Iranian women sit at a cafe in the Ekbatan neighbourhood in western Tehran on Presidential elections day, on June 18, 2021. - Iranians voted in a presidential election in which ultraconservative cleric Ebrahim Raisi is seen as all but certain to coast to victory after all serious rivals were barred from running. (Photo by MORTEZA NIKOUBAZL / AFP) (Photo by MORTEZA NIKOUBAZL/AFP via Getty Images)
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Zufällig rutscht der Schleier runter
Veränderungen brauchen einen langen Atem, besonders in Teheran. Eine evangelische Auslandspastorin berichtet.
05.07.2022

"Sie müssen ihren Hidschab richtig überziehen", sagt die Frau zu mir, "da schauen ja noch Haare raus." Gleichzeitig zupft sie bereits mein Kopftuch zurecht. Ich bin gerade ins Frauenabteil in der Metro eingestiegen und habe mir einen Platz gesucht. Die Frau lässt sich direkt neben mir nieder. Erst da bemerkt sie, dass ich keine Iranerin bin. "Wenn ich gesehen hätte, dass Sie Ausländerin sind, hätte ich nichts gesagt", sagt sie jetzt. Es ist ihr sichtlich unangenehm, dass sie mich auf meine "unislamische" Kleidung hingewiesen hat. Sie kramt in ihrer Handtasche und fördert zwei Bonbons zutage. Als ich die Bonbons annehme, spüre ich, dass sie erleichtert ist. Einer Ausländerin gegenüber wollte sie bestimmt nicht unhöflich sein.

Privat

Kirsten Wolandt

Kirsten Wolandt war sechs Jahre Auslandspfarrerin in Teheran. Im Juli 2022 kehrt sie nach Deutschland zurück, um in der Missionsakademie in Hamburg zu arbeiten.

Ich schaue mich um: Eine ganze Reihe der Frauen hat ihr Kopftuch runterrutschen lassen. Auch auf der Straße sehe ich zunehmend mehr Frauen, die wie zufällig ihr Kopftuch fallen lassen. Als ich vor sechs Jahren nach Teheran kam, war das noch sehr anders. Trotzdem darf man sich nicht täuschen: Die Regeln sind noch dieselben, und immer wieder werden Frauen wegen unangemessener Kleidung festgehalten. "Aber das Kopftuch ist nicht unsere größte Sorge", sagen mir Frauen.

Inzwischen ist es richtig voll geworden, es ist Arbeitsschluss, Hauptverkehrszeit. Fast alle Frauen sind jung. Sie sind geboren in der islamischen Republik, den größten Teil ihres Lebens haben sie noch vor sich. Wie viel Veränderung wünschen sie sich für ihr Leben, frage ich mich. Und wie viel Veränderung werden sie erleben? Für Veränderung braucht es Geduld, einen langen Atem. Was sind dagegen "meine" sechs Jahre hier? Durch wen kann Veränderung geschehen? Die Zahl der Iraner*innen, die das Land verlassen wollen, wächst kontinuierlich. 2020 waren es allein 900 Hochschuldozent*innen.

Meine Nachbarin erhebt sich, um auszusteigen. Wir nicken uns zu. Später an dem Tag lese ich, dass künftig keine männlichen Lehrer in Mädchenklassen am Gymnasium unterrichten dürfen. Am Abend sagt ein Iraner zu mir: "Wenn es Veränderung gibt, dann kommt sie auf jeden Fall von den Frauen."

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