"Wahnsinn" sei das alles, sagte Anna-Nicole Heinrich am Samstagmittag, ihr Handy vibriere ununterbrochen, das Mailfach laufe über: Das EKD-Kirchenparlament hat die 25-jährige Studentin aus Regensburg mit klarer Mehrheit zur neuen Präses gewählt. Ein deutlicheres Zeichen hätten die Synodalen nicht setzen könnten, dass es ihnen ernst ist mit ihrer Jugendoffensive. Anna-Nicole Heinrich folgt auf die 79-jährige Irmgard Schwaetzer, die das Amt nach sechs Jahren turnusgemäß abgegeben hat.
Heinrichs Familie stammt aus Thüringen und zog nach der Wende in die Oberpfalz, weil der Vater dort eine Anstellung als Lkw-Fahrer bekam. Mit Kirche und Religion kam die Tochter in der Oberpfälzer Grundschule in Berührung, wo es damals schlicht nicht vorstellbar war, dass ein Kind keiner Konfession angehört. So setzte man sie pragmatisch als ungetauftes Mädchen in den Religionsunterricht. Der gefiel Anna-Nicole Heinrich so gut, dass sie sich taufen und konfirmieren ließ und sich später in der Jugendarbeit engagierte und einfach immer weiter machte.
"Bock, einfach mal so was Kreatives zu machen"
Sie ist Mitglied in der Synode der bayerischen Landeskirche und war Jugenddelegierte in der gerade zu Ende gegangenen EKD-Synode. Dort hatte sie "Bock, einfach mal so was Kreatives zu machen". Heraus kam der Hackathon #glaubengemeinsam. Zehn Tage Vorlauf, ein klares Logo, eine gute Vernetzung in die Webentwicklerszene und in die junge Glaubenscommunity, schon stand der Hackathon. 48 Stunden dachten 220 junge Leute Ende März darüber nach, wie Kirchen in ihren Räumen zum Co-Working einladen können, ob eine digitale Seelsorge-App funktioniert, wie sie theologisches Wissen in die Wikipedia-Community einspeisen könnten oder wie Menschen schneller eine Gemeinde finden, in der sie sich zu Hause fühlen. Ein Drittel der Projekte vom vorigen Hackathon 2020 wurde umgesetzt. So sieht Aufbruch aus!
Das alles hat Anna-Nicole Heinrich mitorganisiert und damit Synodale und Bischöf:innen sehr beeindruckt. Hätte das Kirchenamt versucht, einen Hackathon auf die Beine zu stellen, wäre ein Mitarbeiter wohl ein Jahr beschäftigt gewesen.
Wie verändert die Digitalisierung das Zusammenleben? Darauf sucht Anna-Nicole Heinrich auch wissenschaftlich Antworten. Sie studiert in Regensburg interdisziplinär Digital Humanities bei den Informationswissenschaftler:innen und "Menschenbild und Werte" bei den katholischen Theolog:innen. Im Studienschwerpunkt Medizinethik beschäftigt sie sich gerade mit der Debatte rund um den assistierten Suizid und damit, wie Corona die Einsamkeit von Menschen verstärkt.
Die Mitarbeit in der EKD-Synode - sie hat sich im Finanzausschuss und im Zukunfts-Team engagiert - fand sie bisher sehr bereichernd, die Jugenddelegierten hätten große Unterstützung erfahren, erzählte sie.
Gemeinsam handeln und entscheiden
Die neu gewählte Synode muss den Zukunftsprozess innerhalb der Kirche weiter vorantreiben - mit dem Ziel, bis 2030 mit 30 Prozent weniger Zuwendungen auszukommen. Die Auseinandersetzungen darüber, in welchen Bereichen wieviel eingespart wird, sind im volllen Gange. Keine einfache Aufgabe, die da auf die neue Präses zukommt. Sie schaue mit Demut auf ihre neue Aufgabe und sehe die große Verantwortung, sagte Anna-Nicole Heinrich am Samstag. Die erste Pressekonferenz absolvierte sie jedenfalls schon mal souverän und klar und ließ sich auch von der Frage nicht aufs Glatteis führen, wo sie als erstes kürzen würde. "Bei den Einsparungen sollte man sich nicht vom Bauchgefühl leiten lassen, sondern systematisch und gemeinsam entscheiden", sagte sie.
Ihr ist überhaupt sehr wichtig, dass gemeinsam gehandelt und entschieden wird. Sie sieht sich als Teamplayerin und betont, dass sie der Vielfalt - auch der Vielfalt der theologischen Strömungen innerhalb der evangelischen Kirche - eine Stimme geben will. Beim Hackathon machten Leute aus dem ganzen breiten Spektrum der Kirche mit: landeskirchlich organisierte Jugendliche, freikirchlich engagierte und auch katholische jungen Leute tüftelten gemeinsam an neuen Ideen. "Ich will und kann mich keiner theologischen Strömung zuordnen", sagte Anna-Nicole Heinrich am Samstag. Die verschiedenen konfessionellen Bündnisse seien dennoch wichtig. Aber vielleicht könne man künftig noch näher zusammenrücken.
Der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm gratulierte der jungen Frau überschwänglich und sichtlich bewegt und schwärmte vom "konstruktiven und frischen Wind", den sie schon jetzt in die Synode gebracht habe. Die Kirche sei "verdammt mutig", dass sie eine so junge Frau als Präses gewählt habe, sagte Anna-Nicole Heinrich. Beharrungskräfte in der Kirche? "Nach dieser Wahl sehe ich erstmal keine."