Gefängnis
Gefängnis
Kirchenkreis Wuppertal
"Briefe sind nachvollziehbare Zeugnisse von Beziehungen"
Ein Interview über das Leben in deutschen Gefängnissen ohne WhatsApp und Mails. Und was wirklich wichtig ist, wenn Inhaftierte rauskommen.
Sandra Fricke
08.12.2021

chrismon: Herr Schnitzius, wie können Inhaftierte mit ihren Freunden, Partnern, mit der Familie kommunizieren?

Jönk Schnitzius: Gefängnis bedeutet, dass alle Kommunikation eingeschränkt wird, die mir sonst als freier Bürger dieses Landes möglich ist. Inhaftierte können – unter Auflagen – Besuch bekommen. Sie können Briefe schreiben und empfangen. Sie können telefonieren.

Handys sind im Gefängnis verboten. Es gibt auch keine Telefone in den Zellen. Wie telefonieren Strafgefangene?

Manche Einrichtungen, wie auch bei uns in der Jugendstrafanstalt Ronsdorf in Wuppertal, ermög­lichen die Flurtelefonie.

Pfarrer Jönk SchnitziusKirchenkreis Wuppertal

Pfarrer Jönk Schnitzius (Gefängnisseelsorge)

Jönk Schnitzius ist Gefängnis­seelsorger in der JVA in Wuppertal- Ronsdorf. Er ist auch auf WDR 2 zu hören, wo er Radioandachten spricht.

Was ist das?

Die Inhaftierten kaufen eine ­Telefonkarte mit Guthaben und können dann von einem Telefon auf dem Flur vor den Zellen tele­fonieren. ­Dazu müssen sie aber sagen: Ich möchte jetzt telefonieren. Die Bediensteten müssen die ­Zelle aufschließen und das ermöglichen. Es geht nicht einfach so.

Und falls ich nachts um vier ein Problem mit jemandem draußen besprechen will?

(Lacht) Nachts um vier . . . Nein, es geht natürlich nur innerhalb des relativ eng getakteten Tagesablaufs im Gefängnis. Aber es war früher noch wesentlich schwieriger. Es ist ein wichtiger Schritt. Denn der Strafvollzug soll den Inhaftierten ermöglichen, ich zitiere das Gesetz: " . . . künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen". Also muss man den Vollzug so gestalten, dass ­Kommunikation nicht nur innen, sondern auch nach außen möglich ist mit all denen, die im Sozialraum förderlich sein könnten.

Was für Probleme bedrängen die jungen ­Leute am stärksten?

Lebenspraktische Fragen: Was macht ­meine Freundin? Kommt meine Mutter mich be­suchen? Hält noch irgendjemand zu mir? Was passiert mit den Klamotten, die vielleicht noch in diesem Zimmer liegen, in dem ich mal gewohnt habe?

So etwas klären Menschen außerhalb eines Gefängnisses oft mit einer schnell getippten Textnachricht oder einer Sprachnachricht.

Das geht im Gefängnis nicht. Hier werden die Fragen größer. Denn Gefängnis bedeutet Warten.

"Die Fähigkeit zu kommunizieren weiter üben"

Wie können Sie als Seelsorger der Kommunikation zwischen drinnen und draußen auf die Sprünge helfen?

Meinen Auftrag hier verstehe ich darin, Räume der Begegnungen zu ermöglichen. Ich ­informiere Schulklassen über das Leben im Vollzug und bringe Schüler mit Inhaftierten, die das wollen, ins Gespräch. Bei einem anderen Projekt kommen ­Theologiestudierende alle 14 Tage ins Gefängnis und bilden Gesprächsgruppen mit Inhaftierten, in Kleingruppen, wo es um die Frage geht: Wie sieht dein Alltag im Gefängnis aus – wie dein Alltag an der Uni? Das sind Gespräche auf Augenhöhe. Die Fähigkeit, zu kommunizieren, sich sozial zu verhalten, die verliert nicht, wer ins Gefängnis geht – sie muss weiter "geübt" werden.

Wohnungs- und Arbeitssuche, Kontoeröffnungen – vieles erledigen Menschen heute online. Ist das ein Problem bei der Wiedereingliederung?

Das ist nicht in erster Linie eine Frage der ­Digitalisierung und des Zugangs zum Internet. Für mich ist es eher eine Frage, inwieweit der Vollzug den Übergang in die Freiheit ermög­licht und inwieweit eine Gesellschaft bereit ist, Menschen aufzunehmen, die schon mal im Gefängnis waren. Das ist eine ganz alte gesellschaftliche Frage.

Aber leichter wäre es mit einem Laptop in der Zelle schon, oder?

Ich will die Schwierigkeit nicht kleinreden. Es wird auch punktuell ermöglicht durch den Vollzug, die digitalen Mittel zu nutzen. Das sind aber eher Einzelfälle. In der Corona-­Pandemie wurde vereinzelt die Videotelefonie er­möglicht, was ja ein Segen sein kann.

Strafentlassenen wird oft geraten, den­ Kontakt zu früheren Mitgefangenen ab­zubrechen. Was raten Sie?

Ich käme nicht darauf. Hinter diesem Rat steckt die Idee, das Böse sei ins Gefängnis ausgelagert, weil man dort Menschen eingesperrt hat, die eine nachvollziehbar böse Tat begangen haben. Es wäre schön, wenn es so einfach wäre. Nur: Die Fähigkeit zur bösen Tat geht mir als Mensch nicht verloren: Sie ist uns allen zu eigen.

"Ich ­nähere mich den Menschen mit einer gewissen Demut"

Viele Menschen draußen bekommen nicht mal mehr Rechnungen per Post. Wie wichtig ist der analoge Brief im Gefängnisalltag?

Superwichtig. Ein Brief, eine Postkarte ist etwas, das ich in die Hand nehmen kann, die ich noch mal nachlesen kann, womit ich mir Zeit lasse. Briefe sind nachvollziehbare Zeugnisse von Beziehungen. Es gibt aber auch Menschen hinter Gittern, die sagen: "Ich will das nicht, das schmerzt zu sehr."

Raten Sie Inhaftierten, Briefe zu schreiben?

Der Gedanke "Ich weiß, wie es geht und was gut für dich ist – und du offensichtlich nicht, sonst wärst du nicht hier", den sollte man ­besser vermeiden. Ja, ich sitze hier mit meiner Erfahrung und mit meinem Glauben und ich mache das schon ein paar Tage. Aber ich ­nähere mich den Menschen und ihrer Geschichte mit einer gewissen Demut. Sie sind in der ­Regel Überlebende ihrer eigenen Biografie.

Infobox

Wenn Sie Inhaftierten schreiben wollen, wenden Sie sich an:  www.naechstenliebe-befreit.de

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