ich komme durch eine Mülllandschaft aus benutzten Plastik­tellern, Spritzen oder Jeanshosen mit braunen Flecken. In den Türauf­gängen: Alufolie und benutzte Feuerzeuge. Manchmal auch Erbrochenes. Eine Frau kauert auf einer Haustreppe, das Gesicht in der Kapuze ­vergraben, ihre Augen aufgerissen. Insgesamt sollen es 5000 Drogen­abhängige und 300 Dealer sein, derzeit gibt es 20 bis 30 Drogentote pro Jahr.

Lesen Sie hier: "Wenn Drogen nur scheiße wären, nähme sie ja keiner."

Vier Tage bis zur Landtagswahl in Hessen. Plötzlich sind der ganze Müll, die Junkies und sogar der Uringeruch verschwunden. Jeden Morgen stehen acht Fahrzeuge der Müllabfuhr und Straßenreinigung in meiner ­Straße, der Boden ist nass gespritzt und ­sauber. Aber wenn ich abends von der Arbeit komme, ist alles wieder da. So, als würde das Eigenleben des Bahnhofsviertels der Politik sagen wollen: Uns bekommt ihr hier nicht weggeschönt.

Abends vibriert das Elend, die Schilder der Bordelle leuchten rot und blau, auf den Straßen: Drogenhandel. Manchmal gehe ich schnell in mein Apartment, manchmal schlendere ich herum und schaue mir die Leute an, für die jede Hilfe zu spät zu kommen scheint. Die meisten von ihnen sind Männer, aus Südeuropa oder aus Asien stammend, kaputte Hose, kaputte Schuhe und immer wieder dieser leere Blick. Sie schwanken über den Bürgersteig und bewegen sich mit den Tauben von einem Türaufgang zum nächsten.

Auffällig wenig bis gar keine Junkies oder Obdachlose lungern vor den Bordellen herum. Hier scheinen unsichtbare Gesetze zu wirken, offenbar haben die Bordellbetreiber ihre eigenen Methoden. Ich frage mich: Brauchen wir strengere Gesetze oder jedes Haus muskelbepackte Türsteher?

Die Frankfurter Kriminalitätsstatistik weist keine Zahlen nach Stadtvierteln aus. Man wolle keine Viertel stigmatisieren, so ein Polizeisprecher zur "Frankfurter Neuen Presse". In der "FAZ" findet sich dieser Satz: "Etwa die Hälfte aller in Frankfurt registrierten Raubdelikte fanden im Bahnhofsviertel statt."

Es ist einer der letzten warmen Tage im Herbst. Ich gönne mir ein Frühstück in der Bäckerei "Zeit für Brot" in der Kaiserstraße. 200 Meter vor dem Laden sitzt ein junger Mann auf einer schmutzigen Matratze, seine Augen sind rot umrandet. Sein Blick hebt sich von denen der anderen Junkies ab. Während ihm die Tränen he­runterlaufen, sagen mir seine Augen: Ich weiß, ich habe es verkackt.

Ich gehe weiter und muss auch ein bisschen weinen. Da kann man sich doch nicht einfach abgrenzen! Beim Bäcker riecht es nach Zimt – frischer Pflaumenkuchen. Der Verkäufer bietet mir ein Stückchen zum Probieren an. Kurz freue ich mich über diese nette Geste. Dann fällt mir wieder der Mann auf der Matratze ein. Soll ich ihm den Pflaumenkuchen geben? Würde ich mich später darüber ­ärgern? Sehr wahrscheinlich. Also gehe ich ­einen Umweg zu meinem Apartment, während ich den Kuchen ­hastig und mit schlechtem Gewissen in meinen Mund stopfe. Drei Meter vor meiner Haustür kotzt mir jemand vor die ­Füße. Drei Wochen später ziehe ich ins grüne Umland von Frankfurt.

Lesen Sie hier: Ein Verhaltensökonom erklärt, was uns davon abhält, Gutes zu tun - und wie es dennoch gelingen kann.

Winter, 14. Dezember 2023: Das Bahnhofsviertel lässt mich nicht los. Es ist kalt, wie geht es den Leuten dort? Ich habe mich mit Katrin Wilhelm verabredet, sie leitet das Diakoniezentrum Weser 5.

Im Hinterhof zwischen der Weißfrauenkirche und einer Obdachlosen­einrichtung stehen vier weiße Baucontainer. Wohnungslose Menschen können sich hier waschen und ­duschen: ein Hygienecenter der Dia­konie. Katrin Wilhelm, 43, steht in einem der Container und hält eine verrostete Elektroheizung hoch.

Katrin ­Wilhelm, Leiterin des Diakonie­zentrums ­Weser 5

Eigentlich gehört sie an die Wand. "Das ist nicht das erste Mal, Vandalismus ist ein alltägliches Problem im Hygiene­center", sagt sie. "Das Hygiene­center sollte ursprünglich im Hauptbahnhof gebaut werden. Aber da es dort nicht zeitnah umgesetzt werden konnte, hat die Diakonie der Stadt den Standort in unserem Innenhof angeboten", erzählt Wilhelm – für ein Provisorium.
Der Tagestreff des Kirchen­kellers in der Weißfrauenkirche bietet zweimal am Tag Speisen für wenig Geld. Die Luft ist warm und stickig, heute gibt es Erbsensuppe, Kaffee und Kuchen. Hinten im Saal stehen strandkorb­ähnliche Holzkisten, in die man sich zurückziehen kann; in der Mitte eine Station mit Computern. Die Essens­ausgabe ist voll, überall wuseln Menschen mit ihren Koffern, Einkaufstaschen, Schlafmatten und Rucksäcken herum.

Leute mit Essen zu versorgen, liegt im Bahnhofsviertel nicht nur in den Händen der Kirche, erzählt ­Katrin Wilhelm. Auch von Muslimen geführte Restaurants geben abends häufig Essen an Bedürftige weiter. Das Problem, das daraus erwächst: Plas­tik­teller und Verpackungen überall.

Bei einem Grad Außentemperatur befinden sich Obdachlose und Junkies in den Hauseingängen, auf den Gehwegen, vor den Geschäften. Vor dem türkischen Steakhouse in der Kaiserstraße liegt ein junger Mann mit Parka ganz still vor dem bodentiefen Fenster auf dem Asphalt, ­seine Augen sind geschlossen. Lebt er? "Dem Mann geht’s gut, er bewegt die Füße ein wenig. Ich wecke ihn nicht auf, sondern lasse ihn weiterschlafen, in der Straßensozialarbeit wecken wir Schlafende nur im Notfall", sagt ­Katrin Wilhelm und fügt hinzu: "Denn Menschen auf der Straße ­schlafen generell zu wenig."

Den Impuls, sofort den Kranken­wagen zu rufen, muss ich unter­drücken. Bahnhofsviertel bedeutet, Menschen liegen zu lassen, obwohl sie aussehen, als wären sie tot. Gegenüber dem Restaurant hat sich ein Dutzend Junkies versammelt. Eine Frau kann sich nicht mehr aufrecht halten. Sie sackt zusammen und schwankt hin und her. Ihr Umfeld stört das nicht. Sie trägt ein modisches, gepflegtes Outfit, ihre sauberen, beigefarbenen Lederstiefel passen zur Tasche. "Auf ihr Äußeres achten viele Menschen in der Obdachlosigkeit, solange es irgendwie geht – besonders Frauen", meint Wilhelm.

Wie geht das, schick auszusehen und gleichzeitig auf Drogen im Bahnhofsviertel zu sein? Auch darauf hat Wilhelm eine Antwort: "Frauen ­landen nicht so schnell auf der ­Straße, sie gehen oft Zweckbeziehungen mit Männern ein, tauschen Dienst­leis­tungen oder sexuelle Gefälligkeiten gegen Wohnen."

Lesen Sie hier: Jeder kann obdachlos werden - das Projekt "Housing first" hilft dabei, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben.

Drei junge Menschen in ­schwarzen Jacken mit grünem Logo laufen an uns vorbei. Sie gehören zur OSSIP, der Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention im Bahnhofsviertel. Sie sprechen gezielt die Drogensüchtigen an, die es nicht zum Diakoniezentrum in der Weserstraße geschafft haben, versuchen, sie dorthin zu bewegen. Versuchen, als Ansprechpartner da zu sein, denjenigen Zuwendung zu schenken, die sonst niemanden haben. Nun weckt einer von ihnen den Typ vor dem Steakhouse. Nach einer Minute Small Talk zieht das Team von OSSIP weiter.

Ich frage mich: Ist das so richtig? Ist es ein Wert in unserer Gesellschaft, suchtkrank ­herumliegen zu können, wo man will? Sind wir so frei als Gesellschaft, dass wir anderen beim Verelenden zu­gucken müssen?
Vielleicht nicht frei, aber neugierig. Der schlechte Ruf des Bahnhofsviertels füllt viele Reportagen auf You­tube. Es gibt auch geführte Touren durch das Viertel. Ein Foto­graf, der selbst hier lebt, will mit seiner Tour "Crack, Koks, Heroin im Bahnhofsviertel" Menschen "für das Thema sensibilisieren". Vor dem früheren Wohnhaus von Oskar Schindler am Hauptbahnhof haben sich 20 Männer mit Bierflaschen in der Hand versammelt. Ob Rotlicht-Junggesellenabschiede, Elendsvoyeurismus oder die Nähe zu Drogen: Das Viertel zieht viele Menschen an. "Am Wochenende kommen Leute aus der Umgebung und wollen hier Randale machen und ihre Wut rauslassen", sagt ­Katrin ­Wilhelm. Als könne man hier Wilder Westen spielen.

Das Problem mit den Drogenabhängigen ist so offensichtlich wie scheinbar nirgends sonst – aber ist es ein Problem made in Frankfurt? Die Politik ist in Frankfurt nicht untalentierter, die Menschen sind nicht süchtiger als anderswo. Aber es gibt sehr viele Hilfseinrichtungen hier. Und paradoxerweise bildet genau das den Nährboden für das Elend im Bahnhofsviertel, sagt Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef in der "FAZ": "Die Süchtigen brauchen Unterstützung. Das ist völlig unstrittig. Aber wenn ich sehe, dass Frankfurt sich zur Drogenhilfe-Einrichtung von vielen Menschen aus anderen Städten und Bundesländern entwickelt hat, frage ich mich, wohin das führen wird."

Die Angebote ziehen zum Beispiel Drogenabhängige aus Nachbarstädten wie Mainz, Wiesbaden und Darmstadt an, wo nicht so viel für die Junkies getan wird. Oder aus Bayern, das viel schneller strafrechtlich interveniert. Für die Drogenszene etabliert sich das Frankfurter Bahnhofsviertel als place to be.
Aber welche Rezepte hat die Politik gegen das Drama im Bahnhofsviertel? Seit November 2023 gilt zwischen 20 Uhr und 5 Uhr ein besonders striktes Waffenverbot. Es soll Stellplätze für die E-Scooter geben. Um die Vermüllung zu verringern, gibt es neuerdings eine zentrale Sammelstelle, ­an der alle Privatinitiativen Essensspenden an Bedürftige ausgeben können.

Frühling, 2. Mai 2024: Die Sonne knallt bei 26 Grad. Die ­Junkies tragen heute T-Shirts. Hin und wieder riecht es nach Urin, während eine leichte Frühlingsbrise durch das Viertel weht. Wie hier die Luft wohl im Sommer sein wird, wenn Fußball- Europameisterschaft ist? Dann wird das Bahnhofsviertel mit seiner ­hohen Hoteldichte zum internationalen Schauplatz. Erst kürzlich warnte die englische Boulevardzeitung "Sun" ihre Leser und Fußballfans vor dem Bahnhofsviertel. Es sei ein "Zombie­land" und gehöre zu den "gefähr­lichsten Slums Deutschlands".

Auch mein Freund aus Israel war schockiert, als ich ihm erzählte, wo ich gewohnt habe. Am Ende seiner Weltreise buchte er sich ahnungslos ein Hostel im Bahnhofsviertel. Auch er benutzte Begriffe wie "Zombies" und "Apokalypse".

In einem Waffengeschäft in der Kaiserstraße frage ich den ­Mitarbeiter, ob es mal anders war mit den Junkies. "So schlecht wie jetzt war es noch nie", sagt er und erzählt, dass früher mehr Ordnung herrschte, weil verschiedene Rockerbanden das Gebiet kontrollierten. Heute übernähmen arabische und nordafrikanische Banden den Job. Der Unterschied liege weniger in der Nationalität, sondern darin, dass die neuen Banden die ­Drogen nicht nur verticken würden, sondern gleichzeitig auch selbst konsumieren. Besonders Crack. "Die Gewalt auf der Straße ist heftiger geworden, auch den Junkies gegenüber", sagt er.
Neben den Spätis, Bordellen und Hotels gibt es hier auch Geschäfte, die nicht reinzupassen scheinen: Die Bike-Boutique, die Lastenfahrräder ab 5000 Euro verkauft. Der Showroom für Luxusküchen – Preise auf Anfrage. Die Hipster-Restaurants.

Luxuskarosse ­zwischen ­Prostitution und Drogenelend

Früher "Problemviertel" – ­heute "Hotspot der Szene", jubelte vor einigen Jahren das Hochglanz-­Reisemagazin ­"Merian" über das Bahnhofsviertel und schwärmte von den Multikulti-­Restaurants, der Weltoffenheit und dem Hype.

Ich frage mich: Stört sich von ­deren Kundschaft niemand an dem menschlichen Elend? Den offenen Wunden? Dem beißenden Gestank? Den verwirrten Bettlern auf Heroin oder Crack? Den Dealern? Dem Müll? Den Fäkalien? Den regungslos auf dem Boden liegenden Menschen?

Ich gehe noch einmal zum Diakoniezentrum für Obdachlose und zur Weißfrauenkirche. Gegenüber befindet sich in einem luxussanierten Altbau ein Friseur, Haarschnitt plus ­Föhnen ab 80 Euro. Ein Kunde kommt mit einem kleinen weißen Hund auf dem Arm heraus, er steigt in seinen Mercedes mit verdunkelten Scheiben. Auf der Website des Friseurs heißt es: "Unsere Beautyboutique im Frankfurter Gutleutviertel ist ein Ort auf­regender Eleganz." Faktisch beginnt das Gutleutviertel jedoch erst zwei Blocks weiter. So ganz sicher über den "Hot­spot der Szene" sind sich die Yuppies dann wohl doch noch nicht.

Übrigens: Um das Bahnhofsviertel für den Sommer und auch die Europameisterschaft aufzuhübschen, sollen Gehwege und Straßen bunt bemalt werden – ähnlich wie in den Favelas in Brasilien.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

an sich mag ich ja Artikel, die Fragen stellen. Nur wäre es schön, wenn auch ein paar fundierte Antworten gegeben würden. Sonst werden die Fragen leicht tendenziös und bleiben Rhetorik - im Falle besagten Artikels klingt so eine Law and Order Rhetorik an, die ich Ihrem Magazin bisher nicht zugetraut hätte.

Besonders die folgenden Fragen sind mir in diesem Zusammenhang sauer aufgestoßen:

"Ist es ein Wert in unserer Gesellschaft, suchtkrank ¬herumliegen zu können, wo man will? Sind wir so frei als Gesellschaft, dass wir anderen beim Verelenden zu¬gucken müssen?"

- Die Autorin beantwortet diese Fragen nicht, suggeriert durch den Kontext aber ein klares Nein. Was die für sie denkbaren Alternativen sein könnten, lässt sie hingegen weitgehend offen oder wiederum nur in Frageform anklingen:

"Brauchen wir strengere Gesetze oder jedes Haus muskelbepackte Türsteher?" - in diesem Zusammenhang fungieren die Türsteher vor den Bordellen im Bahnhofsviertel also als eine mögliche bessere Lösung?

- Ja, sind Sie als evangelisches Magazin denn von allen guten Geistern verlassen? Fällt Ihnen nichts anderes ein, als strengere Gesetze und Türsteher? - Wissen Sie, über welche Stadt Sie da schreiben? Warum stellen Sie Ihren Artikel nicht in einen historischen Zusammenhang und erwähnen den "Frankfurter Weg" in der Drogenpolitik, die Schließung des Café Fix und dessen vorherige Unterfinanzierung? Warum klingen die prinzipiellen Möglichkeiten der Stadtreinigung - wie vor den Landtagswahlen - nur nebenbei an, statt zu recherchieren, inwiefern sie auf Dauer gestellt werden könnten?

Ja, man kann im Bahnhofsviertel der Stadt Frankfurt, in der ich selbst über zwanzig Jahre gelebt habe, vom Elend schockiert sein. Das war auch schon vor Jahrzehnten so, auch wenn es damals mehr um Heroin ging und die Junkies u.a. beim Umsteigen in der B-Ebene des Hauptbahnhofs anzutreffen waren.

Aber eine freie (Stadt)Gesellschaft, die nur hier - auf wenige Straßenzüge begrenzt - mit dem Drogenelend konfrontiert wird, während sie das zahlenmäßig noch viel größere Elend des Alkoholismus geflissentlich ignoriert, muss das aushalten. Hilfsangebote für die Betroffenen könnte es indessen tatsächlich mehr geben, nicht nur kirchlich, sondern gerade auch städtisch finanziert.

Aber strengere Gesetze? Für wen? Für diejenigen, die suchtkrank sind? - Ist das christlich, die Elenden zu sanktionieren? Ja, in einer nicht-autoritären Gesellschaft hat jede:r das Recht, sich zugrunde zu richten. Und die Gesellschaft muss bis zu einem gewissen Grad dabei zusehen. Eine autoritäre Alternative wäre die Rückkehr zu Arbeitshäusern, die es auch noch in der jungen Bundesrepublik gab und die erst in den 60er Jahren gänzlich abgeschafft wurden. Meinen Sie so etwas in der Richtung mit strengeren Gesetzen?

Ob sich niemand an dem menschlichen Elend stört, fragt ihre Autorin weiter. Das ist doch nicht der Punkt. Oder sollen jetzt Bürgerinnen und Bürger irgendetwas selbst in die Hand nehmen - so als eine Art Bürgerwehr vor die Cracksüchtigen hintreten und sie auffordern zu gehen, weil man sich an ihnen stört?

Ich fasse es nicht. Passen Sie bitte auf, dass Sie nicht abdriften.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Britta Schmitt-Howe,