Donnerstag, 24. Februar. Tag eins des Angriffs auf die Ukraine. Ein Finne fährt mich nach einer Veranstaltung zum Bahnhof. Ob jetzt das Thema einer finnischen NATO-Mitgliedschaft wieder aktuell würde, frage ich. Das ist es schon, schnaubt der Fahrer - die obere Hälfte des Lenkrads wird zum Tortendiagramm, auf dem er mit der Handkante die Sitzverteilung im finnischen Parlament markiert und mit knappen Worten die Haltung der einzelnen Parteien umreißt. "Das wird nicht jetzt entschieden, nicht so unmittelbar unter dem Eindruck dieser Nachrichten", sagt er, "aber diese Diskussion wird geführt, und eine Entscheidung wird gefällt werden!" Ich meine zu verstehen, dass dieser Mann zu den vielen Finninnen und Finnen gehört, die gegen einen NATO-Beitritt sind.
Samstag, 26. Februar. Nach einer Beerdigung komme ich zufällig an der russischen Botschaft vorbei. Die breite Straße davor ist voller Menschen, dicht an dicht. Es wird nicht gegen Russland skandiert - es wird für die Ukraine gesungen: "Terve Ukraina", ein Lied, das der finnische Dichter Eino Leino 1917 geschrieben hatte. Es besingt die Verbundenheit von Finnland, Polen, Estland, Lettland und Litauen mit der Ukraine. Am Abend zuvor war es über Social Media geteilt worden, zum Beispiel von der Schriftstellerin Sofi Oksanen über Facebook. Jetzt wird es hier gesungen: "Ukraine, möge deine Stärke, deine Sanftheit bilden eine freie Nation … Ukraine, nicht abhängig bist du - du bist, was du träumst und was du selbst sein möchtest."
Hier leben viele Russen
Sonntag, 27. Februar. Beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst geht es um Russland und Finnland, um Nähe und Distanz zwischen beiden Ländern und um das Feindbild Russland, mit dem die älteren Finnen in der Runde aufgewachsen sind. In Finnland leben viele Russen, die hier arbeiten, hier verheiratet sind. Nach Putins Ankündigung, "Russen zu schützen, wo immer sie auch leben", fürchten viele, Russland könne das als Vorwand für einen Einmarsch in Finnland nutzen. Gleichzeitig herrscht die Sorge, aus genau diesem Grund könnten Feindseligkeiten gegenüber den in Finnland lebenden Russen entstehen. "Ist das Hass? Sind wir mit Hass infiziert?", fragt eine finnische Germanistin. Nachdenklichkeit am Tisch. Und wie ein lösendes Wort sagt jemand: "Das hier ist Putins Krieg! Wir richten unsere Wut doch nicht gegen die Russen, die hier leben."