Philosophie
Kann man ­vernünftig glauben?
Vor 300 Jahren wurde der Philosoph Immanuel Kant ­geboren. Für ihn war klar: Der Glaube an Gott ist etwas anderes als Wissen. Was daraus für die Kirche folgte
Foto von aufgeschlagenen Büchern Immanuel Kants auf blauem Untergrund: Welchen Einfluss haben Kants Theorien auf die Kirche?
Welchen Einfluss haben Kants Theorien auf die Kirche?
Lisa Rienermann
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
23.04.2024
3Min

Es geschieht nicht häufig, dass für einen Philo­sophen eine Münze geprägt wird. Aber zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant am 22. April hat die Bundesregierung ­eine 20-Euro-Gedenkmünze heraus­gebracht. Sie zeigt den Sternenhimmel, darin Kants Kopf im Umriss, darüber ein Zitat von Kant: "Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir." Vollständig heißt der zitierte Satz: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir." Damit wird ein Motiv aufgerufen, das für Kants Religionsverständnis zentral ist, aber nicht mehr auf die Münze passte: die Ehrfurcht.

Ehrfurcht ist ein Gefühl, das sich einstellt, wenn man vor einer Grenze zum Unendlichen steht. Das kann ein Erlebnis in der Natur sein, etwa wenn man den Sternenhimmel betrachtet. Oder wenn man über eine moralische Idee wie die Menschenwürde nachdenkt. Denn sie meint den "unendlichen Wert der menschlichen Seele", der über den Werten des menschlichen Alltags liegt. Beides löst Staunen aus, lässt einen die eigene Winzigkeit erkennen, zeigt aber auch, worin die Freiheit und die Bestimmung des Menschen liegen: die Welt erkennen und für das Gute eintreten.

Kants vier Prinzipien: Kritik, Vernunft, Würde, Friede

Schon im Alten Testament ­findet sich mehrfach die Aussage, dass die Ehrfurcht vor Gott "der Anfang der Erkenntnis" sei. Kant hat diese uralte Weisheit mit Hilfe von vier ­Prinzipien, die auf den Münzrand geprägt sind, in die Moderne geholt: Kritik, Vernunft, Würde, Friede.

Zunächst hat Kant alle vormodernen Theorien über Religion einer radikalen Kritik unterzogen: Wir können von Gott nichts wissen, seine Existenz nicht beweisen, sein Wesen mit den Mitteln unserer Vernunft nicht erkennen. Kant wollte genauer bestimmen, was der Glaube ist und was ihn vom Wissen oder Meinen unterscheidet. Für Kant waren der Glaube an Gott und die Unsterblichkeit der Seele keine Angelegenheiten der "theoretischen Vernunft", also der wissenschaftlichen Welterkenntnis, sondern "Postulate der praktischen Vernunft". Damit meinte er, dass der Mensch an Gott und die Unsterblichkeit seiner Seele glauben muss, wenn er seine Existenz als sinnvoll begreifen will. Denn wie und warum soll er seiner moralischen Verpflichtung folgen, wenn es keinen Gott gibt, der am Ende für Gerechtigkeit sorgt? Die Geschichte und die eigene Erfahrung legen ja leider eher den Eindruck nahe, dass das Schlechte siegt und nicht das Gute.

Diese Verbindung von Gott und Gerechtigkeit wurde vielfach kritisiert: Löst Kant damit die Religion nicht in Moral auf? Doch im Grundsätzlichen hat Kant sich durchgesetzt: Der Glaube ist etwas anderes als das Wissen. Er erklärt dem Menschen nicht die Welt, sondern er klärt ihn über seine Würde – und die aller Menschen – auf. Dieses neue Religionsverständnis hatte Folgen für die Kirche. Sie muss seitdem ohne absolute Wahrheits- und Machtansprüche auskommen. Sie ist nicht deshalb im Recht, weil sie über besondere Weihen oder ewig gültige Dogmen verfügt. Vielmehr muss sie ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit dadurch beweisen, dass sie der Freiheit und dem Frieden dient.

Mit seinem Wunsch, ein modernes Glaubensverständnis zu begründen, das den Leitworten Kritik, Vernunft, Würde und Friede folgt, war Kant nicht allein, sondern Teil des aufgeklärten Protestantismus in Deutschland. Auch heute noch wünschen sich viele Menschen einen Glauben, der nicht fundamentalistisch ist. Damit stehen sie bewusst oder unbewusst in der Nachfolge Kants. Sie möchten so glauben, dass sie damit nicht im Widerspruch zu dem stehen, was sie wissen.

Die Kirche soll ihrem Glauben dienen und ihn nicht bestimmen. Weil sich das Leben und die Lebens­umstände ständig ändern, muss also auch die Kirche sich immer wieder ändern, um dieser Aufgabe gerecht zu werden – sie muss sich ständig reformieren. Diese Reform hat durch Kants Philosophie einen epochalen Schub erhalten und ist noch lange nicht abgeschlossen, kann es auch gar nicht sein.

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Mensch kann vernünftig glauben und wirksam beten, wenn die gleichermaßen bewusstseinsschwache Vernunftbegabung nicht mehr dem kategorischen Imperativ untergeordnet ist - Matthäus 21,18-22 (wo der Frust des Jesus besonders deutlich beschrieben steht).

Und wenn Mensch nicht die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein des ganzheitlich-ebenbildlichen Wesens Mensch erlangt, dann wird es eben ein anderes ganzheitlich-ebenbildliches Wesen werden - Jesaja 55, 8-11 ("Raum und Zeit sind relativ")

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"Damit meinte er, dass der Mensch an Gott und die Unsterblichkeit seiner Seele glauben muss, wenn er seine Existenz als sinnvoll begreifen will."

Kant hat mit seinem kategorischen Imperativ auch nicht aus der "theoretischen" Vernunft" / der funktionalen Vernunftbegabung heraus gefunden, die Interpretation der Philosophie der Bibel war zu seiner Zeit auch schon im Sinne der Hierarchie unbegreiflich ver-/gedingsbumst!

Selbst heute, wo Mensch mit Mathematik und Physik die Wahrscheinlichkeit des holographischen Universums vor Augen hat, kann das Dogma der Konfusion nicht verworfen werden, es bleiben die Tabus SCHEINBAR unüberwindbar.

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Der Glaube schließt Vernunft aus. Die Vernunft ist der Bruder der Wahrheit und damit der Feind des Glaubens. Dagegen ist die Hoffnung die Schwester des Glaubens und die Demut die Mutter von uns. Denn erst mit Demut können wir ertragen, nicht selbst unser eigener Ggott sein zu wollen. Darüber hinaus gilt, dass keiner so schlau ist, als dass nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft ein Anderer das gedacht, gesagt oder geschrieben haben könnte oder wird, was er als sein Eigenes ansieht. Auch deshalb ist der Glaube eine gelebte Demut.

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Glaube ist Demut. Denn der Glaube schließt Vernunft aus und die Wahheit hat als Ergebnis die Vernunft. Die Wahrheit ist deshalb der Feind des Glaubens. Dagegen ist die Hoffnung die Schwester des Glaubens. Somit ist die Demut unsere beschützende Mutter. Erst mit Demut können wir ertragen, nicht selbst unser eigener Gott sein zu wollen. Sich selbst zum Gott zu erheben ist die größte Sünde. Zu sybellinisch? Darüber hinaus gilt, dass keiner so schlau ist, als dass nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft ein Anderer das gedacht, gesagt oder geschrieben haben könnte oder wird, was er als sein Eigenes ansieht.

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Kann man vernünftig glauben -?- ist bei Bejaung ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Dazu folgendes:
Niemand wird gefragt, ob er geboren werden will. Folglich ist er auch nicht für seine negativen Eigenschaften als Sollbruchstellen verantwortlich. Ist er eitel und dumm, wird er schnell ein Opfer von falschen Versprechungen. Ist er ängstlich, hat er keinen Erfolg. Ist er waghalsig, kostet es Kopf und Kragen. Gesetze sind der Rahmen für das, was noch erlaubt ist. Aber warum das alles, warum diese Sünden und Veranlagungen, wenn es doch als Schöpfung die Allmacht  zur Verhinderung gibt? Nur damit wir bei Zuwiderhandlung bestraft werden können? Ist dann der für unsere Fehler Verantwortliche ein Sadist, der nur darauf wartet, dass die Sollbruchstellen, auch verkleidet als Sexualität (Adam + Eva), wirksam werden? Da wird wider die Natur das Zölibat erlassen, damit man bei Bedarf willkürlich strafen kann. Und zwar nicht die Täter (Priester) sondern die Frauen als Opfer, weil sie die (Ge-)Weihe-Träger als Hexen verführt haben.  Wenn Allmacht, wozu dann der Teufel als Herr der Erbsünden und Sollbruchstellen? Der Widersinn ist unbegreiflich! Die Nächstenliebe ist das höchste Gut zum Verdienst des ewigen Lebens im Paradies. Ist der Nächste aber ein Heide, dann für ihn zwar auch das ewige Leben, aber im Fegefeuer. Oder die Toleranz der Intoleranz. "Damit ich reinen Herzens vor meinen Herrn treten kann" (Käßmann). Mit diesem "Herz"  müssen dann aber wegen unterlassener Hilfeleistung Unzählige als Kollateralschaden sterben. Das soll mit Vernunft glaubhaft oder glaubwürdig sein? Dann wird erschrocken festgestellt, dass hierfür immer mehr austreten und die Zahlung verweigern. Für ROM und EKD gibt es nur die Hoffnung, dass als Messias ein religiöser "Trump" erscheint und eine Kirche mit der Bezeichnung (die) A ngst F ür D umme gründet. Dann wären auch endlich, wenn auch nur den Anfangsbuchstaben nach, Politik, Macht und Kirchen vereint. Mit Dummheit zu glauben ist einfacher als mit Vernunft.

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Mittlerweile denke ich, dass Kant wohl doch einen allzu eingeschränkten Wissensbegriff hat, auch wenn ich Unbehagen empfinde, einem Philosophen wie Kant denkerische Mängel anzuheften. Aber auch Kant war ein Mensch, und in der Philosophie gibt es zum Glück keine Heiligen. Philosophen sind in ihre Zeit eingebundene Menschen, und Kant war tief beeindruckt von der unter dem quantitativ-mechanistischen Deutungsparadigma stehenden Wissenschaft, wie sie sich von Kopernikus, Galilei und Newton her darstellte. Relativiert wird die Kritik an Kant dadurch, dass für ihn „Wissen“ nicht das letzte Wort war, also gewissermaßen sogar unwichtig war. Da natürlich „Wissen“ eine Art Rückgrat der Philosophie überhaupt ist, hätte Kant, was er unter „Wissen“ versteht, vielleicht anders nennen sollen, vielleicht gar „Meinen“, oder, weniger drastisch, „Fürwahrhalten“. Der Bezug von „Wissen“ auf Sinnesdaten, wie es gerade in der angelsächsisch geprägten Philosophie damals wie heute üblich ist, unterschlägt, dass es eine Empirie ohne vorausgesetzte Begriffe nicht geben kann, und diese vorausgesetzten Begriffe gehen eben auch über die Kantische Kategorientafel hinaus. Wenn ein Kunstkenner und ein Hund beide einen Picasso anschauen, sehen die beiden dann dasselbe? Dieses Beispiel lässt sich endlos variieren. Auch die Bestimmung, dass „Wissen“ auf Sinneswahrnehmung und raumzeitlicher Einordnung beruhen muss, ist sozusagen dogmatisch, ist Metaphysik. Kants gesamte Philosophie ist - wie alle gute Philosophie - Metaphysik, Kant hat eben nicht die Metaphysik zermalmt, auch wenn das spätere Interpreten etwa aus dem positivistischen oder auch sprachanalytischen Dunstkreis so gerne glauben machen wollen. Metaphysik ist nicht Wissenschaft, das ist aber nicht schlecht für die Metaphysik, sondern schlecht für die Wissenschaft. Die wichtigste Schrift Kants ist nicht die „Kritik der reinen Vernunft“, sondern die „Kritik der praktischen Vernunft“, und seine Fragen „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich hoffen?“ lassen sich nach ihm zurückführen auf die Frage „Was ist der Mensch?“. Parmenides und Platon, zwei Philosophen von maßgebendem Einfluss auf Abendland und Morgenland, hätten Kants Wissensbegriff als vordergründig zurückgewiesen, sie hätten sich aber verneigt vor dem Respekt Kants vor dem Menschen als solchen. Und beide sind unmittelbar verbunden mit dem ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury, den Kant übrigens seltsamerweise nicht verstanden hat.

Friedhelm Buchenhorst

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Die politisch-philosophischen Einlassungen von Herrrn Claussen find ich immer spannend.
Im Grunde geht es darum, dass wir denkenden Wesen auf diesem Planeten erkennen müssen,
dass alle Forschungen bisher nichts fanden in den Tiefen des Weltalls was uns Menschen ähnelte,
wir auf unserer Erde die Einzigen sind weit und breit.
Das Weltall ist unendlich und Gott auch.
So sehe ich das Gleichnis Kants mit dem Sternenhimmel, was trotz alle Wissenschaft immer noch so gilt
und uns wahrhaft ehrfüchtig machen sollte
Umso mehr gelten auch seine Pardigmen zu Kritik, Vernunft, Würde und Frieden.
Dem sollten wir uns Menschen würdig erweisen, den Gott ist kein Leviathan, der uns, wenn wir fehlen, auf empfindliche Weise zurechtweist,
selbst wenn in der Mythologie Gott oder eben auch Zeuss mit Blitzen gegen die Sünder hantieren.
Die Sünder sind unter uns, die von Kritik, Vernunft, Würde und Frieden nichts halten. Und was für welche.
Es sind oft exponierte Persönlichkeiten des wirtschaftlichen und politischen Lebens, die in ihrem Tun, die Schöpfung gefährden
und zwar mit Vorsatz und aus niederen Instinkten von Selbstsucht, Macht- und Geldgier heraus.
Und, das ist das bedauerlichste. Viele von denen behaupten, sie seien Christen, die die Autorität Gottes achteten.
Sie lügen, sonst würden sie nicht gegen die Menschenrechte verstoßen, die Natur zerstören und Kriege führen bzw. sie unterstützen.
Der aktuelle Papst, der Vertreter Gottes auf Erden für die Katoliken, geißelt das immer wieder.
Aber die o.g. Personen betreiben Blasphemie und kritisieren den Papst, erlauben sich, gegen seine Enzyklika zu handeln.
Egal ob Protestanten oder Katoliken, diese Verhaltensweise muss von der Kanzel mit Name und Adresse benannt und verurteilt werden.
Da gibt es keinen Grund für wahre Christen Zurückhaltung zu üben.

Wolfgang Schlenzig

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Die Antwort muss lauten: nein: Um das Sittengesetz in mir zu befolgen, bedarf es keines Glaubens an Gott oder des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele. Sie sagen, der Mensch könne seiner moralischen Verpflichtung nicht folgen, wenn es keinen Gott gebe, der am Ende für Gerechtigkeit sorgt. Warum ? Es ist eine schlichte Märchenmoral, der Sieg des Guten am Ende, die Sie hier entfalten.
Warum muss am Ende das Gute siegen ? Selbst wenn am Ende das Schlechte siegt, hindert das doch nicht jeden Einzelnen daran, das Gute, d.h. moralisch Richtige, zu zu tun. Das Moralgesetz ist absolut. Es steht ( a priori) vor jeder Religion. Aus dem Moralgesetz entwickeln sich die Religionen, nicht umgekehrt. Das Handeln Jesu ist richtig und vorbildlich, weil er nach dem Moralgesetz handelt. Sein Handeln hat ihm den Tod gebracht. Es braucht keines nicht eines modernen Glaubensverständnisses, um Religion zu rechtfertigen. Es braucht auch keinen Glaubens an Jesu Auferstehung, um zu erkennen, dass er vorbildlich gehandelt hat. Sie stellen nur Kant's Philosophie in den Dienst der Religion.

Stefan Kaisers