Fotografie als Klimakritik
Bis der letzte Eisberg weg ist
Hier guckt kein Mönch aufs Meer, sondern der Künstler schmilzt Eis – und konfrontiert uns romantisch-­unromantisch mit unserer Zerstörungswut. Julian Charrières Kunst beschäftigt sich mit dem zerstörerischen Verhältnis des Menschen zur Erde
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
08.01.2024

Kein Sisyphos im Eis, eher eine Kassandra des Klimas. Für seine Serie The Blue Fossil Entropic Stories hat sich der Schweizer Künstler ­Julian Charrière 2013 dabei fotografieren lassen, wie er ­einigen Eisbergen vor der Küste von Island zu Leibe beziehungsweise auf den blaugrauen Schnee rückte. Es geht dem 1987 geborenen Künstler nämlich ums größere Ganze. Das Bild veranschaulicht treffend, wie sich die Menschheit gerade ihre Lebensgrundlage unter den Füßen wegbrennt – keine ganz neue, hier aber beeindruckend anschaulich in Szene gesetzte Erkenntnis. In absehbarer und, gemessen am Erd­alter, absurd kurzer Zeit werden die hustenden Auspuff­rohre, qualmenden Schlote und dampfenden Schornsteine unseres fossilen Zeitalters den Treibhauseffekt derart beschleunigt haben, dass viel, wenn nicht fast alles vom arktischen Eis weggeschmolzen sein dürfte.

Julian Charrière beschäftigt sich in Variationen mit dem zerstörerischen Verhältnis von Homo sapiens zu seinem Planeten. Er reiht sich damit ein in die Tradition romantischer Künstler wie Caspar David Friedrich, ­die beständig die Mensch-Natur-Beziehung ausleuchteten. Nur dass hier kein Wanderer auf die aufgewühlte See starrt, sondern ein junger Mann auf verwüstete Landschaften.

Julian Charrière hat zum Beispiel ­atomar verseuchte Testgelände in Kasachstan und auf den Marshallinseln fotografiert, er war Lithium suchen in Südamerika oder hat Elektroschrott mit künstlicher Lava zu einem neuen Felshaufen verschmolzen.

Eines seiner berühmtesten Werke ist ein brennender Brunnen von 2019. Statt Wasser führt er Flammen. Julian Charrière ärgerte sich maßlos, als ein großes Modelabel seine Brunnen-Idee klaute, um damit seine neuesten Kleidertrends zu bewerben. Die Klimakunst war nur willkommener Marketing-Gag für eine Modeschau. Die Fotografien der Eisberg-Serie hat hingegen noch niemand zweckentfremdet. Das liegt vielleicht auch daran, dass einem bei den Bildern nicht gerade warm ums Herz wird. Soll es auch nicht. Wo sonst Umweltorganisationen mit Bildern von einsamen Eisbären versuchen, Mitgefühl auszulösen, zeigen Julian Charrières Werke eine atemberaubend schöne, aber zugleich auch dystopisch wirkende Landschaft.

Der Mann mit dem Bunsenbrenner verrichtet gewissenhaft und pflichtbewusst ein von außen be­trachtet offensichtlich fatales Werk. Ob ihn die graue See bald verschluckt? Die Möwen kreisen Geiern ähnlich über seinem Haupt. Ziemlich hoffnungslos dieser Prometheus, dem vermutlich bald das Flämmchen ausgeht.

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