Wir wohnen am Rand von Durban. Als ich von den Plünderungen hörte, fuhr ich ins fünf Kilometer entfernte Einkaufszentrum und traute meinen Augen kaum: Davor stauten sich die Autos - zerbeulte Kleinlaster ebenso wie teure SUVs - und die Leute luden alles ein: Flachbildfernseher, palettenweise Dosenbier, Tiefkühlfleisch, Kühlschränke. Unter Lachen und Johlen schoben Jugendliche Einkaufswagen vorbei voller Maismehl und Reistüten, Kleidung und Sneakers. Ältere Frauen saßen am Straßenrand auf offenbar geplünderten Waren. Dazwischen Berge von Verpackungsmaterial, Glassplitter, aus der Wand gerissene Bankautomaten. Keine Polizei.
Joe Lüdemann
Durban ist die Hauptstadt der Provinz KwaZulu-Natal. Von hier stammt der ehemalige südafrikanische Präsident Jacob Zuma, der Anfang Juli wegen Missachtung der Justiz ins Gefängnis kam. Zuma war der Korruption beschuldigt worden und hatte sich wiederholt geweigert auszusagen. Seine Anhänger reagierten auf die Inhaftierung mit Protesten, Plünderungen und schließlich mit Zerstörungen: Bei uns brannten Handyreparaturläden, riesige Lagerhallen von Großhändlern und einige Schulen. Über 330 Menschen in ganz Südafrika sollen nach Regierungsangaben ums Leben gekommen sein. Dass die Ausschreitungen so gewaltvoll und heftig verliefen, hat auch mit der wachsenden Armut zu tun. Die Arbeitslosigkeit liegt in Südafrika bei 33 Prozent, Land und Vermögen sind extrem ungerecht verteilt.
Besenstiele zur Abwehr
In den Nächten der Plünderungen hatte eine "Neighbourhood watch" unser Wohnviertel abgesperrt. Anwohner:innen verschiedener Kulturen standen an der Kreuzung Wache. Die in der ersten Reihe waren bewaffnet, dahinter standen Väter mit Gartenharken und Besenstielen. "Ich habe noch nie übers Auswandern nachgedacht", sagte ein Nachbar nachdenklich, "aber das hier ist doch eine andere Preisklasse. Sollen meine Kinder hier aufwachsen?"
Ein paar Tage später wollten wir bei der großen Aufräumaktion mitmachen. Wir fuhren mit Mülltüten und Besen zum Einkaufszentrum - und trafen auf eine fast blitzsaubere Umgebung. "Dies ist unser Land, wir können hier nur zusammen etwas erreichen – angefangen beim Aufräumen", sagte mir eine Frau, die mit ihren Teenagerkindern Ordnung in einem kleinen, völlig verwüsteten kleinen Stoffladen schaffte. "Wir schaffen das!" Am Sonntag beziehe ich mich in meiner Predigt darauf: "Gott schafft in dem Chaos unseres eigenen persönlichen Lebens immer wieder Ordnung und Hoffnung. Wer, wenn nicht wir, als Christen, soll in unserem Land Mut und Zuversicht weitergeben? Gott wird uns dabei segnen – wir schaffen das!"
Ein mulmiges Gefühl.
Herr Lüdemann, ich bewundere Ihre Arbeit, Ihre Mission. Wer, wenn nicht die Christen und die Bergpredigt! Aber wie die Situation auf Dauer ausgehen könnte, ist ja wohl noch ungewiss. Aber fragen Sie doch bitte Frau Käßmann, wie denn in diesem Fall oder in Afganistan die Sache mit der Toleranz der Intoleranz zu verstehen ist. Kürzlich hat in einer hiesigen Zeitung ein Pfarrer darüber berichtet, dass bei Lesungen von Psalmen die unchristlichen Details von Mord und Totschlag übergangen werden, um die Hörer nicht zu verwirren. Es bleibt ein mulmiges Gefühl.
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