Die "Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche" (HuK) setzt sich für Gleichberechtigung ein und hat in den deutschen Kirchen viel bewirkt. Nun aber hat sie einen verstörenden Aspekt ihrer Geschichte aufarbeiten lassen: ihre fehlende Abgrenzung von Pädosexuellen.
Johann Hinrich Claussen für chrismon: Nicht jeder kennt die "Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche" (HuK). Warum ist sie eine wichtige Organisation?
Klaus Große Kracht: Die HuK entstand im Umfeld des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Berlin 1977. Sie war zunächst ein loser Zusammenschluss von schwulen Christen, darunter vor allem kirchlich Beschäftigte, die gegen ihre dienstrechtliche Diskriminierung durch die jeweilige Kirchenleitung sowie für einen Abbau antihomosexueller Vorurteile in Kirche, Politik und Gesellschaft insgesamt eintraten. Die HuK verstand sich als Teil der Kirche und als Teil der Schwulenbewegung. Sie hat erheblich dazu beigetragen, dass heute ein normales homosexuelles Leben möglich ist – auch in den Kirchen.
Hat die HuK damit nicht auch dazu beigetragen, dass es weniger sexualisierte Gewalt gibt?
Sicherlich, denn in Zeiten, da man seine Homosexualität nicht offen und erwachsen ausleben konnte, bestand die Gefahr, dass das Unterdrückte sich andere, problematische Wege suchte. Da wurde ein homosexueller Katholik zölibatärer Priester oder ein Protestant gründete eine Pfarrhausfamilie, um die wahre sexuelle Orientierung auf andere Weise auszuleben. Es ist ein großer Fortschritt, dass dies heute ein viel geringeres Problem darstellt. Das ist auch ein Verdienst der HuK. Die Missbrauchsdebatte darf aber nicht auf das Thema Homosexualität enggeführt werden. Der weitaus größte Teil der Taten geht auf heterosexuelle Männer zurück.
Sie haben einen problematischen Aspekt in der Geschichte der HuK aufgearbeitet. Wie kam es dazu, und was war Ihr Auftrag?
Vor gut zwei Jahren hat der Vorstand der HuK mich als Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg gebeten, die Haltung des Vereins zu Fragen der Pädosexualität in den ersten 30 Jahren seines Bestehens zu untersuchen. Wahrscheinlich sind sie auf mich gekommen, weil ich vorher an einer Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche mitgearbeitet habe. Meine Ergebnisse wurden im Oktober 2023 auf einer Mitgliederversammlung der HuK vorgestellt und sind jetzt der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich. Die HuK hat mich sehr unterstützt durch eine Begleitgruppe, Hilfe bei der Quellensuche, die Vermittlung von Gesprächspartnern sowie die Übernahme von Reisekosten – auf meine Arbeit aber keinerlei Einfluss genommen.
Von heute aus ist es nicht zu verstehen, dass es so lange solch eine Nähe zwischen schwulen Aktivisten und pädosexuellen Lobbyisten gab. Wie erklären Sie sich das?
Die HuK kümmerte sich um die Interessen schwuler Männer. Aber es gab ein Anliegen, das sie mit Pädosexuellen verband: der Kampf gegen den § 175 des Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Der Paragraf war zwar bereits 1969 und 1973 novelliert worden, so dass Sex zwischen volljährigen Männern straffrei gestellt wurde. Homosexuelle Kontakte zu Minderjährigen standen aber weiterhin unter Strafe. Dabei galt für Mädchen das Schutzalter von 14 Jahren. Diese Unterscheidung verstieß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Die Schwulenkampagne gegen den § 175 war daher seit den frühen 1970er Jahren gleichbedeutend mit dem Kampf für eine Absenkung des Schutzalters für einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sex. Das ergab eine Nähe zu einer damals hochaktiven Pädo-Lobby, obwohl diese ganz anderes im Sinn hatte.
Lesen Sie hier: Wie ein Pädophiler nicht zum Täter werden will
Warum grenzte sich die HuK nicht von Pädosexuellen ab?
Bei vielen Mitgliedern der HuK – wie überhaupt in der Schwulenbewegung – fehlte schlicht das Verständnis dafür, dass es zwischen Kindern und Erwachsenen keinen einvernehmlichen Sex geben kann, weil das Verhältnis zueinander immer extrem asymmetrisch ist. Das haben viele Progressive damals nicht wahrhaben wollen. Eine Art "Pädosexualität light" hat für die HuK bis Mitte der 1990er Jahre daher im Bereich des Möglichen gelegen. Es gab bei ihr also wie in der ganzen westdeutschen Schwulenbewegung eine Gemengelage aus Solidaritätsempfinden mit den Pädosexuellen als strafrechtlich verfolgter Minderheit einerseits und einem Missbehagen gegenüber pädosexuellen Praktiken, die einem fernlagen, andererseits. Ähnliches gilt aber auch für heterosexuelle Aktivisten der "sexuellen Revolution", die meinten, sie würden die gesellschaftliche Emanzipation dadurch vorantreiben, indem sie alle Formen von sexuellen Grenzen bekämpften.
Ein Name sticht besonders hervor: Helmut Kentler. Welche Rolle hat er gespielt?
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Was ist Pädosexualität?
Pädophilie ist eine sexuelle Neigung, bei der sich eine Person von Kindern mit einem vorpubertären Körper angesprochen fühlt. Der Begriff beschreibt nur die Neigung, nicht die tatsächlich ausgelebte Sexualität. Ein pädophiler Mensch muss nicht zum Täter werden. Kommt es jedoch zu sexuellen Handlungen mit Minderjährigen, spricht man von Pädosexualität. Kinder und Jugendliche, denen das angetan wird, leiden häufig ihr ganzes Leben darunter.
Eine verqueere Weltoffenheit ...
... wird nach meiner Beobachtung in der ev. KIRCHE als Stärke empfunden. Von jeder Kanzel kommt eine andere Weisheit, wieviel Kirchen gibt es, die sich alle auf die Bibel berufen? Beliebigkeit ist keine Stärke des Glaubens. Sie könnte es sein, wenn da nicht die wachsweiche Moral und der Mantel des Mißbrauchs, der heimliche Wunsch nach unstillbarer Erfüllung, nach Macht über Andere, nach Reichtum, Ehre und Anerkennung wäre. Und dann ist da noch das esoterische Glücksgefühl als weltliche Schwester des Glaubens. Die krude Mischung aus Emotionen, undefinierbaren Ängsten und der infantilen Hoffnung auf das endlich zu erwartende Paradies ist ein individuelles unlösbares Rätsel. Bitte Abschied nehmen von noch so schönen, aber letztlich doch "unmenschlichen" (weil nicht erfüllbaren) Illusionen. Einem Pädophilen muss nicht bewusst werden, dass er eine das Unrecht beherbergernde Person ist. Sowenig wie Gier, Hass und Brutalität ausgerottet werden können.
HUK
Zitat: "Welches Fazit ziehen Sie aus Ihrer Forschung? Die HuK hat Bleibendes für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft und in den Kirchen geleistet. Aber sie hat zu lang gebraucht, um sich von pädosexuellen Interessen- und Unterstützergruppen in aller Deutlichkeit abzugrenzen. Beides widerspricht sich und gehört doch zusammen. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine Balance finden. Einerseits muss Unrecht klar benannt und entschlossen bearbeitet werden. Andererseits sollten wir uns das Recht bewahren, zu differenzieren und Widersprüche auszuhalten. Historische Forschung kann dazu einen Beitrag leisten".
AW: Unerträglich dieses Zitat. Differenzieren bis alles zeredet ist. Wo bleibt, dass die Kirche nahezu 30 (!) Jahre dem Leid zugesehen hat? Das war kein Missverständnis. Das war Duldung, das war Zustimmung, das war unter der gleichen Decke! Und jetzt dieses Fazit als verschrobene Rechtfertigung nach dem Motto: "Es widerspricht sich und gehört doch zusammen". So lauten Wiederholungs-Absichten! Christen als Schänder und sich dann noch als die "Guten" bezeichnen lassen. Unerträglich diese verqueere Rechthaberei um jeden Preis. Selbst um den des Wohls von Kindern. Der Widerspruch ist auszuhalten. Die Kinder und Vergewaltigten mussten den Widerspruch zwischen der Christlichen Nächstenliebe und der sexuellen Gier aushalten. Das ist das Fazit.